Fahard Rahbari: Dem Alltag ohnmächtig gegenüberstehen

Interview mit Fahard Rahbari
Fahard Rahbari ist Psychologe in der Praxis Psychologischer Fachdienst Cisanta in Wiesbaden. Mit ihm sprechen wir über Depressionen, Symptome dafür sowie allgemeine psychische Erkrankungen.

Die Depression ist eine weit verbreitete psychische Krankheit. Als Hauptsymptom wird immer die Melancholie genannt, doch in den meisten Fällen treten bei Betroffenen noch zahlreiche anderen Symptome auf. Was sind die wichtigsten Symptome, die auf eine Depression hinweisen?

Fahard Rahbari: Das Kernsymptom, das auf eine Depression hinweist, ist das Gefühl, dem Alltag ohnmächtig und ohne Lebenskraft gegenüberzustehen. Das seelische Handlungspotenzial ist niedergedrückt. Depressive Menschen haben keinen Antrieb, empfinden Schwermut, sind motivationslos, traurig und fühlen sich wertlos mit einem Gefühl des Nicht-geliebt-Werdens. Das Denken ist geprägt durch selbstquälerisches Grübeln, Pessimismus, Selbstvorwürfe, Sorgen und Schuldgefühle. Hinzu kommen körperliche Symptome wie Schlaf oder Appetitstörungen, häufige Verdauungsbeschwerden, Gewichtsverlust, Muskelverspannungen (oft im Nacken und Schultern), chronische Schmerzen wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Schwindelgefühl, Sehstörungen wie Flimmern und verschwommenes Blickfeld. Auch das kann auf eine Depression hinweisen: Manche Menschen leiden nicht unter Appetitlosigkeit, sondern bekommen bei Depressivität mehr Appetit, sodass sich „Kummerspeck“ ansetzt. Manche Menschen leiden nicht unter vermindertem Schlaf, sondern Müdigkeit und werden zu Langschläfern.

Bei Betroffenen ist die Depression häufig nicht immer allgegenwärtig. Warum tritt die Krankheit oft in Episoden auf?

Fahard Rahbari: Depressionen zeigen oft einen schwankenden Verlauf. Nach meist beschwerdefreien Phasen tritt im Verlauf der Zeit erneut eine depressive Episode auf, man spricht dann von wiederkehrenden (rezidivierenden) depressiven Episoden. Ein Beispiel ist die sogenannte Winterdepression, die saisonal in der dunklen Jahreszeit auftritt. Hauptrisikofaktoren für wiederkehrende depressive Episoden ist ein geringer Selbstwert, welches depressionsfördernd wirkt und komorbide psychische Begleiterkrankungen, wie Suchterkrankungen und Angststörungen. Oftmals fehlt den depressiven Menschen einfach auch soziale Netzwerke wie Freunde und Familie. Weitere Aspekte wie aufkommende Beziehungsprobleme und berufliche Probleme, die einfach verdrängt werden und ausweichendes Verhalten nach Frühwarnzeichen können wieder eine depressive Episode auslösen.

Psychische Krankheiten sind mit dem Stigma behaftet, dass man diese nicht loswerden kann. Wie wird eine Depression diagnostiziert und behandelt? Ist die Krankheit wirklich unheilbar?

