Dr. Jochen Becker: Wahrung geltender Kündigungsfristen

Interview mit Dr. Jochen Becker
Dr. Jochen Becker ist Rechtsanwalt bei der OPTIMA packaging group GmbH in Schwäbisch Hall. Mit ihm sprechen wir über Änderungskündigung, Gründe hierfür sowie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

Nicht jeder ist mit allen Formen einer Kündigung vertraut. Was versteht man unter einer Änderungskündigung?

Dr. Jochen Becker: Die Änderungskündigung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ausspricht, hat laut § 2 KSchG eine doppelte Funktion. Der Arbeitgeber:

1. kündigt laut Satz 1, 1 Halbsatz dem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis komplett,

2. bietet dem Arbeitnehmer gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu veränderten Bedingungen an. Hört sich zuerst mal für den Arbeitnehmer sehr negativ und alternativlos an. Wenn er die Änderungen nicht akzeptiert, ist er gekündigt, keine guten Perspektiven und keine echte Wahlfreiheit. Der zweite Halbsatz Satz 2 weist dem Arbeitnehmer aber einen gangbaren Ausweg. Er kann die vom Arbeitgeber angebotenen, geänderten Bedingungen unter der Voraussetzung annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial nicht ungerechtfertigt ist gem.§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2.

Die Regelung bietet ihm in der unbestreitbaren Drucksituation somit die Möglichkeit:

1. er nimmt vom Arbeitgeber angebotenen Änderungen vorläufig und unter Vorbehalt an und sichert sich somit sein Anstellungsverhältnis, schlimmstenfalls zu geänderten, in der Realität wohl schlechteren Bedingungen und

2. lässt in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren überprüfen, ob die geänderten Bedingungen (nicht in den Raum gestellte Kündigung) sozial gerechtfertigt sind. Es geht dann nicht mehr um Sein oder Nichtsein des Anstellungsverhältnisses, sondern um die zukünftige Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses. Wichtig ist jedoch, dass der Arbeitnehmer schnell reagiert. Da hier die Spielregeln des Kündigungsverfahrens gelten, muss der Arbeitnehmer die Änderungskündigung innerhalb der Dreiwochen-Frist nach Erhalt der schriftlichen Änderungskündigung gerichtlich angreifen §4 S1.1 KSchG, sonst werden die neuen geänderten Bedingungen wirksam. Hier gilt Schweigen bzw. Nichtstun dann als Annahme, was ja im realen Leben eher nicht der Fall ist. Aufgrund der kurzen Reaktionszeit des Arbeitnehmers muss daher das Änderungsangebot sehr konkret sein, daher der Arbeitgeber muss die neu angebotenen Arbeitsbedingungen detailliert beschreiben. Die Änderungskündigung ist auch Ausdruck des Ultima ratio Prinzips. Bevor der Arbeitgeber kündigt, muss er ausloten ob und welche freien, zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten es weiterhin für den Arbeitnehmer im Betrieb zu gleichen oder zu geänderten Bedingungen gibt. Dies ist auch regelmäßig der Prüfungsauftrag an das Gericht im Kündigungsschutzverfahren.

Können Sie uns Gründe oder Situationen nennen, in denen Eine Änderungskündigung häufig zum Einsatz kommt?

