Ärzte schulden grundsätzlich keinen Erfolg – Martin Schnell (Popadiuk Schnell & Große)

Interview mit Martin Schnell
Rechtsanwalt Martin Schnell ist spezialisiert auf Krankenhausrecht, Arbeitsrecht und Verkehrsrecht bei Popadiuk Schnell & Große. Im Interview spricht er über medizinische Behandlungsfehler und deren Rechtsfolgen.

Immer wieder hört man, dass sich Krankenkassen quer stellen, wenn Leistungen fällig werden. Warum provozieren die Kassen gerne einen Rechtsstreit?

Martin Schnell: Aus meiner Erfahrung heraus kann ich nicht bestätigen, dass die PKV Rechtsstreitigkeiten provoziert. Zu Kürzungen oder der vollständigen Ablehnung der Kostenerstattung kommt es in erster Linie, wenn eine Behandlung nicht durch den Versicherungsschutz abgedeckt oder medizinisch nicht notwendig ist. Welche Behandlungen vom Versicherungsschutz umfasst sind, ergibt sich aus dem individuellen Versicherungsschein, schriftlichen Zusatzvereinbarungen und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Da die Beiträge der PKV in letzter Zeit zum Teil erheblich gestiegen sind, haben Versicherte vermehrt den vereinbarten Versicherungsschutz verringert, um Beiträge zu sparen. Das kann sich rächen, wenn gerade in diesem Bereich Behandlungen notwendig werden, die dann von der PKV nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang erstattet werden. Das ist ärgerlich für die Betroffenen, aber rechtlich nicht zu beanstanden. Ein zweiter Schwerpunkt sind Fälle, in denen die PKV ihre Eintrittspflicht mit der Begründung ablehnt, eine Behandlung sei „medizinisch nicht notwendig“. Das kommt insbesondere im Zusammenhang mit alternativen Behandlungsmethoden vor. Dann muss geklärt werden, ob es sich um eine Behandlungsmethode handelt, die wissenschaftlich anerkannt ist oder nicht. In diesen Fällen ist die Rechtslage und damit der Ausgang eines Rechtsstreits regelmäßig offen. Für einen schwerkranken Patienten, der gerade in dieser Methode große Heilungschancen sieht, ist es natürlich besonders bitter, wenn seine Versicherung die Erstattung der dafür notwendigen Kosten ablehnt. Den Patienten fehlt dann oft das Geld, die Zeit und vor allem auch die Kraft, diese Frage gerichtlich klären zu lassen.

Kann ich mich mit einer Rechtsschutz-Versicherung gegen die hohen Prozesskosten absichern? Worauf sollte ich beim Abschluss einer solchen Versicherung achten?

Martin Schnell: Eine Privatrechtsschutzversicherung übernimmt die Prozesskosten in derartigen Fällen, wenn diese Verfahren zum Versicherungsumfang gehören und Erfolgsaussichten bestehen. Beim Abschluss eines Versicherungsvertrages sollte daher darauf geachtet werden, dass diese Fälle erfasst werden. Wer nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügt und die Kosten eines Gerichtsverfahrens scheut, sollte die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens beim Ombudsmann der Privaten Krankenversicherungen in Erwägung ziehen. Nähere Informationen finden Sie unter: https://www.pkv-ombudsmann.de/

Kann man einen Arzt oder Zahnarzt auch längere Zeit nach einem Eingriff zur Verantwortung ziehen, wenn sich erst später Folgeschäden oder Probleme einstellen?

Martin Schnell: Bei Behandlungsfehlern kann man den behandelnden Arzt oder Zahnarzt zur Verantwortung ziehen. Zu beachten ist aber, dass der Arzt grundsätzlich keinen Erfolg schuldet. Das heißt, dass nicht bei jeder Behandlung, die keine Besserung erbracht hat, ein Behandlungsfehler vorliegt. Das ist nur dann der Fall, wenn der Arzt gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen, also „etwas falsch gemacht hat“. Je länger die Behandlung zurück liegt, desto schwieriger ist es, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, da im Laufe der Zeit mehr und mehr Alternativursachen für die gesundheitlichen Probleme in Betracht kommen. Möglich ist der Nachweis dann zwar immer noch, aber die Chancen sinken.

Wenn ich Folgeschäden nach einem Unfall habe, wie wird das Schmerzensgeld für zukünftige Einschränkungen berechnet?

