Dr. Jens Groh: Unterscheidung zwischen Vermächtnis und Erbeinsetzung

Interview mit Dr. Jens Groh
Dr. Jens Groh ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Walek Barg Rechtsanwälte Partnerschaft in Mayen. Mit ihm sprechen wir über Erbeinsetzung, Vermächtnis sowie Formulierungen im Testament.

Erblasser unterscheiden in der Praxis oft nicht zwischen der Erbeinsetzung und dem Vermächtnis. Wo liegt hier der Unterschied?

Dr. Jens Groh: Umgangssprachlich wird oft nicht zwischen den beiden Worten „vererben“ und „vermachen“ unterschieden. Rechtlich gesehen sind beide Institute aber voneinander zu unterscheiden. Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über, § 1922 BGB. Damit wird der Erbe im Zeitpunkt des Todes automatisch Eigentümer sämtlicher Gegenstände des Erblassers. Dieser „Vonselbsterwerb“ (Universalsukzession) erfolgt unabhängig vom Willen des Erben, ohne sein Zutun und ohne, dass dies gegenüber irgendjemandem angenommen werden muss. Dem Erben verbleibt die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen, damit er nicht zwangsweise zum Erben wird, § 1142 BGB. Ein Übertragungsakt ist nicht erforderlich. Demgegenüber hat der Vermächtnisnehmer nur einen Anspruch gegen den oder die Erben auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes. Denn durch das Vermächtnis wird für den Bedachten das Recht begründet, von dem Beschwerten die Leistung des vermachten Gegenstands zu fordern, § 2174 BGB. Der Vermächtnisnehmer wird daher nicht automatisch Eigentümer. Er hat vielmehr seinen Anspruch an den oder die Erben zu richten und die Übertragung zu fordern. Es bedarf daher noch eines Übertragungsaktes. Wenn beispielsweise eine Geldforderung im Wege des Vermächtnisses zugewendet wurde, muss diese gegenüber dem Erben geltend gemacht und – wenn sich dieser weigert – auch eingeklagte werden. Wir ein Gegenstand zugewendet, muss die Übereignung gefordert werden. Auch hier zeigt sich der wesentliche Unterschied zum Erben, der sofort und ohne Übertragungsakte Eigentümer wird.

Mit verschiedenen Arten von Vermächtnissen können Erblasser flexibel anordnen, wer was bekommen soll. Können Sie uns die verschiedenen Arten von Vermächtnissen einmal erklären?

Dr. Jens Groh: Durch das Vermächtnis wird für den Vermächtnisnehmer ein Anspruch gegen den Beschwerten begründet. Beschwerter kann dabei der Erbe, aber auch ein anderer Vermächtnisnehmer sein. Im letztgenannten Fall handelt es sich um ein Untervermächtnis.

Das Vermächtnis eignet sich sehr gut, um Streit unter den Erben zu vermeiden. So kann der Erblasser im Testament anordnen, dass bestimmte – vorzugsweise die werthaltigen Gegenstände – im Wege des Vermächtnisses den einzelnen Erben zugewandt werden. Durch diese Verteilung wird späterer Streit darüber, wer einzelne Gegenstände erhalten soll, vermieden. Damit ist auch zu dem von Ihnen angesprochenen Inhalt des Vermächtnisses zu kommen. Hier ist das Maß der Gestaltungsfreiheit hoch. Es gibt unzählige Arten von Vermächtnissen. In der Regel geht der Anspruch auf Übereignung einer vermachten Sache, Abtretung eines vermachten Rechtes oder um die Einräumung eines Rechtes. Es können damit bewegliche Sachen (z.B. Fahrzeuge, Schmuck, Kunstwerke, Geld), aber auch Immobilien (z.B. Grundstücke, Eigentumswohnungen) zugwendet werden. Auch Rechte und Forderungen können Gegenstand eines Vermächtnisses sein (z.B. Guthaben auf Konten, eine Darlehensforderung, Wohnungsrechte, Nießbrauchrechte, Rente). Aber auch in Bezug auf die Vermächtnisarten ist zu unterscheiden. Wird wie bereits dargestellt ein konkreter Gegenstand vermacht, handelt es sich um ein Stückvermächtnis, §§ 2169, 2184, 2185 BGB.

Denkbar ist aber auch, dass sich der Begünstigte von den Nachlassgegenständen etwas aussuchen dürfen soll. Dann liegt ein Wahlvermächtnis vor, § 2154 BGB. Ist ein nicht zum Nachlass gehörender Gegenstand vermacht, kann ein Verschaffungsvermächtnis angeordnet sein, § 2170 BGB. Beliebt sind auch so genannte Quotenvermächtnisse, bei denen der Begünstigte einen quotalen Anteil vom Nachlasswert erhalten soll. Wird ein Miterbe zugleich vermächtnisweise begünstigt, so erhält dieser Erbe ein Vorausvermächtnis, 2150 BGB. Das Vermächtnis gibt dem Erblasser damit eine Vielzahl von Gestaltungsmitteln an die Hand. 

Im Einzelfall kann es doch unklar sein, ob der Erblasser in seinem Testament jemanden als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen wollte. Was geschieht, wenn die Formulierung im Testament unklar ist?