Dr. Jochen Becker: Die Bandbreite der Änderungskündigung geht über die gesamten Fälle der anerkannten Kündigungsgründe laut § 1 KSchG. Betriebsbedingt: Daher Grund für die Kündigung sind ausschließlich betrieblicher Natur und stehen nicht im Einfluss, im Verhalten oder in der Person der Arbeitnehmer. Also z.B. die Re- und Umorganisation von Teilbereichen, Verlagerung von Arbeitsplätzen, usw. Nie die Gesamtbetriebsschließung, denn dann fehlt es ja an einer Möglichkeit zur Weiterarbeit unter geänderten Bedingungen insgesamt. Personenbedingte Gründe: Der Mitarbeiter ist den vorhandenen oder gewandelten Arbeitsbedingungen gesundheitlich oder von der Berufsqualifikation her nicht mehr gewachsen, ein leidensgerechter oder qualifikationskonformer Arbeitsplatz ist aber im Betrieb vorhanden. Verhaltensbedingte Gründe: Eher selten, denn hier muss der Arbeitnehmer ja bereits wiederholt und einschlägige Arbeitsvertragsverstöße begangen haben, also sozusagen er hat persönlich etwas auf dem Kerbholz. Da wird eine Änderungskündigung wohl selten weiterhelfen oder zu einer Verhaltensänderung führen. Denkbar wäre hier der Fall eines latenten Konflikts zwischen Kollegen am Arbeitsplatz, den man durch Trennung zu lösen versucht. Aber dann stellt sich die komplexe Frage, wer ist Störer und wer muss weichen.

Eine Änderungskündigung gemäß §2KSchG ist also eine “richtige” Kündigung. Wann ist eine Änderungskündigung rechtmäßig und wann unwirksam?

Dr. Jochen Becker: Ja ist sie, daher hier sind z.B. die geltenden Kündigungsfristen zu wahren und ist der Betriebsrat vor Ausspruch anzuhören. Die Prüfungsroutine der Änderungskündigung ist die unter 2.: gibt es nachvollziehbare betriebliche, persönliche oder verhaltensbedingte Gründe, die der Arbeitgeber für die einseitige Änderung der Bedingungen benennen und im Zweifel auch gerichtsfest beweisen kann. Die Gerichte prüfen das bis ins Detail wie bei der Beendigungskündigung, es gibt da keinen Bonus für die Arbeitgeber, der den Mitarbeiter ja gerade nicht entlassen will. Die Hürde hängt damit hoch, der Aufwand ist immens und viele Arbeitgeber scheuen daher den Ausspruch der Änderungskündigung und wählen die kooperative Einigung mit dem Arbeitnehmer oder andere Workarounds. Und in Konsequenz, wenn der Arbeitnehmer auf volles Risiko mit dem Argument geht: Ich nehme die vom Arbeitgeber geänderten Bedingungen unter keinen Umständen an, selbst wenn der Arbeitgeber die unter 2. aufgeführten sozial gerechtfertigten Gründe gem.§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 der Änderung zu Grunde gelegt hat, läuft es auf eine Beendigung hinaus. Dann verzichtet der Arbeitnehmer auf seinen sozialen Schutz und ist in Summe schlecht beraten, denn die angerufenen Gerichte werden dann auch im Hinblick auf den Vorschlag einer Sozialabfindung bei Beendigung, eher reserviert sein.

Kommt es zu einer Änderungskündigung, hat der Arbeitnehmer wie bei einer konventionellen Kündigung verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Welche Optionen hat der Arbeitnehmer und was haben die einzelnen Reaktionen für Konsequenzen?

