Stephan Seidenfad: Selbständige leben ständig mit Risiken

Interview mit Stephan Seidenfad
Stephan Seidenfad ist Geschäftsführer der von Buddenbrock Unternehmensgruppe in Essen. Mit ihm sprechen wir über Altersvorsorgepflicht, Solo-Selbständige sowie mögliche Alternativen.

Die Idee der Altersvorsorgepflicht für Selbständige ist nicht neu. Was halten Sie davon?

Stephan Seidenfad: Ich finde die grundlegende Idee sehr gut und notwendig. Viele Selbständige machen sich bei Ihrer eigenen Vorsorge etwas vor und rechnen sich damit das eigene Unternehmen schöner als es ist. Andererseits muss der Gesetzgeber zwei Dinge im Auge haben: in jedem Fall muss es eine Übergangsfrist für „frische“ Selbständige geben und auch eine Übergangsregelung für weitestgehend etablierte Selbständige, die man nicht von heute auf Morgen in eine enge Korsage zwängen kann. Aus meiner Sicht wäre eine feste Grundversorgung mit einem zwingenden Mindestbeitrag und einem freiwilligen Mehrbeitrag sinnvoll. Der verbindliche Teil muss die Grundsicherung erzeugen und der andere Part darf dann Spaß machen. Was nicht passieren sollte, ist die zwingende Einbindung in die gesetzliche Rentenversicherung, so dass die Chance auf eine freie Wahl zwischen einer konkreten privaten oder einer gesetzlichen Lösung verbleibt. Die Bürokratie der gesetzlichen Rente ist ebenso hinderlich für Selbständige wie die fehlende Flexibilität im Krisenfall. Zudem darf sich der Gesetzgeber nicht der Illusion hingeben, dass man die angeschlagene gesetzliche Rente durch neue Beitragszahler aus der Selbständigkeit „auffangen“ kann. Nicht alle Selbständigen sind gesund, motiviert und gehen souverän aufs Alter zu. Im Worstcase verschlechtert oder verschlimmbessert man die Kassen-Situation.

Selbständige bezahlen deutlich höhere Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung als Arbeitnehmer mit vergleichbarem Einkommen. Woran liegt das?

Stephan Seidenfad: Ich bin ein Vorsorge- und bAV-Experte und weit davon weg, ein KV-Experte zu sein. Meines Erachtens zahlen Selbständige potentiell aus drei Gründen mehr: a) Es gibt idR. keinen Arbeitgeber, der sich an den KV-Beiträgen beteiligt, so dass Selbständige 100% des KV-Beitrages selbst tragen muss. Ausnahmen können z.B. GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer oder auch freiberufliche Künstler sein. b) Ein zweiter Grund ist die höhere Absicherung von Krankentagegeld für den Fall einer Arbeitsunfähigkeit. Dies ist beim Angestellten deutlich günstiger. Selbständige müssen dies privat oder gegen Aufschlag zusatzversichern und benötigen ggf. auch schon vor dem Ablauf von 6 Wochen Schutz. c) die gesetzliche Versicherung bietet keinen pauschalen Preis auf Basis des individuellen Risikos, wie eine private Versicherung, sondern braucht einen Mindestbeitrag, der durch entsprechende Unternehmereinkommen schnell und sehr hoch steigen kann.

Wenn die Altersvorsorgepflicht auch auf Selbständige ausgeweitet wird: Was bedeutet das für Solo-Selbständige?

Stephan Seidenfad: Ganz stumpf gesagt: mehr Sicherheit im Alter. Dagegen stehen mehr grundlegende Kosten, die sicherlich einige schlecht bezahlte Selbständige überfordern können bzw. die Fortsetzung des Gewerbebetriebes schlicht unwirtschaftlich machen. Gesellschaftlich liegt hierin jede Menge Sprengkraft, denn zum einen will der Staat verhindern, dass Selbständige in die Altersarmut stürzen, weil sie nicht genug vorgesorgt haben, zum anderen möchte man aber im Hier und Jetzt nicht lauter neue Arbeitslose haben, die ihr Gewerbe aufgeben müssen. So oder so gehört eine Altersversorgung auch für Soloselbständige schlicht dazu und muss geplant sein.

Wie soll die Altersvorsorgepflicht ausgestaltet, wie vorgesorgt werden?

Stephan Seidenfad: Hier kollidieren sicherlich die Vorstellungen der Privatwirtschaft, der auch ich angehöre, und die Vorstellungen der einzelnen Parteien im Bundestag. Wenn ich ein Wunschkonzert spielen dürfte, würde ich folgende Parameter als zwingend ansehen: Attraktivität durch einen hohen Investmentbaustein und damit reduzierte Garantien. Flexibilität bei den Beiträgen, wenn die wirtschaftliche Situation dies nachweislich erforderlich macht. Insofern greife ich die Idee von weiter oben auf: ein verbindlicher Sockel und dies kombiniert mit einem freiwilligen Teil. Optimal kann man hier den Beitrag dann sogar zwischen gesetzlicher und privater Vorsorge splitten, wobei der Staat gerne mit hohen Kosten durch hohe Bürokratie aufwartet.

Was wären die Alternativen dazu? Ein gemeinsamer Rententopf für Angestellte und Selbständige?

Stephan Seidenfad: Die Anforderungen und das Profil von Selbständigen und Angestellten gehen idR. sehr weit auseinander. Dies gilt zumindest dann, wenn jemand nicht aus der Not, sondern aus Überzeugung selbständig ist. Ein Angestellter sucht immer ein gewisses Maß an Sicherheit, Stabilität und Planbarkeit. Selbständige leben ständig mit Risiken, suchen Herausforderungen und leben optimal eine unternehmerische Vision. Diesem Umstand muss eine Rente für Selbständige Rechnung tragen. Mit allem anderen wird man keiner der beiden Seiten gerecht und belastet im Zweifel wahlweise die planbaren „Töpfe“ der Angestellten durch zu viel Volatilität bei den Selbständigen oder aber belastet die Selbständigen mit zu viel Regulatorik bei ihrer eigentlichen Aufgabe: Unternehmen und Innovationen vorantreiben.

Herr Seidenfad, vielen Dank für das Gespräch!

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