Caroline Brandt: Anzahl überschuldeter Haushalte wird steigen

Interview mit Caroline Brandt
Caroline Brandt ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Bad Doberan. Mit ihr sprechen wir über erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen durch die Corona-Pandemie, erhöhten Beratungsbedarf sowie überschuldete Haushalte.

Die Corona-Pandemie hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Nicht nur Unternehmen sind betroffen, sondern auch Privathaushalte, die aufgrund von Kurzarbeit, Auftragsrückgängen von Solo-Selbstständigen oder einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses mit einem niedrigen Nettoeinkommen auskommen müssen. Verzeichnen Sie derzeit einen erhöhten Beratungsbedarf?

Caroline Brandt: Ja, sowohl bei unseren Mandanten mit bestehenden Vergleichen als auch bei Verbrauchern und Selbständigen ist der Beratungsbedarf gestiegen. Angestellte wissen derzeit nicht sicher, wann und ob überhaupt, sie ihr nächstes vollständiges Gehalt erhalten und wann sie wieder normal arbeiten können. Bei Selbständigen sieht die Situation noch schlimmer aus. Hier kommen noch die laufenden Geschäftskosten hinzu. Diesen fällt die Entscheidung, weiter machen oder aufhören, sehr schwer. Wir beraten unsere Mandanten immer anhand der Schuldhöhe und des Einkommens. Ist das zukünftige Einkommen unsicher raten wir durchaus zu einer Insolvenz, da dies der sicherste Weg ist, die Schulden los zu werden.

Wird die Anzahl überschuldeter Haushalte und Privatinsolvenzen in naher Zukunft stark steigen?

Caroline Brandt: Wegen der pandemiebedingten Unregelmäßigkeiten bei den Einkommen wird sicher für eine gewisse Zeit die Anzahl überschuldeter Haushalte steigen. Auf Grund der Änderung der Insolvenzordnung und der nunmehr früheren Erteilung der Restschuldbefreiung wird sicherlich in diesem und dem nächsten Jahr die Anzahl der Privatinsolvenz steigen. Wir konnten allein im gesamten letzten Jahr, die Änderung wurde aber erst im Juni 2020 verkündet, eine Zunahme der Insolvenzanträge bei uns um 34 % im Vergleich zu Vorjahr verzeichnen.

Bei Überschuldung gibt es die Möglichkeit einer Privatinsolvenz, um schuldenfrei zu werden. läuft eine Privatinsolvenz ab?

Caroline Brandt: Wenn jemand überschuldet ist und sein Einkommen nicht ausreicht, die Schulden in einer absehbaren Zeit auszugleichen, so kann jede natürliche Person, muss dies aber nicht, einen Insolvenzantrag stellen. Liegen die Voraussetzungen für ein Insolvenzverfahren und ein ordnungsgemäßer Insolvenzantrag vor, so eröffnet das zuständige Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des betreffenden Schuldners. Das Insolvenzgericht bestellt einen Insolvenzverwalter. Dabei handelt es sich um einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Rechtspfleger oder eine andere geeignete Person, welche beim betreffenden Insolvenzgericht nach Nachweis der entsprechenden Fähigkeiten auf die Liste der zur Insolvenzverwaltung geeigneten Personen aufgenommen wurden. Der Insolvenzschuldner tritt für die Dauer des Insolvenzverfahrens sein pfändbares Einkommen an den Insolvenzverwalter ab. Sein zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhandenes Vermögen zieht der Insolvenzverwalter zur Insolvenzmasse ein.  3 Jahre lang hat der Insolvenzschuldner sein pfändbares Einkommen, die Hälfte von Erbschaften und Schenkungen sowie jegliche Gewinne aus Lotterien zur Insolvenzmasse abzuführen. Während dieser Zeit hat er auch ein Pfändungsschutzkonto zu haben. Sind die 3 Jahre abgelaufen, so erhält der Insolvenzschuldner Restschuldbefreiung und ist seine Schulden los. Der negative Eintrag in der Schufa wird erst 3 Kalenderjahre nach Ende des Insolvenzverfahrens gelöscht. Unverändert gibt es aber immer noch zudem die Möglichkeit durch außergerichtlichen Vergleich oder wenn zwar die Mehrheit aller Gläubiger aber eben nicht alle dem Plan zugestimmt haben durch gerichtlichen Vergleich und damit eine Ratenzahlung das Insolvenzverfahren schneller zu beenden. Besteht die Möglichkeit, dass einem eine dritte Person einen gewissen Geldbetrag gibt, kann das Insolvenzverfahren auch im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens bereits im 1. Jahr beendet werden.

Welche Voraussetzungen, Fristen und Regelungen sind bei einer Privatinsolvenz zwingend zu beachten?

Caroline Brandt: Voraussetzung eines jeden Privatinsolvenzantrages ist eine Überschuldungssituation, welche nicht in absehbarer Zeit behoben werden kann. Für eine Privatinsolvenz gibt es keine Antragsfrist. Es ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen, einen solchen Antrag zu stellen oder eben nicht.