Dr. Jens Groh: Es kommt relativ häufig vor, dass ein Erblasser bei der Errichtung des Testamentes unklare Formulierungen wählt. Dies hängt auch damit zusammen, dass umgangssprachlich die einzelnen Begrifflichkeiten synonym verwendet werden. Ansatzpunkt ist dann die Auslegung des Testamentes, § 133 BGB.  Bei der Auslegung eines Testaments darf dann aber nicht alleine auf den Wortlaut abgestellt werden, sondern es sind auch außerhalb des Testaments liegende Umstände, insbesondere persönliche Lebensumstände des Erblassers bei der Auslegung, einzubeziehen. Dabei ist bei Zuwendungen an mehrere Personen jede Anordnung einzeln auszulegen, wobei die Bezeichnung „Erbe“ auch die Anordnung eines Vermächtnisses sein kann. Für den Fall, dass sich der wirkliche Wille des Erblassers nicht mehr zweifelsfrei ermitteln lässt – enthält das BGB sodann eine Reihe von Auslegungsregeln. Im vorliegenden Fall könnte dann die Regel des § 2087 BGB weiterhelfen. Hat der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens dem Bedachten zugewendet, so ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist, § 2087 I BGB. Sind dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewendet, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist, § 2087 II BGB. Dann wird man wohl von einem Vermächtnis ausgehen können.

Wie verhält sich ein Vermächtnis zum Pflichtteil?

Dr. Jens Groh: Der Pflichtteilsanspruch ist durch den Gesetzgeber vorgesehen worden, um nahen Angehörigen eine Mindestbeteiligung am Nachlass zu sichern. Voraussetzung für einen derartigen Anspruch ist, dass man durch Verfügung von Todes wegen (zum Beispiel durch Testament) von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Weiterhin muss eine Pflichtteilsberechtigung vorliegen. Pflichtteilsberechtigt sind Abkömmlinge des Erblassers, der Ehegatte und die Eltern des Erblassers, § 2303 BGB. Das Vermächtnis ist daher etwas anderes: Dort wendet der Erblasser freiwillig einem Vermächtnisnehmer, der nicht zwingend pflichtteilsberechtigt ist, etwas zu. Demgegenüber muss für den Pflichtteilsanspruch eine Pflichtteilsberechtigung bestehen. Hinzu kommt, dass der Pflichtteil nur auf Geld gerichtet ist. Anders als der Vermächtnisnehmer, der etwa ein Stückvermächtnis erhält (z.B. ein Gemälde), kann der Pflichtteilsberechtigte nur Zahlung verlangen. Vergleichbar sind Vermächtnis und Pflichtteilsanspruch aber dahingehend, dass beide Ansprüche geltend gemacht werden müssen und auch der Verjährung unterliegen. Ein Konkurrenzverhältnis kann entstehen, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis zugewendet wurde. Diesen Fall löst § 2307 BGB auf. Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht. Der Pflichtteilsberechtigte hat also ein Wahlrecht. Er kann das Vermächtnis ausschlagen und den Pflichtteil verlangen. Er kann es aber auch behalten und den Pflichtteilsrestanspruch geltend machen.

Es ist sinnvoll, schon frühzeitig für den Fall des Ablebens eine Regelung des Nachlasses zu erstellen – so kann unter Umständen ein Streit in der Familie verhindert werden. Welche Möglichkeiten gibt es noch, um für eine gerechte und sinnvolle Verteilung im Sinne des Erblassers zu sorgen?

Dr. Jens Groh: Es ist außerordentlich sinnvoll, bereits zu Lebzeiten eine Verfügung von Todes wegen zu errichten und die Vermögensnachfolge zu regeln. Dies gilt umso mehr, wenn erhebliche Vermögensgegenstände vorhanden sind. Dies allerdings nicht nur, um Streit zu vermeiden. Es besteht auch die Möglichkeit, über die Anordnung von Vermächtnissen an verschiedene Begünstige die Freibeträge nach dem Erbschaftsteuergesetz optimal zu nutzen, in dem Geldvermächtnisse angeordnet werden, die unterhalb der Freibeträge liegen. Statt mit Vermächtnissen zu arbeiten, kann der Erblasser die Verteilung des Erbes auch über eine Teilungsanordnung vornehmen, § 2048 BGB.  Der Erblasser kann Anordnungen dazu treffen, wie der Nachlass unter seine Erben verteilt werden soll. Seine Teilungsanordnungen haben Vorrang vor den gesetzlichen Auseinandersetzungsregeln. Sie begründen die schuldrechtliche Verpflichtung aller Miterben, die entsprechenden Übertragungsakte vorzunehmen. Die Teilungsanordnung verändert auch die Erbquote und damit die wertmäßige Verteilung des Nachlasses nicht. Dies ist auch der Unterschied zum Vermächtnis. Erhält ein Erbe ein Vermächtnis, so erhält er dies vorab aus der Erbmasse. Seine „absolute“ Beteiligung am Nachlass kann sich dadurch erhöhen. Jenseits der Gestaltung im Testament ist bei großen Vermögen auch darüber nachzudenken, Vermögensgegenstände bereits zu Lebzeiten im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zu übertragen. Auch dies ermöglicht die Vermeidung von Streit, aber auch das mehrfache Ausnutzen von steuerlichen Freibeträgen.

Herr Groh, vielen Dank für das Gespräch!

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