Dr. Marco Rogert: Auch Banken dürfen Girokonten jederzeit kündigen

Interview mit Dr. Marco Rogert
Dr. Marco Rogert ist Gründungspartner der Verbraucherschutzkanzlei Rogert & Ulbrich. Mit ihm sprechen wir über Gebührenerhöhungen, Kontokündigungen sowie finanzielle Schieflage.

Der BGH hat im April entschieden, dass Banken immer bei Änderungen der AGB eine Zustimmung der Kunden einholen müssen. Welche Auswirkungen hat das Urteil bezüglich der Kontogebühren?

Dr. Marco Rogert: Zunächst einmal, dass künftige Erhöhungen der Kontogebühren für Banken und Sparkassen wesentlich schwieriger zu erreichen sind als bisher. Die Geldhäuser rechtfertigten ihre Preiserhöhungen in den vergangenen Jahren mit sog. ‚Klauseln‘ in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, besser bekannt als ‚AGB‘. Diese sahen vor, dass betroffene Bankkunden den Erhöhungen ausdrücklich widersprechen müssten, um diese zu verhindern. Im Umkehrschluss bedeutete das aber auch, dass von den Finanzinstituten angekündigte Entgelterhöhungen automatisch wirksam wurden, sofern die Kunden nicht widersprachen. Der Bundesgerichtshof machte nun deutlich, dass es sich dabei eindeutig um eine unangemessene Benachteiligung der Kunden handelt. Eine solche Praxis ist nicht im Sinne des Verbraucherschutzes und daher rechtswidrig. Bank- und Sparkassenkunden, die solche Entgelterhöhungen hinnehmen mussten, empfehlen wir, sich von spezialisierten Fachanwälten für Bank- und Kapitalmarktrecht beraten zu lassen. Auch wir bei Rogert & Ulbrich haben ein Team von Anwälten, das sich mit diesem Thema befasst. Sie müssen von nun an nur noch die bei Kontoeröffnung gültigen bzw. vereinbarten Preise zahlen. Möchte die Bank diese erhöhen, ist dafür zukünftig die ausdrückliche Zustimmung des Kunden erforderlich.

Können sich jetzt alle Bankkunden über niedrigere Gebühren freuen?

Dr. Marco Rogert: Ganz so einfach ist es leider nicht. Das Urteil des Bundesgerichtshofs bezieht sich lediglich auf solche Erhöhungen, welche auf Grundlage der beschriebenen und vom BGH als unzulässig bewerteten Klauseln in den AGB der Banken durchgeführt wurden. Wer in der Vergangenheit von solchen Gebührenerhöhungen betroffen war, kann sich nun wieder über die bei Kontoeröffnung vereinbarten Preise freuen, welche wohl deutlich geringer sein dürften. Wie viel jeder Einzelne dabei zukünftig spart, hängt davon ab, wie lange die Kontoeröffnung bereits in der Vergangenheit liegt. Wer allerdings vergangenen Gebührenerhöhungen ausdrücklich zustimmte oder bei wem diese auf anderer vertraglicher Grundlage erfolgten, kann sich nicht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs berufen. Das bedeutet jedoch nicht, dass dabei nicht andere unzulässige Klauseln zur Anwendung gelangt sein können.

Was können Verbraucher und Unternehmen tun, die in der Vergangenheit zu hohe Gebühren gezahlt haben?

Dr. Marco Rogert: Banken und Sparkassen dürfen nur die bei Kontoeröffnung und somit bei Vertragsschluss gültigen Gebühren behalten. Sämtliche darüberhinausgehende und von Kunden bezahlte Gebühren können folglich zurückverlangt werden – inklusive Zinsen. Dieser Betrag kann schnell in den dreistelligen Bereich gehen. Von dem Urteil des Bundesgerichtshofs umfasst sind allerdings ausschließlich Verbraucher und keine Unternehmen. Zu beachten gilt es auch, dass eine Rückforderung der zu viel gezahlten Gebühren lediglich rückwirkend bis zum 1. Januar 2018 möglich ist. Wer gar nicht genau weiß, wie hoch die von der Bank oder der Sparkasse eingehaltenen Kontogebühren in der Vergangenheit waren, hat nach § 10 ZKG Anspruch auf eine individuelle Aufstellung der Kosten, welche im Zusammenhang mit dem eigenen Konto und damit verbundenen Diensten angefallen sind. Solche Entgeltaufstellungen sind den Kunden von Banken und Sparkassen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wer sich unsicher ist, wie er oder sie diesbezüglich an die Bank herantreten soll, kann sich dafür auch an eine spezialisierte Anwaltskanzlei wenden. Diese prüft i. d. R. noch einmal die genaue Höhe der Rückforderung und macht diesen Anspruch schließlich gegenüber der Bank geltend. Eine Kontaktaufnahme zu unseren spezialisierten Anwälten ist beispielsweise über unsere Internetseite www.ru.law problemlos möglich.

Einige Banken reagieren auf Klagen mit Kontokündigungen. Sind die Kündigungen rechtswirksam?

Dr. Marco Rogert: Generell gilt: Auch Banken dürfen Girokonten jederzeit kündigen, sogar ohne erkennbare Gründe. Das hat der Bundesgerichtshof bereits mit einem Urteil aus 2013 klargestellt. Voraussetzung ist dafür nach § 675h Abs. 2 BGB, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und das Kündigungsrecht vereinbart wurde. Dies dürfte allerdings in aller Regel der Fall sein. