Dorothe Lanc: Urheberrecht an Bedürfnisse der modernen Informationsgesellschaft anpassen

Interview mit Dorothe Lanc
Dorothe Lanc ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei in Düsseldorf. Mit ihr sprechen wir über Anpassung des Urheberrechts, Entwicklung der Medientechnologien sowie fairen Interessenausgleich.

Das Bundeskabinett hat vor Kurzem per Gesetzes die Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts beschlossen.  Können sie uns in Kürze die Tragweite zusammenfassen?

Dorothe Lanc: Die Medientechnologien haben sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Mit der Digitalisierung und Vernetzung der Gesellschaft, durch Social-Media-Angebote, Streaming-Portale usw. entstanden neue Lebenssachverhalte, die bisher urheberrechtlich nicht geregelt waren. Urheberrechtlich geschützte Inhalte werden heute weitestgehend digital geschaffen, vervielfältig, verbreitet und von der Gesellschaft genutzt. Ziel der Urheberrechtsreform ist es, das Urheberrecht in der Weise an die Bedürfnisse der modernen Informationsgesellschaft anzupassen, dass einerseits deren Informations- sowie Meinungsfreiheit gewährleistet und andererseits Urheber auf ihre Rechte nicht verzichten müssen, insbesondere eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke erhalten. Die Frage der angemessenen Vergütung wurde in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort „Value Gap“ diskutiert, welches zwischen Plattformen und Urhebern zunehmend entstand: mit der Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Inhalte ziehen Plattformen, wie Facebook, Instagram, YouTube usw., Millionen von Nutzern an und generieren gleichzeitig erhebliche Einnahmen, wie etwa durch die dort geschaltete Werbung. Die Plattformen ihrerseits werden wiederum durch die User bespielt, die nicht nur eigene, sondern auch fremde urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen – dies allerdings häufig ohne die Erlaubnis der jeweiligen Urheber dieser Inhalte. Die Urheber, deren Inhalte maßgeblich zum Erfolg der Plattformen beitragen, gingen dabei bisher leer aus. Dies ändert sich nunmehr mit Einführung der sog. Plattformlizenzierung und dem gesetzlichen Vergütungsanspruch der Urheber.

Neben dem Schwerpunkt-Thema „Plattformlizenzierung“ sieht die Urheberrechtsreform aber auch die weitere Stärkung des Urhebervertragsrechts zu Gunsten von Urhebern und Leistungsschutzberechtigten, die gesetzliche Einführung der Verlegerbeteiligung, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, die Entfristung des Urheber-Wissenschafts-Gesetzes und die freie Nutzung von Reproduktionen gemeinfreier visueller Werke vor.

Das Gesetz sieht einen fairen Interessenausgleich vor, von dem Kreative, Rechteverwerter und Nutzer gleichermaßen profitieren sollen. Wird dieses Ziel erreicht?

Dorothe Lanc: Neuerdings werden Plattformen zur Verantwortung gezogen, da sie diejenigen sind, die urheberrechtlich geschützte Werke – wie Fotos, Texte usw. – öffentlich zugänglich machen. Sie müssen zukünftig für die Veröffentlichung dieser Werke zunächst eine Lizenz erwerben, wenn nicht eine gesetzlich erlaubte oder mutmaßlich erlaubte Nutzung vorliegt. Eine solche Lizenz sollen die Plattformen von repräsentativen Rechtsinhabern, wie es beispielsweise die Verwertungsgesellschaften GEMA, Bild-Kunst etc. sind, erwerben. In jedem Fall aber müssen die Plattformen diese Nutzungen gegenüber den Urhebern immer und ausnahmslos vergüten. Außerdem obliegen den Plattformen Informations- und Blockierungs- bzw. Sperrpflichten. Sie müssen Rechtsinhabern und Nutzern außerdem ein wirksames, kostenfreies und zügiges Beschwerdeverfahren anbieten.

Die Plattformen werden damit in einem bisher nicht dagewesenen Umfang in die Pflicht genommen. Gesetzlich geregelt ist dies im neuen Urheberrechtsdiensteanbietergesetz (UrhDaG), das zum 01.08.2021 in Kraft treten soll. Für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken auf einer Plattform geht das UrhDaG von folgender Systematik aus:

(1) Gesetzlich erlaubt sind Nutzungen von Werken – auch ohne den vorgenannten Lizenzerwerb der Plattformen – für Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiches unter Verweis auf das Urhebergesetz (§ 5 UrhDaG). Allerdings muss der Diensteanbieter diese Nutzungen direkt gegenüber dem Urheber vergüten. Der Vergütungsanspruch kann aber nur von einer Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.

Für Nutzer und Urheber ändert sich damit nichts: wie bisher auch, dürfen Werke erlaubnisfrei gem. § 51 UrhG zu Zitatzwecken und unter Einhaltung des Gebots der Quellenangabe (§ 63 UrhG) genutzt werden. Neu ist allerdings die Vergütungspflicht der Plattform gegenüber dem Urheber.

(2) Schließlich dürfen Plattformen von Usern hochgeladene, fremde Werke öffentlich zugänglich machen, wenn deren Nutzung mutmaßlich erlaubt ist (§§ 9 ff UrhDaG). Mutmaßlich erlaubt ist die Nutzung von Inhalten, die…

•          weniger als die Hälfte eines fremden Werks bzw. mehrere fremde Werke enthalten;

•          Werkteile eines fremden Werkes mit anderen Inhalten kombinieren;

•          nur geringfügig genutzt werden (sog. Bagatellschranke, § 10 UrhDaG);

•          als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet sind (sog. Pre-Flagging, § 11 UrhDaG).

Diese mutmaßlich erlaubten Nutzungen können durch das sog. Red-Button-Prinzip widerlegt werden: der Diensteanbieter hat den Rechtsinhaber sofort über die öffentliche Wiedergabe zu informieren und ihn auf sein gesetzliches Beschwerderecht gem. § 14 UrhDaG hinzuweisen, damit dieser die Vermutung überprüfen lässt. Macht er von seinem Beschwerderecht Gebrauch, muss die Plattform den Inhalt dann so lange sperren, bis das Beschwerdeverfahren abgeschlossen ist. Wer allerdings den „roten Knopf“ zu oft missbräuchlich drückt, wird vorübergehend vom Red-Button-Prinzip ausgeschlossen (§ 18 UrhDaG).

Auch für mutmaßlich erlaubte Nutzungen hat die Plattform dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen (§ 12 UrhDaG), der nur von einer Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann.

Die Einführung mutmaßlich erlaubter Nutzungen wird in vielerlei Hinsicht kritisiert: viele Urheber sehen darin einen erheblichen Eingriff in ihre Urheberrechte. Denn das Prinzip, dass der Urheber frei über sein Werk bestimmt und selbst aktiv die Erlaubnis zur Nutzung erteilt, werde auf den Kopf gestellt. Darüber hinaus gingen die Grenzen der Bagatellschranke viel zu weit. Denn die Nutzung einer 15-sekündigen Sequenz eines Films oder Musikstücks, von 160 Textzeichen oder eines Fotos mit bis zu 125 KB seien nicht geringfügig.

Andererseits erhalten die Urheber erstmalig überhaupt eine Kompensation für millionenfache Social-Media-Nutzungen privater User, die bisher zwar rechtswidrig waren, dennoch stattfinden und die Urheber selbst kaum rechtlich verfolgen konnten.

(3) Ansonsten kann ein Urheber die Nutzung seines Werks gegenüber einer Plattform verweigern, indem er von der Plattform eine qualifizierte oder eine einfache Blockierung seines Werks verlangt (§§ 7, 8 UrhDaG).

Im Fall der qualifizierten Blockierung (§ 7 UrhDaG) kann der Rechtsinhaber verlangen, dass sein Werk durch Sperrung oder Blockierung auf der Plattform nicht öffentlich zugänglich gemacht wird und auch zukünftig nicht verfügbar ist („stay-down-Prinzip“).

Hingegen kann der Urheber durch einfache Blockierung (§ 8 UrhDaG) die öffentliche Wiedergabe seines Werkes beenden („take-down-Prinzip“), wenn er begründete Hinweise für die unerlaubte Nutzung seines Werkes liefert.

In beiden Fällen darf die Blockierung aber nicht dazu führen, dass gesetzlich erlaubte Nutzungen, wie z.B. das Zitatrecht, eingeschränkt werden. Außerdem werden die Nutzer über die Blockierung der von ihnen hochgeladenen Inhalte informiert.

Gleichzeitig soll die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer im Internet gewahrt und vor „Overblocking“ geschützt werden. Was ändert sich im Alltag für die User?

Dorothe Lanc: Das Gesetz bietet primär privaten Usern Vorteile, weil sie in ihrem gewohnten Nutzerverhalten nicht eingeschränkt werden: Private User dürfen alles hochladen, was gesetzlich erlaubt ist. Das sind die von ihnen selbst produzierten, urheberrechtlich geschützten Inhalte, wie z.B. Urlaubsfotos. Außerdem können sie fremde Werke online stellen, weil sie z.B. als Zitat nutzen oder weil die Nutzung mutmaßlich erlaubt ist.

Aber selbst, wenn sie fremde Werke hochladen, deren Nutzung nicht gesetzlich oder mutmaßlich erlaubt ist, bietet ihnen das neue Gesetz mehr Rechtssicherheit: Sie müssen keine Abmahnungen mehr fürchten, wenn sie fremde urheberrechtlich geschützte Werke, wie z.B. Fotos, ohne die Erlaubnis des Urhebers auf ihren Social-Media-Account hochladen. Denn die Plattformen müssen dafür eine Nutzungslizenz erwerben.

Nochmals zu betonen ist, dass dies nur für private Plattform-Nutzer gilt. Rein kommerziell handelnde Nutzer, wie z.B. Unternehmen, die ihren Social-Media-Account mit Fotos bespielen, müssen hierfür nach wie vor eine Nutzungslizenz direkt beim Bildurheber erwerben.

Vervielfältigungen von gemeinfreien visuellen Werken wie beispielsweise alte Gemälde genießen zukünftig keinen Leistungsschutz mehr. Ist es bis dato verboten, z.B. Gemälde alter Meister als Fotos in eigenen Posts in Umlauf zu bringen?

