Dr. jur. Katharina M. Hauer: Arbeitnehmer muss sich weiterhin bei seinem Arbeitgeber krankmelden

Interview mit Dr. jur. Katharina M. Hauer
Dr. jur. Katharina M. Hauer ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei HAUER RECHTSANWÄLTE in Bad Nauheim. Mit ihr sprechen wir über digitale Krankmeldung, Vorteile sowie Änderung für den Arbeitgeber.

Ab 1. Oktober 2021 wird die digitale Krankmeldung Pflicht. Diese Umstellung war schon lange geplant. Warum wird das Projekt doch erst jetzt in Angriff genommen?

Dr. jur. Katharina M. Hauer: Aufgrund der fehlenden flächendeckenden Technik bei den Beteiligten wurde die Umstellung grundsätzlich auf den 1. Oktober 2021 verschoben. Für die Einführung mussten technische Voraussetzungen geschaffen werden, die in den meisten Praxen bisher nicht vorhanden waren. Dazu gehört zum Beispiel ein Update zum E-Health-Konnektor und des Praxisverwaltungssystems, ein Kommunikationsdienst KIM und der elektronische Heilberufsausweis (eHBA).

Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 1. Oktober ausschließlich digital ausgestellt?

Dr. jur. Katharina M. Hauer: Nein, da die technische Umstellung auf das elektronische Arbeitsunfähigkeitsverfahren (eAU-Verfahren) auch zum 1. Oktober 2021 noch nicht flächendeckend bei allen Ärzten möglich war, können diese auch vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2021 noch die schriftliche AU ausstellen. Zudem müssen bis Juli 2022 krankgemeldete Arbeitnehmer weiterhin ein schriftliches Exemplar an den Arbeitgeber schicken oder dort abgeben. Erst dann sollen Unternehmen auch an das elektronische Verfahren zum Abruf der eAU angeschlossen werden. Ab Juli 2022 ist dann nur noch ein Exemplar für die persönlichen Unterlagen der Versicherten vorgesehen.

Auf diese Weise kann zwar Digitalisierung im Gesundheitswesen einziehen, doch das Gesetz war nicht zwingend notwendig. Welche Vorteile hat die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Praxis?

Dr. jur. Katharina M. Hauer: Bislang bestand das Risiko, dass der Krankengeldanspruch für gesetzlich Versicherte erlischt, wenn die AU zu spät, d.h. nicht spätestens eine Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit, bei der Krankenkasse eingegangen ist. Diese Frist ergibt sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V. Da die Arztpraxis die AU nun direkt elektronisch an die Krankenkasse übersenden soll, entfällt dieses Risiko. Zudem werden Bürokratie und Kosten für den Papierversand eingespart und eine lückenlose Dokumentation von AU-Zeiten bei den Krankenkassen sichergestellt.

Dass das elektronische Verfahren grundsätzlich funktioniert, zeigt ein Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse. Können Sie uns sagen, wie der Prozess des “digitalen gelben Scheins” seitens der Ärzte, Ärztinnen und Krankenkassen ab dem 1. Oktober ablaufen wird?

Dr. jur. Katharina M. Hauer: In der Regel suchen Kranke eine Arztpraxis auf. Ein Arzt untersucht den erkrankten Patienten nicht nur, sondern kann auch die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen, was bislang in Papierform geschah. Kranke Arbeitnehmer schickten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) dann mit jeweils einem Exemplar an den Arbeitgeber und an die Krankenkasse. Seit 01.10.2021 sollen die Arztpraxen die AU digital an die Krankenkasse übermitteln. Dadurch sparen sich Arbeitnehmer einen Schritt der Krankmeldung: Sie müssen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr selbst an ihre Krankenkasse schicken. Da die Änderung bei der Krankmeldung noch ganz neu ist, sollten Patienten zur Sicherheit in ihrer Praxis nachfragen, ob diese die AU auch direkt der Krankenkasse meldet. Es kann durchaus sein, dass noch nicht jede Arztpraxis über die technischen Voraussetzungen zur digitalen Übertragung verfügt.

Was ändert sich rechtlich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem Gesetz?

Dr. jur. Katharina M. Hauer: Der grundsätzliche rechtliche Ablauf bei einer Krankmeldung bleibt gleich. Der Arbeitnehmer muss sich weiterhin bei seinem Arbeitgeber krankmelden. Das heißt er ist nach § 5 Abs. 1 EntgFG verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich seine Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Die Meldepflicht durch den Arbeitnehmer bleibt also bestehen. Dabei muss er, jedenfalls bis Juli 2022, sicherstellen, dass die mit der reinen „Krankmeldung“ nicht zu verwechselnde Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes den Arbeitgeber auch erreicht. Diese muss in jedem Fall bei Krankheit von mehr als drei Tagen vorgelegt werden, der Arbeitgeber kann sie jedoch schon ab dem 1. Krankheitstag verlangen. Ab Juli 2022 fällt die Nachweispflicht, nicht jedoch die Meldepflicht, für den gesetzlich versicherten Arbeitnehmer weg. Dafür muss der Arbeitgeber künftig, sobald er von dem Arbeitnehmer über die Krankheit informiert wurde, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der jeweiligen Krankenkasse elektronisch abfragen.

Frau Dr. Hauer, vielen Dank für das Gespräch!

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