Rechtsanwältin Corinna Hell ist Fachanwältin im Familienrecht sowie im Strafrecht der Kanzlei Hell. Im Interview spricht sie über die Regelungen des Familienrechts und wie das Wohl und der Wille der Kinder Berücksichtigung finden.
Anwalt/Anwältin für Familienrecht. Was versteht man eigentlich unter dieser Berufsbezeichnung?
Corinna Hell: Rechtsanwälte, die mindestens 3 Jahre als Anwalt zugelassen sind, können Fachanwälte werden. Fachanwältinnen/Fachanwälte für Familienrecht müssen erfolgreich einen Fachanwaltskurs absolvieren. Zu dem Kurs gehören mehrere Gebiete, u. a. Unterhaltsrecht, Versorgungsausgleich, Güterrecht. Nur wenn 3 Klausuren erfolgreich bestanden werden und die Bewerberin/der Bewerber nachweisen kann, dass sie/er eine bestimmte Zahl von praktischen Fällen im Familienrecht bearbeitet hat, wird der Fachanwaltstitel verliehen.
Was ist im Familienrecht geregelt?
Corinna Hell: In Familiensachen gibt es eine eigenständige Verfahrensregelung – das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Wiederum in § 111 (FamFG) sind die Familiensachen definiert, dies sind u. a.
- Ehesachen (z.B. Scheidung)
- Kindschaftssachen (Regelungen zum Sorgerecht und Umgangsrecht für ein minderjähriges Kind)
- Ehewohnung und Haushaltssachen – z. B., wer künftig alleiniger Mieter ist
- Gewaltschutzsachen – bei gewaltsamen Übergriffen eines Partners
- Unterhaltssachen (z. B. Trennungsunterhalt, nachehelicher – nach der Scheidung zu zahlender Unterhalt
- Güterrechtssachen, wie der Zugewinnausgleich, also die Regelung des Vermögens, das in der Ehe erworben wurde
Wenn sich ein Fachanwalt „Familienrecht“ auch um die Unterhaltspflichten kümmert, warum verschickt die Bundesanstalt für Arbeit dann oft Fragebögen an die Unterhaltspflichtige?
Corinna Hell: Der Unterhaltsberechtigte ist im Leistungsbezug der Bundesanstalt für Arbeit. Deshalb fordert diese zunächst im eigenen Namen den Unterhaltspflichtigen zur Auskunftserteilung – Zahlung auf. Auch wenn er anwaltlich vertreten ist, weiß die Bundesanstalt dies nicht automatisch. Deshalb ist es wichtig, dass die bevollmächtigte Anwältin/der bevollmächtigte Anwalt sich sogleich gegenüber der Behörde legitimiert.
Beim Thema Besuchsrecht und Umgangsrecht gibt es wohl immer Probleme zwischen den Ehegatten, bei der/die Einzelne das Kind alleine für sich beansprucht. Warum gibt es da häufig Komplikationen?
Corinna Hell: Häufig können Paare nach der Trennung die unterschiedlichen Ebenen, die Paar- und die Elternebene nicht auseinanderhalten. Leider dient bisweilen das Kind als Druckmittel. Darüber hinaus kann derjenige, bei dem das Kind überwiegend lebt, Kindesunterhalt beanspruchen.
Thema Unterhalt. Kann ein Fachanwalt dabei helfen, wenn ein Elternteil bei den Unterhaltszahlungen zu hoch veranlagt wurde?
Corinna Hell: Letztlich richtet sich die Unterhaltspflicht gegenüber dem Sozialamt nach dem bürgerlichen Recht. Die Berechnung des Unterhalts ist ein Tätigkeitsbereich der Fachanwälte.
Wie sieht es mit der Verpflichtung für Ehegatten – meistens Frauen – aus, dass diese sich Arbeit suchen müssen, anstatt alleine vom Unterhalt zu leben und dadurch für eine hohe finanzielle Belastung beim Unterhaltspflichtigen zu sorgen?
Corinna Hell: Die Tendenz des Familienrechts, des Unterhaltsrechts nach der Reform ist die Eigenverantwortung. Grundsätzlich soll sich ein Ehegatte nach der Trennung – es gibt in der Praxis eine Schonfrist während des Trennungsjahres – um eine angemessene Arbeit bemühen.
Ab welchem Alter dürfen Kinder entscheiden, ob sie zur Mutter oder zum Vater gehen wollen?
Corinna Hell: In der Praxis werden das Wohl des Kindes und sein Wille berücksichtigt. Entscheidende Bedeutung hat der Kindeswille ca. ab dem 12. Lebensjahr. Es wird jedenfalls ab dem 14. Lebensjahr der Wunsch des Kindes, bei einem Elternteil zu leben, beachtet.
Vielen Dank für den Beitrag über die Rolle des Kindes bei der Scheidung. Meine Schwester möchte sich von ihrem Mann trennen lassen und weiß noch nicht genau, inwiefern die Wünsche des Kindes bei der Scheidung berücksichtigt werden. Bevor sie zu einem Anwalt für Scheidungen geht, wollte sie sich informieren. Ich werde ihr den Beitrag weiterleiten. Interessant, dass ab dem 14. Lebensjahr der Wunsch des Kindes, bei einem Elternteil zu leben, beachtet wird.