Stefan Kirchner: Vertrauen in die Finanzmärkte stärken

Interview mit Stefan Kirchner
Stefan Kirchner ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des unabhängigen Vermögensverwalters HONESTAS aus Hamburg. Mit ihm sprechen wir über Regulierungen seit der globalen Finanzkrise, außerbörsliche Derivate sowie eine mögliche Finanzkrise durch Corona.

Seit der globalen Finanzkrise sind Maßnahmen zur Regulierung und Stabilisierung der Finanzmärkte in das Zentrum der politischen Debatten gerückt. Das Basler-Regelwerk ist in eine einheitliche europäische Bankenregulierung, die „Capital Requirements Regulation“ (CRR) und die „Capital Requirements Directive“ (CRD IV) wurden umgesetzt. Haben die Regulierungen Ihrer Meinung nach zu mehr Stabilität geführt?

Stefan Kirchner: Empirischen Untersuchungen zufolge scheinen die Banken durch die verschärften Anforderungen an das Eigenkapital widerstandsfähiger geworden zu sein und könnten Verluste damit besser tragen. Gleichwohl existieren jedoch weiterhin hohe Bestände an notleidenden Krediten, die ein zentrales Risiko für die Stabilität des europäischen Bankensektors darstellen. Angesichts der zu erwartenden Unternehmensinsolvenzen im Zuge der anhaltenden Corona-Pandemie ist davon auszugehen, dass das Risiko weiter zunimmt und die Stabilität damit auf eine Probe gestellt wird.

Wie bewerten Sie die Nebenwirkungen von Regulierungen, beispielsweise höhere Kosten, weil einerseits die Unternehmen höheren Anforderungen unterliegen und anderseits die gesetzgebende Seite stetig den Prozess überwachen muss. Sehen Sie noch weitere negative Folgen?

Stefan Kirchner: Mit steigenden regulatorischen Kosten, die sich in hohen finanziellen Aufwendungen für Umsetzung und fortlaufende Einhaltung geltender Vorschriften niederschlagen, kommen viele Unternehmen massiv unter Druck.

Aus einer möglichen regulierungsbedingten Verschlechterung der Wettbewerbsposition resultieren zusätzlich indirekte Kosten. Außerdem entstehen durch eine Veränderung von Geschäftsstrategien und -modellen Opportunitätskosten, die sich etwa als Konsequenz der Untersagung bestimmter profitabler Geschäftsaktivitäten oder aufgrund der regulierungsbedingten Bindung zuvor zur Verfügung stehender Ressourcen ergeben.

Perspektivisch kann eine stetig strenger werdende Regulatorik zu einem reduzierten Produktangebot sowie einem stark ausgeprägten Spezialistentum führen. Somit werden dann beispielsweise Beratungsleistungen nicht mehr flächendeckend angeboten, sondern nur noch von spezialisierten Beratungszentren und im schlimmsten Fall auch nur noch für ein zuvor eng definiertes Kundensegment.

Eine besondere Rolle als Auslöser der Finanzkrise soll nicht der heiß gelaufene US-Immobilienmarkt gewesen sein, sondern zwischen Finanzmarktteilnehmern direkt bilateral abgeschlossene Derivate („Over-the-Counter-Derivate“, kurz OTC). Sind außerbörsliche Derivate weiterhin eine Gefahr für das Finanzsystem?

Stefan Kirchner: Da diese Geschäfte in nicht regulierten Segmenten der Finanzmärkte stattfinden, tragen die Vertragspartner das jeweilige Kontrahentenrisiko. Sobald ein Handelspartner seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt, kann der dadurch verursachte Verlust eine Insolvenz der Gegenpartei auslösen. Im Fall einer Kettenreaktion, bei der weitere Finanzinstitute angesteckt werden, kann dies zu einer Gefährdung des gesamten Finanzsystems führen.

Um die Stabilität und Ausfallsicherheit des Finanzsystems zu stärken, wurden verschiedene Rahmenbedingungen bezüglich der Regulierung und Durchführung von OTC-Derivatekontrakten eingeführt. Dazu zählen erhöhte Eigenkapitalunterlegungen für Ausfallrisiken und Marktwertschwankungen von Derivaten im Falle der Bonitätsverschlechterung eines Kontrahenten sowie die Verlagerung des OTC-Derivategeschäfts auf zentrale Kontrahenten.

Wie schätzen Sie das Vertrauen in den Finanzmarkt auf institutioneller Ebene ein?

Stefan Kirchner: In den letzten Jahren wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um das Vertrauen in die Finanzmärkte zu stärken. Kreditinstitute müssen höhere Eigenmittel vorhalten und sich regelmäßig Stresstests unterziehen. Im Notfall treten Staaten als Garantie- oder Kapitalgeber ein, um systemrelevante Banken und Unternehmen vor Insolvenzen zu bewahren.

Eine zentrale Rolle hinsichtlich der Vertrauensbildung bei Investoren nehmen die Notenbanken ein. Mit ihrem geldpolitischen Instrumentarium sind sie seit langer Zeit in der Lage, optimale Rahmenbedingungen für die Konjunktur zu schaffen und somit die Grundüberzeugung der Anleger positiv zu beeinflussen.

Kann Corona eine ähnliche Finanzkrise wie die von 2008 auslösen? Erwartet uns eine Hyperinflation?

Stefan Kirchner: In der sehr kurzen, aber heftigen Rezession stabilisierten die Regierungen und Notenbanken im Jahr 2020 mit historischen Interventionen die Konjunktur sowie die Finanzmärkte. Damit es nicht zu Rückschlägen kommt, ist es dringend notwendig, längerfristige Lockdowns zu verhindern und die Impfstrategien weltweit mit Nachdruck fortzusetzen.

Obwohl seit einiger Zeit die Geldmengen weltweit steigen, sind kaum Auswirkungen auf die Inflationsraten spürbar. Die vermehrte Liquidität fließt hauptsächlich in die Kapital- und nicht in die Gütermärkte. Im Rahmen von Konjunkturerholungen und Basiseffekten ist ein moderater Anstieg des allgemeinen Preisniveaus denkbar, eine Hyperinflation zeichnet sich mit Stand heute jedoch nicht ab.

Herr Kirchner, vielen Dank für das Gespräch!

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