Dashcams: Aufnahmen im öffentlichen Straßenverkehr nicht unproblematisch – Tobias Glienke

Interview mit Tobias Glienke
Rechtsanwalt Tobias Glienke ist Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht der Kanzlei Glienke & Kümmerle GbR. Im Interview spricht er über die Verwendung von Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel und rät zum Verkehrsrechtschutz.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Tobias Glienke: Nein, ein Vorurteil ist das nicht, aber nur die „halbe Wahrheit“. Ein Fachanwalt für Verkehrsrecht befasst sich allerdings neben den „Verkehrssündern“ vor allem auch mit der Regulierung von Verkehrsunfällen und Problemen rund um den Führerschein.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wie entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Tobias Glienke: Der Bußgeldkatalog sollte verschärft werden, um einerseits Fußgänger und Radfahrer besser zu schützen und andererseits die Sanktionen für Geschwindigkeitsübertretungen deutlich zu verschärfen. Warum Geschwindigkeitsübertretungen stärker bestraft werden sollten, ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Es ist jedenfalls nicht so, dass diese Verstöße zunehmen würden oder sich schwere Verstöße häufen würden. Eigentlich hat der bisherige Bußgeldkatalog ganz gut funktioniert. Nachdem der Bußgeldkatalog verschärft wurde, stellte sich allerdings heraus, dass Fehler im Gesetzgebungsprozess gemacht wurden und die Gesetzesänderung nicht wirksam war. Deshalb gilt weiterhin der „alte“ Bußgeldkatalog. Es ist also nichts entschärft worden, sondern die Verschärfung war rechtlich nicht wirksam.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Tobias Glienke: Nein, es reicht nicht aus, einen Zettel zu hinterlassen. Es besteht ja das Risiko, dass der Zettel verloren geht. Sollte nach einiger Wartezeit der andere Fahrzeugführer nicht erscheinen, ist die sicherste Variante, die Polizei anzurufen und diese über den Unfall zu informieren.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dashcam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z. B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Tobias Glienke: Dashcam ist nicht gleich Dashcam. Das gilt nicht allein für die Qualität der Aufnahme, sondern auch bezüglich der rechtlichen Bewertung. Einfache Modelle zeichnen nach dem Einschalten einen gesamten Fahrtverlauf auf, bis der interne Speicher voll ist, meistens mehrere Stunden am Stück. Modelle mit „Loop“-Funktion hingegen haben einen kleinen Speicher, der nach dem Einschalten in kurzen Abständen überschrieben wird. Letztere sind aus datenschutzrechtlicher Sicht zwar unbedenklich, Aufnahmen im öffentlichen Straßenverkehr sind aber generell nicht unproblematisch, denn das Filmen von Kennzeichen stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Erfasst die Kamera daneben noch Gesichter, ist auch das Recht am eigenen Bild betroffen. Zugleich bedeutet auch die gerichtliche Beweiserhebung durch Ansehen einen Eingriff, denn hierdurch werden diese öffentlich. Demgegenüber hat ein Unfallgeschädigter natürlich ein Interesse daran, dass die Aufnahme seine Unfallversion bestätigt. Da das Zivilverfahrensrecht – anders als das Strafprozessrecht – keinerlei Regelungen zu Beweisverboten enthält, müssen also in jedem Einzelfall die Interessen aller Beteiligten abgewogen werden. Der BGH hat in einer Entscheidung aus 2018 (VI ZR 233/17) zur Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen so einen Fall entschieden. Es ging um den Zusammenstoß von zwei Fahrzeugen, der Kläger hatte als einzigen Beweis für die Schuld des Beklagten am Unfall ein Dashcam-Video. Das verwendete Modell war eine einfache Ausführung, das nach dem Einschalten ein circa vierstündiges Video aufnahm und dauerhaft speicherte. Während das Amts- und Landgericht die Verwertung ablehnten, entschied der BGH, dass die Aufnahme zwar aus Datenschutzgründen rechtswidrig sei, aber trotzdem als Beweis verwendet werden dürfe, da das Interesse des Klägers seinen Schaden ersetzt zu bekommen, das Interesse des Beklagten, nicht einfach gefilmt zu werden, überwiege.

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Tobias Glienke: Wenn Sie sich anwaltliche Hilfe bei der Regulierung eines Verkehrsunfalls nehmen, so muss die Gegenseite die Kosten dafür im Rahmen seiner Haftung übernehmen. Das bedeutet, dass bei einer hälftigen Haftung auch nur die Hälfte der Anwaltskosten übernommen wird. Quoten sind recht häufig bei der Regulierung von Verkehrsunfällen.

Die Kosten für die Vertretung in Verkehrsstrafsachen und Ordnungswidrigkeiten werden von der Landeskasse übernommen, wenn es vor Gericht zu einem Freispruch kommt. Da es in diesem Bereich allerdings häufig zu Einstellungen der Verfahren kommt, bei denen die Kosten für den Rechtsanwalt nicht übernommen werden und die Verfahrenskosten schnell anwachsen können, wenn ein Sachverständiger benötigt wird, ist es für jeden Autofahrer sinnvoll eine Rechtschutzversicherung abzuschließen.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Tobias Glienke: Es werden nach wie vor durchaus Fehler bei der Bearbeitung und Bewertung von Ordnungswidrigkeiten gemacht. Daher denke ich, dass es durchaus Sinn hat, gegen einen Bußgeldbescheid vorzugehen. Allerdings ist es häufig nur dann sinnvoll, wenn man über eine Rechtsschutzversicherung verfügt. Nur in diesem Fall muss man die Kosten für die rechtliche und eventuell technische Beratung nicht selbst aufkommen. Diese Kosten stehen in der Regel in keinem Verhältnis zum Bußgeld, so dass man dann oft gezwungen ist, ein als ungerecht und falsch empfundenes Bußgeld aus Kostengründen zu akzeptieren.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Tobias Glienke: Sollten sich acht Punkt in Flensburg angesammelt haben und sie dazwischen rechtzeitigt durch die Behörde ermahnt und verwarnt worden sind, wird die Fahrerlaubnis entzogen. Da hat die Behörde dann auch keinen Spielraum mehr. Sie erhalten dann ihre Fahrerlaubnis frühestens nach sechs Monaten zurück, wenn sie die Wiedererteilung rechtzeitig beantragt und die dann geforderte Medizinisch-Psychologische-Untersuchung (MPU/Idiotentest) absolviert haben.

Herr Glienke, vielen Dank für das Gespräch.

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