Dr. Elske Fehl-Weileder: Keine signifikanten Anstiege der Privatinsolvenzen

Interview mit Dr. Elske Fehl-Weileder
Dr. Elske Fehl-Weileder ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg. Im Interview sprechen wir mit ihr über überschuldete Haushalte, Privatinsolvenzen sowie Auftragsrückgängen.

Die Corona-Pandemie hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Nicht nur Unternehmen sind betroffen, sondern auch Privathaushalte, die aufgrund von Kurzarbeit, Auftragsrückgängen von Solo-Selbstständigen oder einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses mit einem niedrigen Nettoeinkommen auskommen müssen. Verzeichnen Sie derzeit einen erhöhten Beratungsbedarf?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Die klassische Schuldnerberatung von Privatpersonen oder Einzelunternehmern gehört nicht zu meinen Kerntätigkeiten, aber zumindest bei den Insolvenzgerichten und den Insolvenzverwaltern sind bislang noch keine signifikanten Anstiege der Privatinsolvenzen zu verzeichnen. Dem Vernehmen nach gibt es bei den Schuldnerberatungsstellen zum Teil Probleme für die Beratungssuchenden, einen Termin zu bekommen – das war aber auch vor der Corona-Krise schon teilweise berichtet worden, insofern ist nicht eindeutig feststellbar, ob das eine Folge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie ist.

Wird die Anzahl überschuldeter Haushalte und Privatinsolvenzen in naher Zukunft stark steigen?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Ja, das ist zu befürchten. Die wirtschaftlichen Folgen von Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust können vielleicht in einigen Fällen eine Zeitlang aus Ersparnissen oder Unterstützung aus dem Familienkreis aufgefangen werden, aber irgendwann sind meist auch diese Reserven erschöpft. Wer bis dahin nicht seine laufenden Kosten so reduzieren konnte, dass sie aus den geringeren Einkünften gedeckt sind, gerät in die Überschuldung.

Bei Überschuldung gibt es die Möglichkeit einer Privatinsolvenz, um schuldenfrei zu werden. läuft eine Privatinsolvenz ab?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Das hängt davon ab, ob die überschuldete Person ein Verbraucher oder ein (ehemaliger) Einzelunternehmer ist. Ein Verbraucher muss zunächst mit Unterstützung einer geeigneten Stelle – in der Regel eine Schuldnerberatungsstelle oder ein Rechtsanwalt – versuchen, eine außergerichtliche Einigung mit seinen Gläubigern zu erzielen, also eine Art Vergleich zu schließen. Nur mit einer Bestätigung darüber, dass dieser Versuch gescheitert ist, kann der Verbraucher einen Insolvenzantrag stellen. Eine (ehemals) selbständige Person ist nicht verpflichtet, einen solchen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern zu unternehmen, sondern kann ohne weitere Voraussetzungen direkt einen Insolvenzantrag bei dem Insolvenzgericht stellen. Wenn das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren eröffnet hat, bestellt es einen Insolvenzverwalter, dem der Insolvenzschuldner seine Vermögensverhältnisse offenlegen und seine Gläubiger bekannt geben muss. Der Insolvenzverwalter verwertet dann etwaiges pfändbares Vermögen und verteilt dies zu gleichen Anteilen auf alle Gläubiger. Drei Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann dem Schuldner die sogenannte Restschuldbefreiung erteilt werden. Dadurch ist er von allen alten Schulden befreit, egal ob und in welcher Höhe der Insolvenzverwalter Ausschüttungen an die Gläubiger vornehmen konnte. Diese Frist betrug bis vor kurzem noch sechs Jahre und wurde nun auf drei Jahre verkürzt, was ein erheblicher Vorteil aus Sicht der Insolvenzschuldner ist.

Welche Voraussetzungen, Fristen und Regelungen sind bei einer Privatinsolvenz zwingend zu beachten?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Die gute Nachricht ist: Für Privatpersonen und auch für Einzelunternehmer gibt es im deutschen Recht keine Insolvenzantragspflicht, wie sie etwa für GmbHs oder AGs eingreift. Das heißt, auch wenn ich meinen Insolvenzantrag erst Jahre nach dem Eintreten meiner Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit stelle, mache ich mich keiner (strafbaren) Insolvenzverschleppung schuldig. Für die Insolvenzantragstellung gibt es also keine Frist.

Als Verbraucher muss ich beachten, dass ich für die Insolvenzantragstellung eine Bescheinigung des Schuldnerberaters vorlegen muss, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern vergeblich versucht wurde. Dieser Einigungsversuch darf maximal 6 Monate her sein, nur wenn der Insolvenzantrag bis zum 30.06.2021 gestellt wird, gilt auch eine Bescheinigung, die bis zu 12 Monate alt sein darf.

