Andreas M. Idelmann: Inlandsreisen nehmen an Bedeutung zu

Interview mit Andreas M. Idelmann
Andreas M. Idelmann ist Experte für Finanzierung und Fördermittel aus Düsseldorf. Mit ihm sprechen wir über wirtschaftliche Veränderungen, am stärksten betroffene Branchen sowie verändertes Konsumverhalten.

Laut Experten beschleunigt die Pandemie Veränderungen in der mittelständischen Wirtschaft und agiert somit als Katalysator. Welche wirtschaftlichen Veränderungen im mittelständischen Segment sind derzeit besonders prägnant?

Andreas M. Idelmann: Um die Folgen der Pandemie für kleine und mittelständische Unternehmen realistisch einschätzen zu können, muss man sehr genau in den einzelnen Branchen unterscheiden. Bei einigen kommt es zu Umsatzeinbußen, wenn nicht sogar zur Insolvenz. Andere wiederum können erhebliche Zuwächse verbuchen. Eine weitere Sparte wird sich nach der Krise erholen und, wenn sie es geschickt anstellen, das gewohnte Umsatzniveau wieder erreichen. Fest steht jedoch, dass sich ein klarer Trend zur Digitalisierung in allen Bereichen abzeichnet und eine Umstrukturierung in den Unternehmen stattfindet. Durch die Beschäftigung der Mitarbeiter im Homeoffice ergeben sich neue Arbeitsabläufe, die vorrangig digitalisiert stattfinden. Die Kommunikation findet in Form von Videokonferenzen, über die Cloud oder Zoom Meetings statt. Ein neues Arbeitsmodell, in dem die Mitarbeiter daheim im Homeoffice und ein bis zwei Tage pro Woche vor Ort im Büro tätig sind, setzt sich zunehmend durch, nicht zuletzt, weil die Arbeitnehmer das befürworten. Lange Anfahrtswege werden erspart. Die Konzentrationsfähigkeit der Beschäftigten ist, nach eigenen Angaben, zuhause aufgrund der geringeren Störfaktoren sehr viel höher. Für die KMU bedeutet das eine höhere Effizienz, die mit geringem Kostenaufwand für die Bereitstellung der technischen Geräte erreicht werden kann.

Welche Unternehmen und Branchen sind am stärksten von der Transformation betroffen?

Andreas M. Idelmann: Zu den Unternehmen, die die Corona Krise am heftigsten getroffen hat, gehören in erster Linie die gesamte Reise- und Tourismusbranche. So mussten z.B. Airlines ihren Betrieb teilweise komplett einstellen und die Anzahl Ihre Flüge dauerhaft runterfahren. Bei privaten Reisen besteht derzeit ein hoher Nachholbedarf und dieser wird auch zukünftig weiterhin ansteigen, wenn auch auf einzelne Destinationen begrenzt. Für geschäftliche Reisetätigkeiten wird der Markt, auch aufgrund der Digitalisierung und ein Ausweichen auf digitale Medien, nicht mehr das Niveau von vor Corona erreichen.

Bei Kultur- und Veranstaltungsbetrieben kam es ebenfalls zum Stillstand, der Solo-Selbstständige Künstler besonders hart getroffen hat, wobei sich einige während der Krise durch digitale Konzepte über Wasser halten konnten. Dies gilt ebenfalls für Sportstudios. Der Dienstleistungssektor kam teilweise völlig zum Erliegen, hier waren vorrangig Friseure und Kosmetikstudios von einer Insolvenz betroffen. Gleichbleibende Umsätze hingegen verbuchen KMU aus den Branchen der handwerklichen Dienstleistungen, wie z.B. KFZ-Mechaniker oder Bauunternehmer. Diese beklagen jedoch, dass es bei der Beschaffung von Ersatzteilen und Rohstoffen zu Lieferengpässen kommt. Diese gilt ebenso für Pflegedienste und Physiotherapeuten. Der Einzelhandel konnte seine Umsätze durch die Umstellung auf Online-Vertriebswege und Lieferdienste teilweise wieder herstellen. Es profitieren hier Online-Anbeiter, der stationäre Handel wird dauerhaft dem Trend zur Restrukturierung unterliegen und, wie bereits vor der Pandemie, weiterhin mit sinkenden Umsätzen rechnen müssen. Hier ist zu beobachten, dass die Erwartungen der Kunden an die digitale Kommunikation, den Versand der Bestellungen und an das Angebot an Bezahlsysteme weiterhin an Bedeutung gewinnen wird. Onlineshops, Transportunternehmen und Lieferdienste gehören zu den großen Gewinnern der Corona Krise. Derzeit zeigen sich in dem Bereich viele neue Anbieter auf dem Markt. Auch Videoproduktionsfirmen können aktuell gut gefüllte Auftragsbücher verzeichnen. Im Zuge dieser Digitalisierung legen insbesondere Software Unternehmen in der Produktion sowie im Dienstleistungssektor kräftig zu.

