Melanie Schumacher: Zeichen für einen Wechsel sind gesundheitliche Symptome

Interview mit Melanie Schumacher
Melanie Schumacher ist selbständiger Karrierecoach und Expertin für berufliche Neuorientierung bei karriere&perspektiven in Bonn. Mit ihr sprechen wir über berufliche Neuorientierung, Rahmenbedingungen der Arbeit sowie Unzufriedenheit.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit ihrem Job sind. Für viele ist aber eine berufliche Neuorientierung keine Option. Was sind die häufigsten Gründe, die zu einer Jobunzufriedenheit führen?

Melanie Schumacher: Interessanterweise sind es häufig die sogenannten „Rahmenbedingungen“ der Arbeit, die Menschen unzufrieden machen. So berichten viele meiner KlientInnen über mangelnde Anerkennung, wenig bis keine Entwicklungsmöglichkeiten, wenig Gestaltungsspielraum, schlechtes Arbeitsklima, viel Arbeit und hohen Leistungsdruck oder ein unbefriedigendes Gehalt. Daraus resultiert mitunter Überforderung bis hin zum Burnout oder auch das Gegenteil, der Boreout.

Woher weiß man, dass es Zeit ist, den Job zu wechseln, um sich neuen Herausforderungen zu stellen?

Melanie Schumacher: Das ist natürlich auch immer subjektiv, aber wenn man dieses Gefühl der Unzufriedenheit hat, dann sollte man dem auf den Grund gehen. Grundsätzlich rate ich dazu, zunächst das Gespräch mit der oder dem Vorgesetzten zu suchen bzw. zunächst Alternativen innerhalb der Organisation zu prüfen. Wenn ich mich mit meiner Chefin nicht verstehe, könnte ich beispielsweise versuchen, in eine andere Abteilung zu wechseln. Wenn das Unternehmen keine Alternativen bieten kann bzw. eine Weiterentwicklung nicht möglich ist, dann ist es Zeit, über einen Unternehmenswechsel nachzudenken. Ebenso verhält es sich, wenn man in einen ganz anderen Beruf wechseln möchte. Ich rate auch dazu, nicht allzu lange mit einem Wechsel zu warten, wenn man Kenntnis davon erhält, dass sich das Unternehmen in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befindet oder Unternehmensteile geschlossen werden sollen. Ich erlebe es immer wieder, dass Mitarbeiter diese wirtschaftlich prekären Situationen kommen sehen und dennoch verharren, bis sie sich schließlich unter Zeitdruck eine neue Stelle suchen müssen. Ganz deutliche Zeichen dafür, dass die Zeit für einen Wechsel reif ist, sind gesundheitliche Symptome. Wenn man sich zunehmend unwohler fühlt, der Gedanke an die Arbeit psychische und körperliche Krankheitssymptome hervorruft, sind dies sehr ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass wichtige Bedürfnisse nicht beachtet werden. Spätestens dann ist es höchste Zeit, zu handeln.

Viele Beschäftigte über 35 haben Hemmungen sich neu zu orientieren. Kann man im fortgeschrittenen Alter noch adäquat Karriere machen?

Melanie Schumacher: Die Frage, die sich hier stellt, ist, was bedeutet „Karriere“? Früher war der Begriff gleichbedeutend mit dem beruflichen Aufstieg in der (internen) Hierarchie, auf der „Karriere-Leiter“. Dies entspricht heute immer weniger den Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt. Berufliche Entwicklungspfade werden zunehmend individueller. Karriere bedeutet heute entsprechend eine berufliche Entwicklung, die den eigenen Stärken, Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Da sich gerade Wünsche und Bedürfnisse im mittleren Lebensalter deutlich von denen in jüngeren Jahren unterscheiden können, liegt es auf der Hand, dass sich eine gute berufliche Entwicklung auch daran anpassen sollte. Dass eine Karriere auch in fortgeschrittenem Alter noch möglich ist, dafür gibt es mittlerweile sogar Begriffe, z. B. der aus dem Amerikanischen stammende der „Encore Career“ oder im Deutschen die „Zweite Karriere“. Dazu passt, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die die Erfahrung von Menschen 40+ schätzen oder so manch‘ Angestellte auch Lust darauf bekommt, in die Selbständigkeit zu wechseln oder zunehmend „Mosaik-Karrieren“ gelebt werden. Gerade über 40 beginnen sich viele Menschen zunehmend zu langweilen bzw. sie sehnen sich nach Veränderung im Job. Hier gilt es genau zu hinterfragen: Was genau stört mich? Ist es die Tätigkeit als solche oder sind es meine Werte, die vielleicht nicht (mehr) zum Unternehmen passen oder sind es die Rahmenbedingungen?

Ein Neuanfang ist immer schwer. Wie kann man mentale Hürden der Neuorientierung überwinden?