Dr. Jochen Becker: Es gibt drei Handlungsalternativen für den Mitarbeiter: Annahmen, Annehmen unter Vorbehalt (der gerichtlichen Überprüfung), Ablehnung. Die sollte er auch zeitnah an den Arbeitgeber kommunizieren. Der Arbeitnehmer kann natürlich die Änderungskündigung annehmen und sollte das auch tun, wenn er ernsthaft glaubt, keine Alternativen zu haben oder das Angebot für ihn akzeptabel ist. Oft ist das ja auch eine erwägenswerte Alternative, z.B. bei bestehender Überforderung oder belastendem Umfeld, daher der Arbeitnehmer kann sich mit der Änderung vorübergehend oder dauerhaft arrangieren. Das kann man dann so dem Arbeitgeber kommunizieren, nach dem Motto, ich kenne meine Ansprüche, akzeptiere das trotzdem, das ist auch kein Zeichen der Schwäche oder Unterwerfung, sondern eine rationale und ökonomische Einschätzung, daher lohnt der Aufwand eines Kündigungsverfahrens. Im Vorfeld kann sich der Arbeitnehmer mit einem Anwalt beraten, bei Mitgliedschaft in der Gewerkschaft dem Gewerkschaftssekretär und ganz wichtig, wo im Betrieb vorhanden, unbedingt mit dem Betriebsrat. Der Betriebsrat ist in das Verfahren der Änderungskündigung einzubeziehen, anzuhören und hat somit viel Hintergrundwissen über die Gesamtsituation im Betrieb und vorhandene Handlungsalternativen. Andernfalls Annahme unter Vorbehalt, daher die geänderten Arbeitsbedingungen innerhalb der Dreiwochenfrist angreifen und mit Hilfe eines Anwalts oder Gewerkschaftssekretärs gerichtlich überprüfen lassen und somit vorläufig das Änderungsangebot annehmen. Dann hat der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz gesichert und es geht um die inhaltliche Ausgestaltung also das wie der Arbeit nicht das ob. Aber auch das im Betrieb kommunizieren und offen mit der Situation umgehen, daher nie auf Totalverweigerung setzen. Dritte Alternative ist die Ablehnung des Änderungsangebots. Dann wirkt die Kündigung als Beendigungskündigung, die ja nach § 1 KSchG auch der sozialen Rechtfertigung bedarf. Will der Arbeitnehmer die Kündigung angreifen muss er ebenfalls in der 3 Wochen Frist des § 4 KSchG reagieren und die Kündigung gerichtlich angreifen. Dann steht aber das Änderungsangebot nicht mehr zur Prüfung.

Wie verhält es sich mit dem Kündigungsschutzgesetz bei Änderungskündigungen?

Dr. Jochen Becker: Der Kündigungsschutz laut KSchG ist wie gesagt uneingeschränkt da und bezieht sich hier nicht nur auf den Schutz vor Beendigung des Anstellungsverhältnisses (wie bei Beendigungskündigung), sondern im Bestand des Anstellungsverhältnisses, auf den Schutz vor ungerechtfertigter inhaltlicher Änderung, daher für den Arbeitnehmer eine erträglichere Situation, auch wenn das gesamt Procedere sicher auch so, eine erhebliche Stresssituation für alle (Arbeitnehmer und Vorgesetzter) darstellt. Kurzer Exkurs. Man darf nicht vergessen auch Vorgesetzte, sind ja in der Regel Arbeitnehmer, daher potentiell Betroffene und stecken so was nicht einfach weg, sondern können sich sehr gut in die Situation hineinversetzen. Und Kündigungen führen im Unternehmen immer zu viel Unruhe über den Betroffenen hinaus.

Arbeitnehmer können verschieden mit der Änderungskündigung umgehen. Wann raten Sie Betroffenen dazu, eine Änderungskündigung abzulehnen und wie müssen diese dann dahingehend vorgehen?

Dr. Jochen Becker: Komplett ablehnen ist eigentlich nie eine Option, sondern wäre eine Art von Glücksspiel mit dem Einsatz: „Arbeitsplatz“. Daher dem Arbeitgeber erklären, dass man dann Verständnis aufbringt, wenn er sich seinerseits an die Spielregeln und das Recht hält. Wenn man nicht überzeugende Gründe findet und die Entscheidung des Arbeitgebers auch nach Rücksprache mit dem Betriebsrat und dem Vorgesetzten nicht objektiv nachvollziehen kann, lässt man die Änderung gerichtlich überprüfen und macht damit von dem sozialen Schutzbedarf als Arbeitnehmer Gebrauch. Wenn die Änderungen in Ordnung sind, entweder persönlich seinen Frieden damit machen oder wenn man das nicht kann, halt aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus, mittelfristig eine neue Tätigkeit anstreben. Diese Resilienz und Berechenbarkeit der Arbeitnehmer, sollten eigentlich auch zukünftige, verständige Arbeitgeber zu schätzen wissen, daher man sollte das offen im Bewerbungsprozess als Veränderungswunsch kommunizieren können: (es passt nicht mehr, ich suche eine Veränderung, da mir eine mich erfüllende Tätigkeit, persönlich auch wichtig ist).

Herr Dr. Becker, vielen Dank für das Gespräch!

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