Kai Heinrich: GameStop profitierte immens vom Hype um die eigenen Papiere

Interview mit Kai Heinrich
Kai Heinrich ist Vorstand der PLUTOS VERMÖGENSVERWALTUNG AG. Mit ihm sprechen wir über GameStop, Neobroker sowie Risiken durch Spekulationen.

Eine Community auf Reddit hat für Turbulenzen bei der GameStop Aktie gesorgt. Wird die Börse durch das Ereignis „GameStop“ mehr und mehr zum Casino?

Kai Heinrich: Auch wenn durch die jüngsten Ereignisse und durch die Medienberichte zu dem Thema GameStop der Eindruck entstehen könnte, dass sich die Börse zu einem großen Casino entwickelt, ist es wichtig sich vor Augen zu führen, dass die kurzfristige GameStop Euphorie nichts mit der Börse an sich zu tun hat. Die Börse ist selbstverständlich kein Casino, sondern ein Ort an dem sich Unternehmen Kapital beschaffen können, um ihre Geschäftstätigkeiten für die Gesellschaft zu erweitern. Außerdem haben Anleger:innen die Möglichkeit an der Entwicklung solcher Unternehmen zu partizipieren. Es geht an der Börse also keineswegs um eine kurzfristige Spekulation, auch wenn die Community auf Reddit die Aktie als Spekulationsobjekt genutzt hat.

Sind Neobroker für diese Entwicklung mitverantwortlich?

Kai Heinrich: Neobroker ermöglichen es Kleinanlegern unkompliziert und kostengünstig an den Märkten zu handeln –  was natürlich hervorragend ist, da so auch Zielgruppen angesprochen werden, welche sich vorher eventuell nicht an den Markt getraut haben, wie beispielsweise junge Menschen, welche nun von ihrem Smartphone aus ein Depot eröffnen und handeln können. Da durch solche Neobroker die Eintrittsbarrieren in die Märkte nun deutlich niedriger sind, lockt es aber auch viele unerfahrene Anleger:innen an die Märkte, welche wenig bis keine Erfahrungen im Handel an der Börse haben. Solche Anleger:innen treffen ihre Anlageentscheidungen meistens emotional anstatt die Märkte rational zu analysieren, wodurch auch die Risiken falsch eingeschätzt werden können. Dies erklärt auch, warum viele – vor allem neue – Kleinanleger:innen Geld im Handel verlieren. Ihnen fehlt es schlichtweg an Wissen und Erfahrung. Natürlich könnte den Neobrokern eine Mitverantwortung zugeschrieben werden, da sie die Hemmschwelle für potenzielle Investor:innen reduzieren. Jedoch ist jeder Anleger:in selber für die eigenen Anlageentscheidungen verantwortlich.

Wie realitätsnah ist der Wert der Aktie in Relation zu dem Unternehmen GameStop und was fängt das Unternehmen mit dem Erfolg jetzt an?

Kai Heinrich: Es dürfte wohl jedem klar sein, dass die jüngsten Kursexplosionen schon lange nicht mehr den fundamentalen Unternehmenswert widerspiegeln. Viele Hedgefonds wetten auf fallende Kurse, da sie in dem Geschäftsmodell von GameStop keine Zukunft sehen. Der Handel von Videospielen in örtlichen Filialen ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell mehr – das impliziert die Positionierung der Hedgefonds am Markt und tatsächlich sind die Umsätze von GameStop seit Jahren rückläufig und waren 2020 mit einem weltweiten Umsatz von knapp über 5 Milliarden US-Dollar auf einem Allzeittief. Der jüngste Kursanstieg rührt nicht daher, dass die Anleger:innen plötzlich an die Zukunftsträchtigkeit des Unternehmens glauben, sondern lediglich mit der Aktie spekulieren. Sie verfolgen das Ziel, den Hedgefonds „eins auszuwischen“. Ob das Unternehmen nun GameStop oder ein beliebiges anderes Unternehmen ist, spielt dabei keine Rolle.

GameStop selbst profitierte natürlich immens vom Hype um die eigenen Papiere. 2019 kaufte GameStop etwa 38 Millionen eigene Anteile mit einem Gesamtvolumen von knapp 200 Millionen US-Dollar zurück. Wenige Monate später – kurz nach dem Höchststand der Aktie, aber immer noch bei über 225 Dollar pro Aktie – veräußerte GameStop zwar nur 5 Millionen eigene Aktien, nahm damit aber über 1,13 Milliarden US-Dollar ein. Nun bleibt die Frage offen, ob dieses Kapital profitabel in das eigene Unternehmen reinvestiert wird, um signifikante Restrukturierungen vorzunehmen.

