Ole Behder: Dokumentation konkreter Pflichtverstöße

Interview mit Ole Behder
Ole Behder ist Rechtsanwalt in der Kanzlei AfA Arbeitsrecht für Arbeitnehmer in Berlin. Mit ihm sprechen wir über Gründe für eine Abmahnung, Rechtswirksamkeit sowie Einhaltung zeitlicher Fristen.

Verletzt ein Arbeitnehmer seine Pflichten, muss er mit einer Abmahnung rechnen. Was sind die häufigsten Gründe für eine Abmahnung?

Ole Behder: Die „Klassiker“ sind sicherlich die Abmahnungen wegen Unpünktlichkeit und Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen, die im Arbeitsalltag häufiger vorkommen. Aber auch Ausnahmesituationen wie Abmahnungen wegen Beleidigungen sowie sexistischer oder rassistischer Äußerungen kommen in der Praxis regelmäßig vor, wobei letztere auch oft gleich zum Anlass für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung genommen werden, ohne dass zuvor noch abgemahnt wird.

Eine Abmahnung soll im Prinzip drei Funktionen erfüllen: Welche sind das?

Ole Behder: Zunächst sollen mit einer Abmahnung konkrete Pflichtverstöße dokumentiert werden. Um diese sog. Dokumentationsfunktion zu erfüllen, werden Abmahnungen in der Regel schriftlich erteilt und in der Personalakte hinterlegt. Allerdings können Abmahnungen auch mündlich ausgesprochen werden. In diesem Fall ist eine genaue Dokumentation jedoch schwerer zu gewährleisten. Weiterhin soll einem Arbeitnehmer mit einer Abmahnung der Hinweis erteilt werden, dass ein bestimmtes Fehlverhalten, das in der Abmahnung konkret darzustellen ist, nach der Wahrnehmung des Arbeitgebers einen nicht hinnehmbaren Pflichtverstoß darstellt. Hier spricht man von der sogenannten Hinweisfunktion der Abmahnung. Schließlich kommt einer Abmahnung eine sog. Warnfunktion zu. Dem Arbeitnehmer soll deutlich vor Augen geführt werden, dass ein wiederholter bzw. fortgesetzter Verstoß gegen den in der Abmahnung dargestellten Pflichtenverstoß den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.

Für eine Abmahnung muss der Arbeitgeber gute Gründe vorweisen können. Was muss eine rechtswirksame Abmahnung beinhalten?

Ole Behder: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es vielfältige Möglichkeiten für Arbeitgeber gibt, Fehlverhalten von Arbeitnehmern zu beanstanden. In Betracht kommen neben mahnenden Gesprächen etwa schriftliche Verweise. Solche Maßnahmen unterscheiden sich von einer Abmahnung dadurch, dass für den Wiederholungsfall noch keine Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt werden. Macht ein Arbeitgeber deutlich, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist, sollte ein bestimmtes Verhalten erneut an den Tag gelegt werden, dann liegt eine Abmahnung vor. Das Instrument der Abmahnung stellt damit das stärkste Mittel eines Arbeitgebers dar, um auf das Verhalten eines Arbeitnehmers einzuwirken. Danach kommt nur noch die Kündigung. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen sind Arbeitgeber deshalb gehalten, genau zu prüfen, ob ein Fehlverhalten von Arbeitnehmern gleich zum Ausspruch einer Abmahnung berechtigen kann, oder ob nicht eventuell mildere Mittel, wie beispielsweise mündliche Ermahnungen, zunächst ausreichend sein können. In der Praxis ist zu beobachten, dass sehr oft gleich Abmahnungen ausgesprochen werden. Dies kann aber dazu führen, dass bei einem Streit über eine Abmahnung diese von einem Gericht als unverhältnismäßige und deshalb unwirksame Maßnahme gewertet wird. Inhaltlich gesehen muss eine Abmahnung drei Bestandteile aufweisen. Es muss das Verhalten, welches der Arbeitgeber als pflichtwidrig beanstandet, genau umschrieben sein. Hieran muss sich die Aufforderung anschließen, das gerügte Verhalten zu ändern bzw. zu unterlassen. Sodann müssen für den Wiederholungsfall Rechtsfolgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt werden.

