Dr. Laura Dreissigacker: Gründe für Enterbungen sind vielfältig

Interview mit Dr. Laura Dreissigacker
Dr. Laura Dreissigacker ist Rechtsanwältin in der Kanzlei PBD in Wiesbaden. Mit ihr sprechen wir über Gründe der Enterbung, familieninterne Streitigkeiten sowie taktische Erwägungen.

Enterbungen kommen immer wieder in den besten Familien vor. Was sind Gründe aus denen Erblasser die Nachfahren enterben möchten?

Dr. Laura Dreissigacker: Die Gründe für Enterbungen sind vielfältig. Oft sehen sich Erblasser durch einen familieninternen Streit oder Enttäuschung darüber, dass die Kinder sich nicht um sie gekümmert haben, zu einer Enterbung veranlasst. Auch taktische Erwägungen können bei einer Enterbung eine Rolle spielen. Beispielsweise dann, wenn ein Kind zu Lebzeiten bereits erhebliche Zuwendungen erhalten hat, wird dieses oft durch eine Enterbung aus der Erbengemeinschaft ausgeschlossen. Jedoch auch eine Trennung vom Ehepartner kann eine testamentarische Enterbung sinnvoll erscheinen lassen, bis das gesetzliche Erbrecht durch die Ehescheidung erlischt, um ein Erbrecht des getrennten Partners während des Trennungsjahres zu verhindern.

Eine rechtmäßige Enterbung muss mehrere Ansprüche erfüllen. Welche Anforderung stellt der Gesetzgeber hieran?

Dr. Laura Dreissigacker: Für eine rechtmäßige Enterbung muss die Person, die enterbt werden soll – bestenfalls ausdrücklich, möglich aber auch konkludent durch Einsetzung einer oder mehrerer anderer Personen als Alleinerben – in einer testamentarischen Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Gerade im letzteren Fall, der konkludenten Enterbung, muss die Einsetzung der anderen Personen als Alleinerben jedoch sehr genau formuliert werden. Andernfalls können schnell Zweifel entstehen, was der Erblasser ausdrücken wollte. Idealerweise sollte in dem Testament daher eine ausdrückliche Formulierung dahingehend erfolgen, dass die betreffende Person enterbt ist. Für eine Rechtsverbindlichkeit der Enterbung ist die Einhaltung der richtigen Form des Testamentes unumgänglich. Entweder kann ein solches bei einem Notar erstellt oder eigenhändig geschrieben werden.

Dass Angehörige leer ausgehen, ist in den meisten Fällen höchst unwahrscheinlich. Was regelt das Pflichtteilsrecht genau und wer ist pflichtteilsberechtigt?

Dr. Laura Dreissigacker: Das deutsche Erbrecht sieht ein kaum umgehbares Pflichtteilsrecht eines eng begrenzten Personenkreises vor, nämlich für Abkömmlinge (Kinder, Enkel und Urenkel) Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers sowie dessen Eltern, sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind. Dabei regelt das Pflichtteilsrecht, dass die pflichtteilsberechtigten Personen, die von der Erbfolge durch Testament ausgeschlossen wurden, dennoch einen Teil des Nachlasses erhalten sollen, nämlich 50 % des gesetzlichen Erbteils, den sie ohne Testament erhalten hätten. Damit der Erblasser das Pflichtteilsrecht seiner nahen Angehörigen nicht dadurch aushöhlen kann, Vermögen zu Lebzeiten zu verschenken, besteht neben dem Pflichtteilsrecht noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch, der sich auf unentgeltliche Zuwendungen bezieht, die der Erblasser vor seinem Tod vorgenommen hat.

Nach deutschem Erbrecht gibt es Erben mehrerer Ordnungen. Können Sie uns die verschiedenen Ordnungen erklären?

Dr. Laura Dreissigacker: Sofern der Erblasser kein Testament hinterlassen hat, richtet sich die Erbfolge nach dem gesetzlichen Erbrecht. Das deutsche Erbrecht sieht hierfür eine Erbfolge nach verschiedenen Ordnungen vor, die sich nach dem Verwandtschaftsgrad richten. Dabei sind die Erben erster Ordnung die Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge, die Erben zweiter Ordnung die Eltern des Erblassers und wiederrum deren Abkömmlinge, also Geschwister, Nichten und Neffen des Erblassers. Zu Erben dritter Ordnung gehören die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also aus Sicht des Erblassers dessen Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins. Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge usw. usf. Verwandte der vorhergehenden Ordnung schließen Verwandte einer nachfolgenden Ordnung aus, sind also beispielsweise Abkömmlinge des Erblassers vorhanden, erben die Personen aus der zweiten und dritten Ordnung nichts. Neben den Verwandten erbt auch stets der überlebende Ehegatte bzw. Lebenspartner. Dies gilt für Erben aller Ordnungen, wobei neben einem Ehepartner nur Verwandte der ersten oder zweiten Ordnung erben können. Sind solche nicht vorhanden, erbt der überlebende Ehepartner allein.

Was ist denn der Unterschied zwischen gesetzlicher und testamentarischer Erbfolge?

Dr. Laura Dreissigacker: Hinterlässt der Erblasser ein Testament, so ist diesem Willen des Erblassers stets Vorrang einzuräumen vor der gesetzlichen Erbfolge, vorausgesetzt, es handelt sich um ein wirksames Testament. Durch Testament kann entweder die gesamte Erbfolge geregelt oder lediglich einzelne Anordnungen getroffen werden, wie etwa die Anordnung eines Vermächtnisses. Liegt kein Testament vor oder ist ein vorhandenes Testament unwirksam, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Es erben dann die Verwandten nach den verschiedenen Ordnungen und der Ehepartner bzw. Lebenspartner.

Wann ist das Testament formwirksam?

Dr. Laura Dreissigacker: Grundvoraussetzung für ein wirksames Testament ist zunächst die Testierfähigkeit des Erblassers. Auch die vom Gesetz geforderten Formalien sind einzuhalten: Das Testament muss entweder vor einem Notar errichtet werden oder vom Erblasser persönlich, also insgesamt handschriftlich niedergeschrieben und unterschrieben sein. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn Ehepartner ein gemeinsames Testament verfassen wollen: Hier reicht es aus, wenn einer der Ehepartner das Testament eigenhändig schreibt und beide unterzeichnen. Die Angabe des Datums und des Ortes der Niederschrift sind keine Wirksamkeitsvoraussetzungen, empfehlen sich jedoch insbesondere deshalb, weil die Errichtung eines späteren Testamentes gegebenenfalls ein früheres Testament unwirksam macht.

Frau Dr. Dreissigacker, vielen Dank für das Gespräch!

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