Dr. Gabriele Widmann: Sparer sind schon seit sehr vielen Jahren in einem Dilemma

Interview mit Dr. Gabriele Widmann
Dr. Gabriele Widmann ist Volkswirtin in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der DekaBank. Mit ihr sprechen wir über Anlagehorizont bei pensionierten Anlegern, Börsenschwankungen sowie risikoreiche Anlagen.

Warum ist der Anlagehorizont bei pensionierten Anlegern oder Ruheständlern meistens ein komplett anderer als bei jüngeren Anlegern?

Dr. Gabriele Widmann: Wer Geld anlegt, tut dies zumeist, um für eine größere Anschaffung zu sparen oder sich ein Finanzpolster für später anzulegen. Jüngere Menschen haben, wenn sie denn rechtzeitig damit beginnen, in der Regel mehr Zeit, um für einen bestimmten Zweck zu sparen. Ältere weniger, aber dafür haben sie oftmals mehr Geld, das sie anlegen können. Anders formuliert: je kürzer die restliche Lebenserwartung, desto kürzer ist tendenziell auch der Anlagehorizont. Wobei man die steigende Lebenserwartung nicht unterschätzen sollte: Eine heute 65-Jährige kann statistisch gesehen damit rechnen, dass sie noch rund 21 Jahre lebt. Bei Männern dieses Alters sind es rund 18 Jahre. In diesem Alter kann man also durchaus noch „langfristig“ anlegen. Wenn das Geld vererbt werden soll, sieht es sowieso noch einmal anders aus.

Warum wirken sich im Alter Börsenschwankungen oft verheerender aus?

Dr. Gabriele Widmann: Aktienkurse schwanken, weil es täglich neue Informationen über zum Beispiel die Entwicklung einer Volkswirtschaft oder eines Unternehmens gibt. Aufgrund dieser Informationen werden an den Märkten die Erwartungen angepasst, die sich in den Aktienkursen widerspiegeln. Wenn man im Alter – und auch sonst – kurzfristig Geld braucht, ist es ungünstig, wenn sich der Aktienmarkt just zu dieser Zeit in einer Tiefphase befindet. Um dieses Problem zu umgehen, sollten Beträge, die innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre benötigt werden, in weniger schwankungsanfällige Anlageformen investiert werden.

Welche Aktien/Aktientypen eignen sich besonders als Investment für die ältere Generation?

Dr. Gabriele Widmann: Mit Aktienanlagen fahren Sparer in der Regel dann am besten, wenn sie den folgenden Tipp beherzigen: nie alles auf eine Karte, sprich auf eine einzelne Aktie setzen, sondern stattdessen in einen weltweit breit gestreuten Fonds investieren. Wer sich außerdem um den Einstiegszeitpunkt keine Gedanken machen möchte, sollte einen Fondssparplan wählen. Wer sich für einen Sparplan entscheidet, investiert in der Regel monatlich einen festen Betrag, und das in allen Marktphasen. Wenn es nicht darum geht, Geld für sich selbst anzulegen, sondern für Kinder oder Enkelkinder, dann sollten Aktien aufgrund des längeren Anlagehorizonts erst recht als Anlageform bevorzugt werden.

Risikoreiche Anlagen sollten im Alter vermieden oder reduziert werden. Warum sollten Rentner/innen auf Aktien jedoch nicht verzichten? Was spricht für diese Investmentform?

Dr. Gabriele Widmann: Sparer sind schon seit sehr vielen Jahren in einem Dilemma: Es gibt keine Zinsen mehr, und das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Das heißt, dass die Renditen von sicheren, schwankungsarmen Geldanlagen so niedrig bleiben, dass sie nicht einmal die Inflation ausgleichen. Deshalb kann es in jedem Alter sinnvoll sein, sich mit Wertpapieranlagen zu befassen. Die Ertragserwartung eines weltweit breit gestreuten Aktienfonds liegt auf Sicht von 10 Jahren laut unserer Schätzung bei im Durchschnitt 5 Prozent pro Jahr. Bei einer Inflationsrate, die in den letzten Jahren bei durchschnittlich bei ca. 1,5 bis 2,5 Prozent lag, bestehen also gute Chancen auf eine positive reale Rendite.

Viele Pensionäre und Rentner in Deutschland legen ihr Geld nicht in Aktien an. Besteht ein Aufklärungsbedarf, damit die Chancen besser verteilt werden?

Dr. Gabriele Widmann: Je besser sich Sparer mit Wertpapieren auskennen und je mehr Erfahrungen sie damit gesammelt haben, desto geringer ist in Regel die Hemmschwelle, Geld in Aktien anzulegen. Also ein klares Ja: Es besteht Informations-, genauer Finanzbildungsbedarf. Und dies aus gutem Grund, denn Aktien sind aus unserer Sicht eine sinnvolle Anlage – auch für den Vermögensaufbau von Senioren.

Frau Widmann, vielen Dank für das Gespräch!

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