Bei einer Abmahnung müssen auch bestimmte zeitliche Fristen eingehalten werden. Welche Fristen muss der Arbeitgeber hier einhalten bzw. wann ist eine Abmahnung zu früh und wann zu spät?

Ole Behder: Die Ausübung des Abmahnungsrechts ist grundsätzlich an keine feste Frist gebunden. Allerdings sollten Arbeitgeber nicht allzu lange mit dem Ausspruch einer Abmahnung warten, weil ansonsten nämlich bei dem Arbeitnehmer der Eindruck entstehen könnte, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Fehlverhalten toleriert. Dann besteht die Möglichkeit, dass ein Arbeitgeber sein Recht auf Abmahnung verwirkt. Im Regelfall sollte eine Abmahnung spätestens innerhalb einiger Wochen, nachdem der Arbeitgeber Kenntnis von einem abmahnwürdigen Pflichtenverstoß erhalten hat, ausgesprochen werden. Der Normalfall ist also der, dass ein Pflichtverstoß erfolgt und dieser dann zeitnah durch den Arbeitgeber abgemahnt wird. Es gibt aber auch die Konstruktion der sog. „vorweggenommenen Abmahnung“, mit der Arbeitnehmern bereits vor einem ersten Pflichtverstoß klargemacht werden soll, dass ein bestimmtes Verhalten eine Pflichtverletzung darstellt und dass dieses Verhalten eine Kündigung zur Folge haben kann. Die Arbeitsgerichte legen hier jedoch sehr strenge Maßstäbe an die Zulässigkeit von vorweggenommenen Abmahnungen an, weshalb diese Maßnahme in der Praxis keine nennenswerte Rolle spielt.

Welche Möglichkeiten haben Arbeitnehmer, um gegen eine unrechtmäßige Abmahnung vorzugehen?

Ole Behder: Arbeitnehmer können die Entfernung unrechtmäßiger Abmahnungen aus ihrer Personalakte verlangen. Diesen Anspruch können sie zur Not auch gerichtlich durchsetzen. Daneben besteht die Möglichkeit, eine sog. „Gegendarstellung“ zu verfassen und den Arbeitgeber aufzufordern, diese Gegendarstellung zusammen mit der Abmahnung in die Personalakte aufzunehmen. Mit einer Gegendarstellung kann ein Arbeitnehmer klarstellen, weshalb er eine Abmahnung für unberechtigt hält. Allerdings ist zu beachten, dass eine Gegendarstellung, anders als eine Abmahnung, nicht aus einer Personalakte zu entfernen ist. Wird also eine Abmahnung, die beispielsweise aufgrund von Zeitablauf ihre Relevanz für das Arbeitsverhältnis verloren hat, aus der Personalakte entfernt, verbleibt die Gegendarstellung und macht damit auch in Zukunft nachvollziehbar, dass es eine Abmahnung und damit einen Konflikt der Arbeitsvertragsparteien gegeben hat.

Eine Abmahnung kann ein Dorn im Auge des Arbeitnehmers sein. Wann besteht ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung?

Ole Behder: Ein Entfernungsanspruch besteht dann, wenn eine Abmahnung inhaltlich zu unbestimmt ist, weil sich der abgemahnte Pflichtverstoß nicht aus der Abmahnung ersehen lässt und damit insbesondere die Hinweisfunktion nicht erfüllt wird. Beruht die Abmahnung auf unrichtigen Tatsachen oder einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung durch den Arbeitgeber, kann ebenfalls eine Entfernung verlangt werden. Schließlich kann die Entfernung einer Abmahnung verlangt werden, wenn ein banaler Pflichtverstoß abgemahnt wird oder eine Abmahnung aufgrund von Zeitablauf bedeutungslos geworden ist. Bevor ein Entfernungsanspruch geltend gemacht wird, lohnt es sich aber, taktische Überlegungen anzustellen. So kann es aus taktischen Gründen sinnvoll sein, wiederholte Abmahnungen eines Arbeitgebers in dem Wissen hinzunehmen, dass diese beispielsweise aus formalen Gründen unwirksam sind. Versucht der Arbeitgeber schließlich unter Hinweis auf die wiederholten Abmahnungen das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wird die Kündigung mangels wirksamer Abmahnungen bei Gericht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit scheitern.

Herr Behder, vielen Dank für das Gespräch!

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