In der Praxis werden selten, aber es kommt gelegentlich vor, bei Selbständigen durch Gläubiger Insolvenzanträge gestellt. Dann muss der Insolvenzschuldner binnen einer Frist von 14 Tagen ab Belehrungsschreiben durch das Insolvenzgericht selber einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen. Andernfalls durchläuft der Insolvenzschuldner zwar das Insolvenzverfahren, erhält aber am Ende eben keine Restschuldbefreiung und hat immer noch alle seine Schulden.

Bei Verbrauchern muss binnen 6 Monaten ab dem Scheitern des außergerichtlichen Vergleichsvorschlages der Insolvenzantrag beim Insolvenzgericht eingehen. Ist die 6-Monatsfrist bei Eingang des Insolvenzantrages abgelaufen, wird der Insolvenzantrag zurückgewiesen und der Vergleichsversuch muss erneut erfolgen, bevor ein neuer Insolvenzantrag gestellt werden kann. Für die Stellung des Verbraucherinsolvenzantrages ist zwingend das Formular für den Verbraucherinsolvenzantrag zu verwenden. Für Selbständige gibt es keinen Formularzwang.

Bei jedem Privatinsolvenzantrag ist zeitgleich ein Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten zu stellen, sonst wird der Antrag abgewiesen. Oder es muss ein Kostenvorschuss, meist zwischen 1500 und 2500 € gezahlt werden, damit das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Bei Prüfung des Kostenstundungsantrages prüft das Insolvenzgericht, ob nicht evtl. der Ehegatte im Rahmen der ehelichen Solidarität verpflichtet ist, den Kostenvorschuss zu zahlen. Hier muss der Insolvenzschuldner die Einkommens- und Vermögensituation seines Ehepartners offenlegen. Andernfalls wird der Antrag auf Kostenstundung abgelehnt und der Insolvenzschuldner hat entweder den Kostenvorschuss zu organisieren oder der Insolvenzantrag wird abgelehnt. Ist bereits in einem früheren Insolvenzverfahren die Restschuldbefreiung gem. §§ 290, 296 oder 297 InsO versagt worden, so kann frühestens 3 Jahre nach der Versagung ein erneuter Insolvenzantrag gestellt werden.

Wer schon einmal Restschuldbefreiung in einem früheren Insolvenzverfahren erhalten hat kann frühestens 10 Jahre nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung wieder einen Insolvenzantrag stellen. Über die Restschuldbefreiung wird immer erst am Ende eines jeden Insolvenzverfahrens entschieden mit der Folge, dass auch erst dann die 10-Jahresfrist zu laufen beginnt.

Werden auch Schulden beim Finanzamt oder bei Sozialversicherungsträgern nach einer Privatinsolvenz gelöscht?

Caroline Brandt: Auch für Schulden beim Finanzamt gilt, dass diese von der Restschuldbefreiung umfasst sind, solange die Schulden nicht auf Grund einer Straftat, z.B. Steuerhinterziehung, entstanden sind. Dann sind sie nicht von der Restschuldbefreiung umfasst.

Schulden bei Sozialversicherungsträgern, z.B. der Krankenkasse, sind nur dann nicht von der Restschuldbefreiung umfasst, wenn es sich um den auf einen angestellten Arbeitnehmer entfallenden Beitragsanteil handelt. Dies ist nach § 266a StGB eine Straftat. Das Vorenthalten des auf den Arbeitgeber entfallenden Anteils zur Krankenkasse ist keine Straftat und von der Restschuldbefreiung umfasst.

Gibt es Schulden, die nach einer Privatinsolvenz erhalten bleiben? 

Caroline Brandt: Gem. § 302 InsO bleiben Forderungen aus unerlaubter Handlung, wenn sie als solche zur Insolvenztabelle angemeldet werden, von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Hierbei handelt es sich u.a. um Bußgelder, aber auch rückständigen Unterhalt, wenn das Einkommen zur Zahlung des laufenden Unterhaltes ausgereicht hat. Auch die für das Insolvenzverfahren zunächst gestundeten Kosten bleiben von der Restschuldbefreiung ausgenommen.

Ist es ratsam für Betroffene vor der Beantragung einer Privatinsolvenz die Beratung eines spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen?

Caroline Brandt: Ja, und nicht nur einen auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt, sondern möglichst einen mit dem weiteren Fachgebiet Familienrecht. Hier liegen nämlich erfahrungsgemäß die meisten Fallstricke für neuen Schulden während der Insolvenz und diese können zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen. Unterhaltsrechtlich kann eine Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrages bestehen. Wenn aber zudem das Einkommen nicht ausreicht, den Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, muss neben einem Insolvenzantrag auch beantragt werden, dass die Barunterhaltsverpflichtung herabgesetzt wird. Andernfalls häuft der im Insolvenzverfahren befindliche Schuldner neue Schulden, nämlich Unterhaltsschulden, an.

Frau Brandt, vielen Dank für das Gespräch!

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