Wird das Phänomen „GameStop“ ein einmaliges Ereignis bleiben, oder kann man davon ausgehen, dass über das Ereignis hinaus mit weiteren Aktien spekuliert wird?

Kai Heinrich: Das ist tatsächlich schon geschehen. Mit Blick auf Unternehmen wie „Advanced Micro Devices, Inc.“ kurz AMD, ein US-amerikanisches Unternehmen der Halbleiterindustrie oder „AMC Entertainment Holdings, Inc.“ kurz AMC, ein internationaler Betreiber von Kinos, darunter die Kinokette UCI, fällt auf, dass auch die Aktien dieser Unternehmen explodiert sind. Das ist kein Zufall, denn auch diese Aktien wurden kollektiv im Reddit Forum ausgewählt und von Kleinanleger:innen weltweit gekauft – so wie es bei GameStop geschehen ist.

Die Ereignisse haben gezeigt, dass Kleinanleger:innen, wenn es hinreichend viele sind, den Markt bewegen können. Diese Erkenntnis unter den Anleger:innen und die weiter sinkenden Barrieren im Handel an der Börse, machen es sehr wahrscheinlich, dass sich solche Ereignisse wiederholen werden. Allerdings sollten die Anleger:innen die enormen Risiken beachten, welche sie durch solche Spekulationen eingehen. Die Gefahr eines Totalverlustes ist nicht nur gegeben, sondern bei solch zügigen Kursrallys sogar sehr wahrscheinlich.

In was für eine Situation werden große Hedgefonds durch die „Online-Investment-Allianz“ aus dem Netz gebracht.

Kai Heinrich: Hedgefonds die auf fallende Kurse setzten, wie der US-Hedgefonds Melvin Capital, haben durch den GameStop Hype rund 30% des Fondsvolumens verloren. Der Hedgefonds White Square hat sogar vor kurzem den Hauptfonds aufgelöst und das übrige Kapital an die Anleger:innen ausgezahlt, auch wenn umstritten ist, ob tatsächlich die Aktienrally ausschlaggebend für die Auflösung des Fonds sei. Die beiden Hedgefonds verwalteten insgesamt rund 13 Milliarden US-Dollar. Solche Kursexplosionen gehen also nicht spurlos an den Hedgefonds vorbei und es wird in Zukunft eine Herausforderung für die Fondsmanager bleiben, sich vor solchen Szenarien zu schützen.

Können sich Hedgefonds und investierende Firmen vor solchen Angriffen schützen? Wird jemand in der Lage dazu sein Widerstand zu geben?

Kai Heinrich: Die Tatsache, dass die Rally für die Hedgefonds so unerwartet kam, ist auch dafür verantwortlich, dass die Hedgefonds solch hohe Verluste und gar Schließungen hinnehmen mussten. Letztlich ist es gerade die Aufgabe der Fonds sich vor solchen Verlusten durch kluge Anlagestrategien abzusichern – eine Intention, welche ja im Namen steckt (to hedge – absichern). Die Manager sämtlicher Fonds kannten solche Ereignisse vorher nicht und konnten sich nicht darauf vorbereiten, denn es war schlichtweg nicht in ihre Risikokalkulation eingepreist, dass in so kurzer Zeit eine Verbindung von Kleinanleger:innen den Preis derart in die Höhe treiben würde. Da die Hedgefonds jetzt eine solche Situation kennengelernt haben, dürften viele eben jener Fonds auch besser auf solche Szenarien reagieren. Möglichkeiten zur Absicherung gibt es viele, neben reinen Long-Short-Strategien bietet sich eine Fülle an derivativen Strategien, beispielsweise eine Absicherung über Optionen an. Nichtsdestotrotz müssen die Fondsmanager auch frühzeitig an die entsprechend wertvollen Informationen kommen, ob eine Aktie im eigenen Portfolio gefährdet ist oder nicht.

Widerstand in Form von Restriktionen gab es im Falle von einigen Aktien, welche vom Hype betroffen waren. So hat der deutsche Neobroker TradeRepublic die Verkäufe von betroffenen Aktien zeitweise eingeschränkt und damit viel Kritik geerntet. Die investierten Kleinanleger:innen konnten ihre Positionen dadurch nicht mehr abstoßen und mussten Kursverluste temporär hinnehmen. Letztlich ist es eine normative Frage, inwiefern nun solche Marktszenarien reguliert werden sollten oder eben nicht, da der Handlungsrahmen der Anleger:innen teils massiv eingeschränkt wird.

Herr Heinrich, vielen Dank für das Gespräch.

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