Dorothe Lanc: Sie spielen auf die Reproduktion sog. gemeinfreier visueller Werke an. Grundsätzlich sind urheberrechtlich geschützte Werke, wie z.B. Gemälde, Skulpturen, Musikkomposition, Texte, Fotos usw., bis 70 Jahre nach Tod des Urhebers geschützt. Danach werden diese Werke gemeinfrei und jeder kann sie frei – ohne Erlaubnis der Erben oder Rechtsnachfolger des verstorbenen Urhebers – nutzen.

Bisher war es so, dass aktuell angefertigte Fotos, die diese gemeinfreien Werke abbildeten (sog. Reproduktionen), ihrerseits als Lichtbilder urheberrechtlich geschützt waren und nicht ohne die Erlaubnis des Lichtbildners genutzt werden durften.

Zukünftig wird sich dies ändern: auch originalgetreue Abbildungen gemeinfreier visueller Werke, wie z.B. Gemälde, Skulpturen oder Fotografien, werden nicht mehr durch Leistungsschutzrechte geschützt – und zwar unabhängig davon, ob die Abbildung vor oder nach dem Inkrafttreten der Urheberrechtsreform angefertigt wurde. Diese Reproduktionen können User zukünftig frei nutzen, kopieren oder im Internet veröffentlichen.

Die Online-Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen soll auch neu geregelt werden. Bedeutet dies, dass man jetzt Auszüge aus Programmen selbst durch Postings vervielfältigen kann, ohne beispielsweise GeMa-Gebühren zahlen zu müssen?

Dorothe Lanc: Die Online-Verbreitung von Fernseh- und Radioprogrammen, z. B. per Livestream und über Mediatheken (§§ 20b bis 20d, 87 UrhG) wird teilweise neu geregelt. Wenn ein deutscher Fernseh- oder Radiosender sein Programm auch im Internet verbreiten möchte, muss er die entsprechenden urheberrechtlichen Nutzungsrechte jetzt nur noch für Deutschland erwerben, um die Inhalte in der gesamten EU auszustrahlen. Dadurch wird der grenzüberschreitende Zugang zu Rundfunkinhalten erleichtert und das „Geoblocking“ von Programmen reduziert.

Außerdem können Weitersendedienste zukünftig – unabhängig von der verwendeten Technologie – die Rechte zur Weitersendung zentral über Verwertungsgesellschaften erwerben. Für die Mitglieder dieser Verwertungsgesellschaften, d.h. also die Urheber, folgt daraus, dass sie hinsichtlich dieser neuen Weitersendungstechnologien ebenfalls einen gesetzlichen Vergütungsanspruch haben.

Der Gesetzes-Entwurf, so heißt es, enthält Regelungen zu gesetzlichen Nutzungserlaubnissen für das Text und Data Mining, einer Schlüsseltechnologie für maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (§§ 44b, 60d UrhG-E). Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf Regelungen für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht und die Lehre sowie für die Erhaltung des Kulturerbes. Was ändert sich für kleine Content Produzenten?

Dorothe Lanc: Text und Data-Mining ist die softwaregestützte Auswertung großer Datenmengen, um neue Muster oder Trends zu erkennen und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Datenmengen bestehen meist aus urheberrechtlich geschützten Inhalten, wie z.B. Texte, Fotos, usw. Sie werden zunächst kopiert und dann durch Normalisierung, Strukturierung und Kategorisierung gegliedert. Danach erfolgt ihre systematische und automatische Auswertung. Ergebnis ist eine Sammlung maschinenlesbarer Inhalte, der sog. Korpus. Diese Daten dürfen einem bestimmten Personenkreis öffentlich zugänglich gemacht werden.

Erlaubt ist das Text und Data-Mining seit 2018 zu nicht-kommerziellen Zwecken jedem, der automatisierte Forschung in der Form des Text- und Data Mining betreiben will. Gerade Forschungsteams an Hochschulen profitierten davon. Allerdings war bisher die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachnung im Rahmen des Textes und Data-Minings vergütungspflichtig. Die Verwertungsgesellschaften konnten für die Urheber eine angemessene Vergütung verlangen (§ 60d UrhG).

Neuerdings entfällt diese Vergütungspflicht. Außerdem ist jetzt das Text und Data-Mining jetzt auch zu kommerziellen Zwecken erlaubt. Start-ups, die im Bereich der künstlichen Intelligenz Entwicklungen vorantreiben wollen, profitieren davon. Damit können nicht nur Hochschulen kostengünstiger forschen, sondern auch Unternehmen der Privatwirtschaft neue Technologien entwickeln.

Umgekehrt können Urheber aber die Nutzung ihrer Inhalte für Text und Data Mining außerhalb der wissenschaftlichen Forschung in maschinenlesbarer Form verbieten.

Frau Lanc, vielen Dank für das Gespräch!

Interview teilen: 

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
No related posts found for the provided ACF field.

Zum Expertenprofil von Dorothe Lanc

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter diesem Link:

Weitere Interviews

die neusten BTK Videos