Viele Unternehmen befürchten ein verändertes Konsumverhalten auch nach der Pandemie. Ist die Angst um einen Nachfragerückgang und Veränderungen im Konsumverhalten berechtigt?

Andreas M. Idelmann: Der Lockdown und die damit verbundene soziale Distanz hat der digitalen Transformation einen enormen Schub gegeben, auch in klassischen Branchen wie Banken hat sich die Akzeptanz von Online-Kundenterminen anstelle des persönlichen Kontaktes durchgesetzt. Hinzu kommt, dass während dieser Zeit das Konsumverhalten privater Haushalte um 4,6% zurückgegangen ist. Lediglich die Nachfrage nach Lebensmitteln erhöhte sich temporär um 6,3%. Ein klarer Trend zum „Liefern lassen“ zeichnet sich ab und macht eine Kooperation mit Lieferdiensten sowie den Vertrieb der eigenen Produkte über Onlineshops unabdingbar. Stark verändert hat sich auch die Reisebereitschaft der Bevölkerung. Pandemiebedingt nehmen Inlandsreisen an Bedeutung zu.

Im Gastronomiebereich ist ein regelrechtes Nachholbedürfnis zu beobachten, wenngleich auch hier nach wie vor Einschränkungen zu verzeichnen sind.

Könnte die Pandemie der Anfang vom Ende für zahlreiche mittelständische Unternehmen sein?

Andreas M. Idelmann: Laut Chefvolkswirtin der KFW, Frau Dr. Köhler-Geib, könnte die Coronakrise als Katalysator für Korrektionen im Mittelstand in die Historie eingehen.

Tatsächlich sind digitale Unternehmen am besten aufgestellt, um durch die Pandemie zu navigieren, weil sie in Bezug auf neue Technologien flexibler sind. Dies macht sie auch widerstandsfähiger gegenüber den Pandemieauswirkungen und der Rezession. Attraktive Angebote für qualifizierte Mitarbeiter und ein professioneller Recruiting-Prozess sind ein weiterer Bestandteil zur Überwindung der Krise und dauerhafter Dominanz am Markt.

Die Herausforderung besteht nun darin, diesen Wandel proaktiv zu gestalten und die Vorteile strategisch zu nutzen. Bei bereits angeschlagenen Unternehmen wird sich zeigen, wie schnell sie sich wirtschaftlich erholen und in der Lage sind, die während der Krise in Anspruch genommenen Überbrückungshilfen zurückzuzahlen.

Der deutsche Mittelstand gilt als Rückgrat unserer Wirtschaft? Wird die Bedeutung zu Gunsten von Konzernen sinken?

Andreas M. Idelmann: Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kampfes gegen die globale Pandemie werden noch auf Jahre hinaus spürbar sein. Durch den pandemiebedingten abrupten Wandel waren Unternehmen zunächst gefordert, ihre Handlungsfähigkeit sicherzustellen und ihre Geschäftsmodell anzupassen. Bereits vor der Krise zeigte sich eine immer breiter werdende Schere zwischen der großen Global Player und den KMU.

Umso wichtiger ist es nun für den deutschen Mittelstand technisch aufzurüsten, um auf ihrem jeweiligen Markt weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Investitionen in Digitalisierung und verteiltes Arbeiten sind kurzfristig anzugehen und in die langfristige Strategie einzubinden. Unternehmen, die dazu bereit sind, werden dauerhaft Profiteure der Krise werden. Zur Finanzierung bietet der Bund, beispielsweise über die KfW-Bank, vielfältige Förderprogramme und Finanzierungsmöglichkeiten an.

Herr Idelmann, vielen Dank für das Gespräch!

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