Armin Wahlenmaier: Bei Verbraucherdarlehen besteht generell ein Widerrufsrecht

Interview mit Armin Wahlenmaier
Armin Wahlenmaier ist Rechtsanwalt in der Kanzlei TREWIUS Rechtsanwälte in Eislingen. Mit ihm sprechen wir über Immobiliendarlehen, Vorfälligkeitsentschädigung sowie Einsatz eines Widerrufsjokers.

Verbraucher, die ein nach dem 20. März 2016 abgeschlossenes Immobiliendarlehen gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig abgelöst haben, können die Entschädigung von der Bank zurückfordern. Warum ist es überhaupt möglich, unter Umständen, die Vorfälligkeitsentschädigung zurückzufordern?

Armin Wahlenmaier: Eine gesetzliche Vorfälligkeitsentschädigung fällt gemäß § 502 BGB an, wenn ein Immobiliardarlehen vor Ablauf einer bestehenden Zinsbindungsfrist zurückgezahlt wird. Der Anspruch des Kreditinstituts ist allerdings ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18) muss der Darlehensgeber für Verbraucher verständlich und richtig über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung informieren. Die Angabe einer finanzmathematischen Berechnungsformel soll hierfür jedoch nicht erforderlich sein. Es genüge, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt. Ausgeschlossen ist der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung jedenfalls dann, wenn die Angaben zum Nachteil des Darlehensnehmers von den gesetzlichen Vorgaben abweichen. Eine weitere Möglichkeit, die Vorfälligkeitsentschädigung zu umgehen, besteht in der Ausübung eines Widerrufsrechts (sog. „Widerrufsjoker“). Wenn das Darlehen widerrufen wird, muss es rückabgewickelt werden, sodass eine bestehende Zinsbindung entfällt und eine Vorfälligkeitsentschädigung nicht in Betracht kommt.

Wann ist der Einsatz des Widerrufsjokers möglich?

Armin Wahlenmaier: Bei Verbraucherdarlehen besteht generell ein Widerrufsrecht. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist ist allerdings, dass das Kreditinstitut bestimmte Informationspflichten erfüllt. Hierzu gehört die Erteilung einer Belehrung über das Widerrufsrecht sowie eine Vielzahl einzelner Informationenpflichten. Wenn dem Darlehensgeber dabei ein Fehler unterläuft, fehlt es an den Voraussetzungen für den Beginn der Widerrufsfrist, sodass ein zeitlich unbefristetes Widerrufsrecht besteht. Bei Darlehensverträgen, die vor dem Jahr 2010 abgeschlossen wurden, waren in den allermeisten Fällen die Widerrufsbelehrungen fehlerhaft, sodass es zu einer riesigen Widerrufswelle kam. In den folgenden Jahren haben sich allerdings die gesetzlichen Vorgaben geändert und die Kreditinstitute haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Bei Immobiliardarlehen ab dem Jahr 2016 findet man allenfalls noch in Einzelfällen Fehler, die zu einem unbefristeten Widerrufsrecht führen.

Was gibt es bei der Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung zu beachten?

Armin Wahlenmaier: Bei Immobiliardarlehen fällt eine Vorfälligkeitsentschädigung in der Regel nur dann an, wenn es vor Ablauf der Zinsbindung zu einer Veräußerung der finanzierten Immobilie kommt. In diesem Fall hat der Darlehensnehmer nämlich ein berechtigtes Interesse, welches zur vorzeitigen Kündigung des Darlehens berechtigt und gleichzeitig zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet (§ 490 Abs. 2 BGB). Im Fall der Veräußerung der Immobilie bleibt meist keine Zeit, um sich mit dem Kreditinstitut über die Vorfälligkeitsentschädigung zu streiten. Daher ist es besser, diese in der geforderten Höhe unter Vorbehalt der Rückforderung zu bezahlen. Ob eine spätere Rückforderung möglich ist, kann ein spezialisierter Rechtsanwalt anhand der gesamten Vertragsunterlagen prüfen. Oftmals wird bei diesem Thema aber vergessen, dass eine gesetzliche Vorfälligkeitsentschädigung nur anfällt, wenn der Darlehensnehmer ein Recht zur vorzeitigen Kündigung ausübt. In der Praxis findet dies aber in den allermeisten Fällen so überhaupt nicht statt. Stattdessen wendet sich der Darlehensnehmer an seine Bank oder Sparkasse und teilt mit, dass er das Darlehen – aus welchen Gründen auch immer – vorzeitig ablösen möchte. Ob die Voraussetzungen für ein vorzeitiges Kündigungsrecht gegeben sind, spielt dabei keine Rolle, wenn das Kreditinstitut von sich aus ein Angebot zur Aufhebung des Darlehensvertrags unterbreitet. In der Praxis unterzeichnet in den allermeisten Fällen der Darlehensnehmer eine entsprechende Vereinbarung, in der sich einerseits das Kreditinstitut mit der vorzeitigen Darlehensablösung einverstanden erklärt, und andererseits der Darlehensnehmer sich zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in der von dem Kreditinstitut berechneten Höhe verpflichtet. Diese Abwicklungsweise hat für beide Parteien Vorteile. Der Darlehensnehmer ist bei einer flexiblen Aufhebungsvereinbarung nicht an die Einhaltung gesetzlicher Kündigungsfristen gebunden, wodurch sich die Veräußerung der Immobilie einfacher realisieren lässt. Für das Kreditinstitut hat die Aufhebungsvereinbarung den Vorteil, dass für die vertraglich vereinbarte Vorfälligkeitsentschädigung nicht unbedingt die gleichen Einschränkungen gelten, wie im Fall der gesetzlichen Vorfälligkeitsentschädigung. Wenn man die Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung beabsichtigt, ist also bei der Unterzeichnung einer Aufhebungsvereinbarung Vorsicht geboten. Es ist zu empfehlen, bereits im Vorfeld einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.

Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dabei wird allerdings oft auf die Aktiv-Passiv-Methode zurückgegriffen. Was sind die Nachteile dieser Methode aus Sicht des Kreditnehmers?

Armin Wahlenmaier: Nach der BGH-Rechtsprechung kann das Kreditinstitut frei wählen, ob die Vorfälligkeitsentschädigung nach der Aktiv-Passiv-Methode oder nach der Aktiv-Aktiv-Methode berechnet wird. Die Vorfälligkeitsentschädigung soll die wirtschaftlichen Nachteile des Kreditinstituts aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags ausgleichen. Beide Berechnungsmethoden gehen von der Vorstellung aus, dass das Kreditinstitut bei Abschluss des Darlehensvertrags seinerseits ein Refinanzierungsgeschäft getätigt hat, um sich die Darlehenssumme für den Zeitraum der Zinsbindung zu beschaffen. Wenn das Darlehen vorzeitig zurückgezahlt wird, entgehen dem Kreditinstitut die Zinseinnahmen für die Restlaufzeit, jedoch bleibt das Kreditinstitut an die Refinanzierung für den Zeitraum der vertraglichen Zinsbindung gebunden. Bei der Aktiv-Aktiv-Methode geht man davon aus, dass die vorzeitig zurückgezahlte Darlehenssumme anderweitig von dem Kreditinstitut wieder als Darlehen ausgereicht wird. Nach dieser Methode kann das Kreditinstitut daher sowohl den Zinsmargenschaden (Differenz zwischen dem Sollzins und den Refinanzierungskosten) als auch einen darüber hinausgehenden Zinsverschlechterungsschaden geltend machen, der darin besteht, dass die vorzeitig zurückgeflossene Darlehenssumme nur zu einem schlechteren Zinssatz wieder ausgereicht werden kann. In der Praxis wird die Aktiv-Aktiv-Methode allerdings von den Kreditinstituten nicht angewendet. Es kommt ausschließlich die Aktiv-Passiv-Methode zur Anwendung. Danach ergibt sich die Vorfälligkeitsentschädigung aus der um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten gekürzten und abgezinste Differenz zwischen den ursprünglich geschuldeten Zinsen und der Rendite, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Für den Darlehensnehmer ist diese Methode in der aktuellen Zinssituation äußerst nachteilig. Der sogenannte Wiederanlagezins ist derzeit nämlich negativ. Dies kann dazu führen, dass die Vorfälligkeitsentschädigung höher ausfällt, als die Summe der gesamten Zinsen, welche bis zum Ende der Zinsbindung regulär zu bezahlen gewesen wären.

Es heißt oft, dass man die Vorfälligkeitsentschädigung umgehen kann. Wie geht man vor, um die Vorfälligkeitsentschädigung zu vermeiden oder zu reduzieren?

Armin Wahlenmaier: Wie bereits oben ausgeführt kann die Vorfälligkeitsentschädigung zum einen entfallen, wenn ein Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, was allerdings nur noch selten der Fall ist. Zum anderen entfällt die Vorfälligkeitsentschädigung, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. In beiden Fällen ist die Beurteilung der Rechtslage aber eher schwierig und es sollte ein spezialisierter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Selbst wenn die Vorfälligkeitsentschädigung nicht vollständig umgangen werden kann, lohnt es sich manchmal, die Berechnung der Höhe nach zu überprüfen. Es kommt nämlich mitunter vor, dass Kreditinstitute bestimmte Umstände unberücksichtigt lassen, welche zu einer Verminderung der Vorfälligkeitsentschädigung führen müssten. Hierzu gehören beispielsweise Sondertilgungsrechte. Zur Überprüfung der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung kann man sich auch an die Verbraucherzentralen wenden, die eine relativ kostengünstige Überprüfung der Berechnung anbieten.

Herr Wahlenmaier, vielen Dank für das Gespräch!

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