Tilo Vieten: Der weltweite Gasmarkt befindet sich aktuell stark im Wandel

Interview mit Tilo Vieten
Tilo Vieten ist Geschäftsführer und Gründer von cheapenergy24 in Augsburg. Mit ihm sprechen wir über steigende Gaspreise, Gründe für den schnellen Anstieg sowie mögliches Eingreifen der Politik.

Der Gaspreis ist so hoch wie nie – seitens des Großhandels jedenfalls. Welche Gründe hat der schnelle Gaspreisanstieg?

Tilo Vieten: Der extreme Gaspreisanstieg an der Börse kommt u. a. durch eine weltweit gestiegene Gas-Nachfrage zustande (z. B. nach dem Ende der Corona-Beschränkungen in vielen Ländern). Diese steigende Nachfrage tritt auf ein begrenztes Angebot. In Deutschland spitzt sich die Situation zu, da bereits seit einiger Zeit die Füllstände der Gasspeicher sehr niedrig sind und ebenfalls seit Längerem geringere Liefermengen aus Russland erfolgen. Bisher stammten über 50 Prozent des Gases in Deutschland aus Russland. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine wurde die Belieferung mit russischem Gas deutlich eingeschränkt. Auch das Projekt Nord Stream 2 wurde gestoppt. Diese Knappheit und der Ansturm auf alternative Beschaffungsquellen (z. B. Flüssiggas aus den USA) treiben die Preise weiter nach oben. Zusätzliche Sanktionen bzw. Importverbote gegenüber Russland als Folge des Krieges könnten diesen Effekt verstärken. Außerdem sorgt die CO2-Steuer für weitere Verteuerungen: Sie wird in Deutschland seit Anfang 2021 erhoben und jährlich erhöht. Durch diesen Steueraufschlag auf Produkte, die Kohlenstoffdioxid enthalten, sollen die Emissionen im Rahmen des Klimawandels reduziert werden. Verbraucher zahlen diese Mehrkosten direkt über den Gaspreis an die Energieversorger, die ihn an den Staat abführen müssen.

Bei den Gaspreisen muss zwischen Verbraucherpreisen und Energiegroßmarkt unterschieden werden. Wie groß sind die Preisunterschiede zwischen B2B- und B-C-Markt?

Tilo Vieten: Der Börsenpreis für Gas lag Mitte März bei 128 Euro pro Megawattstunde. Währenddessen zahlten Verbraucher durchschnittlich etwa einen Preis von 13,4 Cent pro Kilowattstunde. Letzterer enthält jedoch auch sämtliche Anteile für Steuern, Netzentgelte usw., die der Einkaufspreis nicht beinhaltet.

Wie lange und wie stark der Weltmarktpreis noch ansteigen wird, ist unklar. Normalerweise greifen ab einem bestimmten Punkt die Marktmechanismen und der Preis pendelt sich ein. Allerdings betonen viele Experten, dass der Preis erst einmal nicht zurückfallen wird. Wovon hängt es ab, dass jetzt die Marktmechanismen überhaupt greifen?

Tilo Vieten: Der weltweite Gasmarkt befindet sich aktuell stark im Wandel. Beispielsweise hat Russland bereits einige Lieferverträge mit europäischen Ländern beendet und möchte sich in Zukunft stärker auf den asiatischen Markt konzentrieren. Die Europäische Union will zukünftig stärker als Einheit agieren und so einheitliche Preise für die Mitgliedsstaaten ermöglichen. Zudem ist ein Milliardenbußgeld im Gespräch, das die EU-Kommission über den russischen Konzern Gazprom verhängen will, da dieser seine Marktmacht in der EU missbraucht haben soll. Zudem möchte die EU-Kommission eine strengere Überwachung des Gashandels zwischen der EU und anderen Staaten durchsetzen. So sollen fairere Preise und bessere Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Der europäische und der weltweite Gaspreis werden also von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die teilweise noch nicht absehbar sind. Es lässt sich daher schwer prognostizieren, ob die Marktmechanismen für konstantere Gaspreise sorgen können.

Vor allem ärmere Haushalte belasten die hohen Energiepreise, deshalb wurde die Entscheidung über die Frage, wie die Anstiege abgefedert werden können, an die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder weitergegeben. Was denken Sie: Wird die Politik eingreifen und was wird sie tun?  

Tilo Vieten: Inwiefern die Politik in den Gaspreis eingreifen wird, um Haushalte zu entlasten, hängt natürlich von der zukünftigen Gaspreisentwicklung ab, die aktuell nicht absehbar ist. Eine wichtige Rolle spielen z. B. alternative Beschaffungsmöglichkeiten neben Gas aus Russland. BAföG- und Wohngeld-Empfängern wurden bereits Heizkostenzuschüsse zugesichert, die im Sommer 2022 ausgezahlt werden sollen. Denkbar ist zudem eine (vorläufige) Reduzierung der CO2-Steuer, wodurch auch Benzin, Diesel und Heizöl billiger werden würden. Diese Steuer macht aktuell allerdings nur knapp 5 % des Gesamtpreises aus. Möglich wäre auch eine zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer wie bereits zu Beginn der Corona-Pandemie.

In vielen Vergleichsportalen wird davon ausgegangen, dass auch die Abschlagzahlungen in naher Zukunft steigen werden. Preisanhebungen sind seitens des Versorgers sechs Wochen vorläufig anzukündigen. Haben Verbraucher Möglichkeiten, um steigende Abschlagzahlungen zu vermeiden?

Tilo Vieten: Bei Preiserhöhungen haben Gaskunden ein Sonderkündigungsrecht. Damit lässt sich ein bestehender Gasvertrag kündigen, auch wenn die Laufzeit noch mehrere Monate betragen würde. Auch die ursprünglich vereinbarte Kündigungsfrist ist in diesem Fall nicht relevant. Sobald Verbraucher ein Preiserhöhungsschreiben ihres Gasanbieters erhalten, haben sie die Möglichkeit, zu kündigen. Das Sonderkündigungsrecht kann bis zum Tag vor Eintreten der neuen Preise genutzt werden – es gilt jedoch: je früher, desto besser. Der Vertrag endet dann am letzten Tag, an dem die bisherigen Preise gültig sind. Vor dem Einreichen der Kündigung sollten Verbraucher jedoch unbedingt über einen Tarifrechner oder einen Wechselservice prüfen, ob aktuell günstigere Angebote auf dem Gasmarkt verfügbar sind.

Herr Vieten, vielen Dank für das Gespräch!

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