Fahard Rahbari: Für eine sichere Diagnose muss der depressive Mensch zunächst vom Hausarzt körperlich, internistisch und neurologisch untersucht werden, um organische Krankheiten mit ähnlicher Symptomatik auszuschließen. Anschließend findet z. B. bei einem psychologischen Psychotherapeuten ein ausführliches Gespräch statt, indem die aktuellen Beschwerden und die Vorerkrankungen abgeklärt werden. Anschließend wird der psychische Befund erhoben. Zusätzlich kommen noch standardisierte Depressionsfragebogen zum Einsatz. In der anschließenden Psychotherapie wird als bewährte therapeutische Methode die kognitive Verhaltenstherapie angewendet. Hier werden die erlernten und automatischen Denk- und Verhaltensmuster, die zu störungsaufrechterhaltendem Verhalten führen und damit Probleme und Leidensdruck verursachen, umstrukturiert bzw. verändert. Der Patient ist bei dieser Therapieform sehr aktiv, da er oft mit dem Therapeuten Rücksprache hält. Die Depression ist mit dieser Methode gut heilbar. Man darf natürlich nicht erwarten, dass nach Beendigung der Psychotherapie man für immer völlig symptomfrei bleibt. In der Therapie wird mit dem Patienten immer auch eine Rückfallprophylaxe erarbeitet. In einigen Fällen kann in Absprache mit dem Hausarzt für eine kurze Zeit begleiten. Medikamente aus der Medikamentengruppe der Antidepressiva eingesetzt werden. Die Antidepressiva entfalten ihre stimmungsaufhellende Wirkung unabhängig von der jeweiligen Ursache der Depression. Die verschiedenen Antidepressiva unterscheiden sich hinsichtlich ihres Wirkungsprofils. So können sie neben einer stimmungsaufhellenden Wirkung auch antriebssteigernde, antriebsneutrale oder antriebsdämpfende sowie beruhigende und angstlösende Wirkungen entfalten.

Laut einer Studie werden 20% aller Frauen mindestens einmal an einer depressiven Episode leiden. Warum erkranken weltweit mehr Frauen an Depressionen als Männer?

Fahard Rahbari: Bei Frauen kommen Depressionen doppelt so häufig vor wie bei Männern. Zu dieser höheren Häufigkeitsrate bei Frauen können möglicherweise viele hormonelle Faktoren beitragen. Vor allem die Östrogenwerte, die das weibliche Seelenleben maßgeblich beeinflussen. Das „Prämenstruelle Syndrom“ (PMS) bedingt Gereiztheit, Niedergeschlagenheit, Launenhaftigkeit und teilweise sogar depressive Verstimmungen in den Tagen vor den Tagen. Viele Frauen sind auch zusätzlichen Belastungen durch ihre Pflichten zu Hause und am Arbeitsplatz und durch die Betreuung von Kindern und die Pflege betagter Eltern ausgesetzt. Nach der Geburt eines Babys sind viele Frauen besonders anfällig. Die hormonellen und körperlichen Veränderungen und die zusätzliche Verantwortung können Faktoren sein, die zu einer Depression nach der Entbindung führen. Während vorübergehende Stimmungstiefs bei jungen Müttern häufig sind, ist eine ausgeprägte depressive Episode nicht normal. Ein weiterer Punkt ist die stärkere Beziehungsorientierung von Frauen als Stressauslöser und langfristig als Depressionsauslöser. Das drückt sich im Kommunikationsverhalten aus. In Männergesprächen geht es vor allem um den Austausch von Sachinformationen und das Abklären von Status. Frauengespräche dagegen dienen vor allem der Herstellung und Bestätigung von Beziehung. Es geht ihnen darum, Gemeinsamkeit zu spüren, sich gegenseitig zu unterstützen, Gefühle zu teilen, sich zugehörig zu fühlen in Beziehung zu sein. Frauen leiden stärker als Männer unter Störungen in sozialen Beziehungen und machen die Probleme anderer nahe Stehender auch gern zu ihren eigenen.

Die Entstehung der Krankheit ist immer noch wenig erforscht. Oftmals wird die Arbeit genannt, die zu einer Depression führt. Doch wie kommt es zu einer depressiven Phase und welche Auswirkung hat die Arbeit auf die Entstehung einer Depression?