Martin Schnell: Bei Folgeschäden ist zwischen Schadensersatz und Schmerzensgeld zu trennen. Schadensersatzansprüche kommen z. B. in Betracht wenn jemand seinem Beruf nicht mehr oder nur noch zeitweise nachgehen kann. Dann besteht ein Anspruch auf Verdienstausfall. Maßgeblich für dessen Höhe ist der Verdienst, den der Betroffenen ohne die gesundheitliche Beeinträchtigung erzielen würde. Dieser ist zu ersetzen. Beim Schmerzensgeld gibt es keine anerkannte Berechnungsmethode. Als ungefähre, jedoch nicht verbindliche Richtschnur für die Schmerzensgeldhöhe werden regelmäßig vorhandene Gerichtsentscheidungen mit ähnlichen Sachverhalten und Verletzungsbildern herangezogen. Derartige Urteile findet man in sogenannten Schmerzensgeldtabellen. Die derzeit bekanntesten Sammlungen sind: Schmerzensgeld-Beträge von Hacks/Wellner/Häcker (vormals ADAC-Schmerzensgeldtabelle) und die Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle. Die Vergleichbarkeit einzelner Sachverhalte ist jedoch schwierig.

Wenn ein Krankenhaus Behandlungsfehler macht, hört man oft, dass jahrelang prozessiert werden muss, bevor der/die Geschädigte Recht bekommt. Gibt es eine Art Hilfsfonds, aus dem Betroffene entschädigt werden, oder muss man grundsätzlich die Zeit aussitzen?

Martin Schnell: Verfahren wegen Arzthaftung dauern wegen der oftmals einzuholenden ärztlichen Sachverständigengutachten sehr lange und sind zudem teuer. Zu allem Übel für die Betroffenen Patienten ist auch noch die Erfolgsquote gering. Einen klassischen Hilfsfonds für alle Fälle der Arzthaftung gibt es nicht. Für bestimmte Gruppen von Betroffenen existieren allerdings Fonds, z. B. der Hilfsfonds für DDR-Dopingopfer. Zudem gibt es in § 66 SGB V eine Regelung, die vorsieht, dass Krankenkassen ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind, unterstützen sollen. Und es gibt die Möglichkeit, Schlichtungsstellen für Arzthaftpflichtfragen einzuschalten. Dort klären bei begründetem Verdacht auf einen ärztlichen Behandlungsfehler Experten im Rahmen eines außergerichtlichen Verfahrens, ob Schadensersatzansprüche gegen den Arzt/die Ärztin bestehen. Dieser Service ist für den Patienten unentgeltlich. Der Vorgang muss schriftlich eingeleitet werden. Voraussetzung für das Schlichtungsverfahren ist, dass alle Beteiligten dem Verfahren zustimmen. Nähere Informationen liefert die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen, Hans-Böckler-Allee, 330173 Hannover, Tel. 0511/380-2416/2420.

Wie finde ich den für mich besten bzw. für meinen Fall qualifiziertesten Anwalt?

Martin Schnell: Zu empfehlen ist bei medizinrechtlichen Fragen die Beauftragung eines Fachanwalts für Medizinrecht. Diesen Titel führen nur Rechtsanwälte, die über besondere Kenntnisse verfügen, sich ständig fortbilden und Erfahrung auf dem Rechtsgebiet haben. Sofern man sich nicht auf Google und Co. sowie Anwaltsportale verlassen will, kann man sich beim örtlichen Anwaltverein die Kontaktdaten der in Frage kommenden Rechtsanwälte geben lassen.

Man könnte meinen, ein Fachanwalt für Medizinrecht müsste sehr gute Kenntnisse in Humanmedizin mitbringen. Ist das so?

Martin Schnell: Es gibt einige wenige Rechtsanwälte, die tatsächlich Jura und Medizin studiert und beide Studiengänge erfolgreich abgeschlossen haben und dementsprechend über großes Wissen im Bereich der Humanmedizin verfügen. Das sind aber Ausnahmen, denn grundsätzlich wird medizinisches Fachwissen in der Ausbildung zum Fachanwalt für Medizinrecht kaum vermittelt. Unterstellen kann man der Mehrzahl der auf diesem Gebiet arbeitenden Rechtsanwälte aber zumindest ein hohes Interesse an der Medizin.

Herr Schnell, vielen Dank für das Gespräch.

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