Melanie Schumacher: Ein Neuanfang ist in der Tat für viele Menschen, die ja schon gewisse Ansprüche haben, wie ein riesiger Berg. Sie stehen am Fuße dieses Berges und wissen häufig nicht, welchen Weg sie nehmen können und ob sie einen Aufstieg schaffen werden. Hier hilft es, wenn man seinen Rucksack gut gepackt hat, sprich seine Ressourcen kennt und Selbstvertrauen getankt hat. Dann sollte man seine Route festlegen und auch alternative Wege in der Hinterhand haben. Eine berufliche Neuorientierung ist ein Projekt, für das ich mir am besten einen Projektplan mache, den ich konsequent verfolge und ggfs. auch anpasse. So eine Neuorientierung braucht Selbstvertrauen und ganz besonders das, was Psychologen „Selbstwirksamkeit“ nennen, also das Vertrauen darauf, dass ich Aufgaben auch bewältigen kann. Ein bewährtes Mittel ist es, sich eigene (berufliche) Erfolge bewusst zu machen. Was sind meine Erfolgsgeschichten?

Hilfreich ist es außerdem, wenn man die berufliche Neuorientierung als agilen Prozess der kleinen Schritte, die schnell einem Praxistest unterzogen werden, versteht. Das Motto ist „fail often but early“. Wenn man z.B. überlegt, ein Café zu eröffnen, dann kann man doch vielleicht zunächst mal einen Samstag im Lieblingscafé jobben. Schnell merkt man, ob diese Idee wirklich so begeistert, dass man dafür alles auf dieses Pferd setzen will. Für andere Jobideen empfiehlt es sich, Gespräche mit Menschen zu führen, die diesen Job ausführen. Zudem macht man so schnell Fortschritte in Neuorientierungsvorhaben, ohne allzu viel aufs Spiel zu setzen.

Außerdem hilft es vielen Neuorientierern, wenn sie sich Unterstützung holen. So gibt es beispielsweise sog. Erfolgsteams, in denen sich Neuorientier gegenseitig motivieren. Eine weitere Möglichkeit ist, sich ein Team von Unterstützern oder MentorInnen zu suchen. Auch hier gibt es institutionelle Angebote wie beispielsweise MentorInnen-Netzwerke oder man bittet Menschen aus dem direkten Umfeld um Unterstützung. Schließlich können auch Karrierecoaches als Sparringspartner mit Coaching- und Arbeitsmarktexpertise kompetent unterstützen.

Was muss man also tun, damit eine berufliche Neuorientierung gelingt?

Melanie Schumacher: Grob zusammengefasst sollte man zunächst die eigene Situation beleuchten und bilanzieren – die Frage lautet „wo stehe ich?“. Danach empfiehlt sich eine Analyse und die Beantwortung der Fragen „was kann ich?“ und „Wer bin ich?“ Schließlich gilt es Optionen zu entwickeln, die mit den eigenen Werten und Entwürfen für ein zufriedenes zukünftiges Leben harmonieren. Diese sollten in einem agilen Prozess einem Realitäts-Check unterzogen werden. Schließlich sollte man sich eine altersgerechte Strategie überlegen, wie genau man seine beruflichen Ziele realisieren kann.

Was raten Sie Beschäftigten, die mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln?

Melanie Schumacher: Keine Schnellschüsse! Sie sollten zunächst analysieren, was genau die Ursachen für den Wechselwunsch sind. Geht es wirklich um den Beruf oder steht ein Lebensthema dahinter? Gerade in der Lebensmitte stellen sich uns mitunter in ganz verschiedenen Lebensfeldern Sinnfragen, eine berufliche Neuorientierung kann ein guter Schritt sein, muss es aber nicht. Hier ist es oft hilfreich, eine Standortbestimmung in der Lebensmitte vorzunehmen. Es geht dann um Bilanzierungsfragen wie z.B. worauf bin ich stolz? Oder Was waren die Höhepunkte? Was waren meine Träume und was ist daraus geworden? Was soll so bleiben – was möchte/muss ich loslassen? Dann ist es wichtig, dass man sich bewusst macht, wie das künftige Leben aussehen soll. Wenn ich 45 bin, dann habe ich noch gut 20 Jahre zu arbeiten, da lohnt es schon, sich Gedanken zu machen, wie ich diese Zeit gestalten will. Wesentlich ist auch, ganz pragmatisch, finanzielle Aspekte realistisch im Detail zu betrachten. Wenn ich als Quereinsteigerin etwas anderes mache, so werde ich in der Regel nicht dasselbe Gehalt erzielen wie als erfahrene Arbeitnehmerin. Das ist ein Aspekt, den viele Neuorientier nicht auf dem Schirm haben. Ähnlich verhält es sich mit einer Selbständigkeit. Fragen Sie sich ganz ehrlich welchen Preis Sie bereit sind für Ihren Neuorientierungswunsch zu zahlen. Das können finanzielle Investitionen z.B. in Weiterbildungen oder Gehaltseinbußen sein oder auch der Verlust von Status, weniger Zeit für Familie und Freunde oder weniger finanzielle Sicherheit etc. sein. Schließlich braucht es Mut zur Veränderung und Durchhaltevermögen. Kurzum, das Thema hat durchaus eine gewisse Komplexität und Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Mein Rat wäre, sich an dieser Stelle kompetent begleiten zu lassen.

Frau Schumacher, vielen Dank für das Gespräch!

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