Fahard Rahbari: Die Entstehung einer Depression wird von zwei Seiten aus betrachtet: von der körperlichen und seelischen Seite. Aus neurobiologischer Perspektive entsteht die Depression durch die direkten oder indirekten Folgen von Störungen oder Erkrankungen vom Gehirn. Hieran sind die biochemischen, anatomischen, neuroendokrinen und physiologischen Prozesse beteiligt. Aus psychosozialer Perspektive sind die Ursachen intrapsychischer und nicht biologischer Natur. Daran sind bestimmte Entwicklungs- und Persönlichkeitsfaktoren beteiligt, fehlerhafte Wahrnehmung der Situationswirklichkeit, fehlerhafter Schlussfolgerungen oder inadäquater Problemlösungen. Auslöser einer depressiven Phase können aktuelle psychische Belastungen sein. Viele depressiv kranke Menschen hatten, kurz bevor die Störung erstmals auftrat, schwere Belastungen zu ertragen. Sie haben z. B. eine vertraute Person verloren, Fehltritte und Misserfolge erlitten. Auch finanzielle Nöte oder Isolation steigern das Risiko für eine depressive Phase. Hinzu kommen mangelnde psychische Bewältigungsstrategien. Zu den psychischen Bewältigungsstrategien zählt die Fähigkeit, mit Kritik und Ablehnung umzugehen, mit Verlusten fertig zu werden, Konflikte zu ertragen und der Fähigkeit, mit Fehlern und Niederlagen umgehen zu können. Auch körperliche Erkrankungen können das Risiko einer depressiven Phase erhöhen, z. B. Diabetes. Auch die Arbeit kann eine Depression herbeiführen. Häufig ist ein Ungleichgewicht zwischen hohen geforderten beruflichen Arbeitsanforderungen und den erhaltenen Belohnungen wie Anerkennung, zu geringes Gehalt und Karrieremobilität maßgebend. Weitere Faktoren sind Arbeitsstress, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Umstrukturierung im Unternehmen, nicht planbare Arbeitszeiten, Teamkonflikte, niedrige soziale Unterstützung, emotionale Arbeitsbelastung, Mobbing, schlechtes Organisationsklima, Zeitdruck und geringe Unterstützung durch den Vorgesetzten. Viele dieser Umstände führen langfristig zu einem Stau von ungelebter Aggression, die nicht nach außen, sondern ihre Aggression gegen sich selbst wenden.

Vor allem für Arbeitgeber sind träge und unmotivierte Mitarbeiter hinderlich. Wie können diese mit einer Depressionsdiagnose eines Mitarbeiters im eigenen Unternehmen umgehen?

Fahard Rahbari: Bei depressiven Mitarbeitern kann die Führungskraft zuerst für das Anpassen der Aufgaben und Leistungserwartungen an das aktuelle Leistungsvermögen sorgen und für erholungsförderliche Kurzpausen. Anschließend ist Schutz vor Druck, Mobbing und Ausgrenzung durch Kollegen wichtig. Ein authentischer und kooperativer Führungsstil vermittelt den depressiven MitarbeiterInnen ein Sicherheitsgefühl und baut Vertrauen zu den Führungskräften auf. In persönlichen Gesprächen kann die Führungskraft herausfinden, ob das Desinteresse und die Arbeitsunwilligkeit durch Langeweile der Tätigkeit geprägt ist. In diesem Fall erklärt die Führungskraft ihren Mitarbeitern, wie ihre Arbeit zum Erfolg des Gesamtsystems beiträgt und überträgt ihnen weitestgehend viel Verantwortung. Am besten teilt man große Aufgaben in kleine, zu bewältigende Schritte ein. Hierdurch gewinnen die MitarbeiterInnen wieder Optimismus und die Kenntnis der eigenen Stärken werden gefördert. Um gezielt die Trägheit der depressiven Mitarbeiter zu bekämpfen, muss die psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) erhöht werden. Der Arbeitgeber kann Kurse zu Genusstraining, Aufbau positiver Aktivitäten, Entspannung, Bewegung und Sport anbieten.

Herr Rahbari, vielen Dank für das Gespräch!

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