Sobald der Insolvenzantrag bei Gericht eingereicht wurde, muss der Schuldner die ihm vom Gericht gesetzten Fristen beachten, etwa für die Vorlage weiterer Unterlagen. Ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden, muss der Schuldner dem Gericht und auch dem Insolvenzverwalter gegenüber stets seine Adresse und seine Einkünfte offenlegen. Außerdem hat er bestimmte Pflichten in dem Verfahren, denen er nachkommen muss, insbesondere muss sich ein arbeitsloser Schuldner um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemühen und darf er kein Vermögen verheimlichen. Verstößt der Schuldner gegen seine Pflichten, droht ihm die Versagung der Restschuldbefreiung, also bleiben seine Schulden auch nach Ablauf der drei Jahre bestehen. Dies passiert allerdings nicht von alleine, sondern muss von einem Gläubiger beantragt und vom Gericht beschlossen werden.

Werden auch Schulden beim Finanzamt oder bei Sozialversicherungsträgern nach einer Privatinsolvenz gelöscht?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Ja, auch die Schulden gegenüber Sozialversicherungsträgern oder dem Finanzamt werden grundsätzlich von der Restschuldbefreiung umfasst. Nur wenn diese Schulden aus einer sogenannten vorsätzlich begangenen, unerlaubten Handlung herrühren, also z.B. aus dem strafbaren Nichtzahlen von Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträgen, dann werden diese Forderungen von der Restschuldbefreiung nicht umfasst. Dies ist allerdings kein Automatismus, sondern muss von dem Gläubiger entsprechend angemeldet und dargelegt werden. Dem Schuldner steht außerdem die Möglichkeit zu, dieser Einordnung der Forderung zu widersprechen.

Gibt es Schulden, die nach einer Privatinsolvenz erhalten bleiben? 

Dr. Elske Fehl-Weileder: Solche Schulden, die aus einer vorsätzlich begangenen, unerlaubten Handlung beruhen, werden nicht von der Restschuldbefreiung erfasst und bleiben auch nach dem Insolvenzverfahren bestehen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Gläubiger diesen besonderen Forderungsgrund geltend macht und darlegen kann. Dies ist in der Praxis oft der Fall bei Rückständen zu Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträgen, wenn der Schuldner (ehemals) selbständig war und Mitarbeiter beschäftigt hat, für die er die Krankenkassen-Beiträge nicht gezahlt hat. Aber auch bei Privatpersonen kommt es ausnahmsweise vor, dass solche Forderungen geltend gemacht werden, z.B. wenn dem Anspruch ein Betrug des Schuldners zugrunde liegt.

Ist es ratsam für Betroffene vor der Beantragung einer Privatinsolvenz die Beratung eines spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen?

Dr. Elske Fehl-Weileder: Für die Beantragung einer Verbraucherinsolvenz ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass eine sogenannte „geeignete Stelle“ – in der Regel eine Schuldnerberatungsstelle oder ein Rechtsanwalt – das Scheitern eines vorherigen Einigungsversuchs bescheinigt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für Verbraucher, eine entsprechende Beratungsstelle aufzusuchen. Personen, die als Einzelunternehmer selbständig tätig sind oder waren, müssen diese Bescheinigung nicht vorlegen und sind daher frei in ihrer Entscheidung, ob sie sich vor einem Insolvenzantrag beraten lassen. Ratsam ist es insofern, als dass eine Schuldnerberatung neben den formellen Fragen eines Insolvenzverfahrens auch zu anderen Fragen „drumherum“ beraten kann. Ob man hierfür anwaltlichen Rat in Anspruch nimmt oder sich an eine staatliche oder karitative Schuldnerberatung wendet, ist sicherlich auch eine Frage der Kosten. Während staatliche und karitative Stellen in der Regel kostenlose Beratungen anbieten, aber teilweise lange Wartezeiten haben, ist der anwaltliche Rat meistens schneller zu bekommen, muss aber bezahlt werden. Als Faustregel kann man vereinfacht vielleicht sagen: Ein „normaler“ Verbraucher mit überschaubaren Vermögensgegenständen und nur wenigen Gläubigern ist bei einer Beratungsstelle gut aufgehoben. Dagegen kann es für einen (ehemals) selbständigen Einzelunternehmer mit komplexeren Vermögensstrukturen und vielen Gläubigern ratsam sein, sich anwaltlich beraten zu lassen, da in solchen Fällen häufig auch insolvenzrechtliche Spezialfragen aufkommen wie z.B. die Insolvenzanfechtung, Haftungsfragen oder Vorrechte aus Sicherheiten.

Frau Dr. Fehl-Weileder, vielen Dank für das Gespräch!

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