Lukas Schlichtebrede: Die Lebenserwartung ist bereits eklatant gestiegen

Interview mit Lukas Schlichtebrede
Lukas Schlichtebrede ist Finanzberater bei Bertram Versicherungsmakler in Köln. Mit ihm sprechen wir über GKV, Finanzierung aus Steuermitteln sowie PKV-Anbieter.

Bei den GKV’s wird ein Rekordverlust von annähernd 16 Mrd. Euro Fachleute schätzen, dass dieser Wert auf 26 Mrd. Euro steigen wird. Was sind die Gründe?

Lukas Schlichtebrede: 16 Mrd. Euro sind mir nur aus der Veröffentlichung von „Business Insider“ als Prognose für 2021 bekannt, ob es so kommt, wird sich zeigen. Für 2020 lag der Verlust bei 6,2 Mrd. EUR. Die Kassen selbst führen als Gründe hierfür die gestiegenen Leistungsausgaben an. Corona wird eine Rolle sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite gespielt haben. Wer aufgrund von Konjunkturproblemen weniger Geld einnimmt, die Ausgaben aber weiter steigert, wird ein Minus verzeichnen. In meinen Augen sind weitere Gründe in der Struktur zu suchen. Es erschließt sich absolut nicht, warum ein System mit immer noch 103 Kassen bestehen muss. Zwar kommen wir von über 1.000 Kassen und da ist seit 1970 viel passiert, aber 103 Kassen, die im Prinzip alle die gleichen Leistungen bieten, sind doch unsinnig. Wir haben ja auch keine 103 gesetzlichen Rentenversicherungen.

Es wird der Ruf laut nach Geldern aus Steuermitteln. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Lukas Schlichtebrede: Die Finanzierung aus Steuermitteln erscheint mir das kleinere Übel als die Finanzierung über Beitragserhöhungen. In der GKV bleibt nach wie vor das Gerechtigkeitsdefizit aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze. Wenn Sie 60.000 EUR verdienen, zahlen Sie 700 EUR GKV-Beitrag. Verdienen Sie 100.000 EUR, kostet Sie die GKV immer noch 700 EUR. Das verletzt das angedachte Solidarprinzip. Das wird nur nicht so wahrgenommen, da sich ohnehin die gut bis besserverdienenden aus der GKV verabschieden und in die PKV wechseln können. Wären all die Leistungsträger unserer Gesellschaft und die Beamten weiterhin pflichtversichert in der GKV, dürfte das Einnahmenproblem wesentlich überschaubarer sein. Ob man sich durch die Hintertür der Steuerfinanzierung mehr Gerechtigkeit annähert, kann man diskutieren, aber mir gefällt es besser als eine Beitragserhöhung.

Sind auch die PKV-Anbieter betroffen?

Lukas Schlichtebrede: Ja klar, auch dort laufen die Kosten für die Leistungen aus dem Ruder. Ein gemeinsames Problem der Systeme. Wir leisten uns eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, wundern uns aber immer wieder, dass das viel Geld kostet. Hier müsste man ehrlicher zu sich selbst sein. Wenn wir das Versorgungsniveau herunterfahren, kostet es auch weniger. Ein einfaches Beispiel, das unseren Luxus veranschaulicht, sind die berühmten Kernspintomographen. Wir kommen auf 34 Geräte je einer Millionen Einwohner und sind damit absolute Spitzenreiter. Der EU-Durchschnitt liegt bei gerade einmal der Hälfte mit 17 Geräten. PKV-Versicherte kennen die freudigen Empfänge beim Arzt. Da wird dann gerne aus marginalen Anlässen alles durchgecheckt und den Arztkollegen auch noch ein schönes Geschenk mit entsprechenden Überweisungen gemacht. Der PKV-Verband weist regelmäßig darauf hin, dass im PKV-Standardtarif die Beitragssteigerungen unter denen der GKV liegen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Im Standardtarif der PKV ist ja so gut wie Niemand versichert. Mein Beratungsalltag ist geprägt von PKV-Tarifen, die vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind. Das ist sicher auch eine beeinflusste Wahrnehmung, da sich eben die melden, die ein Problem haben. Allerdings sind PKV-Versicherte mit viertstelligen Monatsbeiträgen schon lange keine Seltenheit mehr.

In welchen Fällen, würden Sie einem Menschen raten, von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung zu wechseln?

Lukas Schlichtebrede: Wenn die Hauptmotivation für einen Wechsel die besseren Leistungen der PKV sind und ein Kunde bereits ist, dafür auch mehr Geld zu bezahlen, sage ich „Herzlich Willkommen“. Ich weise deutlich darauf hin, dass die Rechnung „besser versichert und gleichzeitig weniger dafür bezahlt“ in den seltensten Fällen aufgehen wird. Wenn eine kurzfristige Ersparnis gegenüber der GKV das Hauptmotiv ist, rate ich vom Wechsel ab. Noch bessere Leistungen kosten auf ein Leben betrachtet mehr Geld, allemal, wenn Familienplanung eine Rolle spielt. Wechselt man, müssen Ersparnisse gegenüber dem GKV-Beitrag konsequent als Beitragsentlastung für das Alter angelegt werden. Das erfordert Durchhaltevermögen und eignet sich nicht für jeden Kunden.

Während Deutschland altert und länger lebt, zahlen immer weniger ArbeitnehmerInnen ein. Was bedeutet diese Entwicklung für die GKV?

Lukas Schlichtebrede: Man muss sich den Entwicklungen anpassen. Die GKV gibt es seit 130 Jahren, einige PKVs noch ein bisschen länger. Innerhalb dieser Zeit ist die Lebenserwartung bereits eklatant gestiegen und die beiden Systeme haben die Transformation immer wieder geschafft. Warum sollte das nicht in Zukunft gelingen? Bürger müssen sich überlegen, welchen Anteil Ihres Vermögens sie für Gesundheit ausgeben möchten. Es kann mit Leistungsgrenzen, höheren Beiträgen oder Erweiterung der Versichertengemeinschaft funktionieren. In der Verwaltung gibt es sicher Potenzial, aber das ist begrenzt und das wird eine Fußnote bleiben. Politisch ist zu diskutieren, inwiefern man mit Gesundheit Geld verdienen muss. Gewinnstreben ist der stärkste Motor für Innovation und Entwicklung, trotzdem erkenne ich Tendenzen, dass Menschen ausufernde Gewinnmargen nicht mehr hinnehmen, insbesondere bei Medikamenten. In der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt diskutieren natürlich Gesundheitsökonomen schon lange, was ein (weiteres) Jahr Leben kosten darf. Mittelknappheit gibt es ja unbestritten jetzt schon und ein Lösungsvorschlag ist das QALY Konzept, über das man eigens stundenlang sprechen könnte. In der Coronapandemie habe ich oft gehört, dass man froh sei, in Deutschland zu leben. Die fluchtartigen Urlaubsabbrecher im letzten Jahr zeigen doch den Graus der Deutschen, im Ausland im Krankenhaus landen zu müssen.  Wollen wir das Niveau behalten, sollten wir weniger darüber jammern, dass uns das Geld kostet, sondern effektiv daran arbeiten, es zu optimieren.

Herr Schlichtebrede, vielen Dank für das Gespräch!

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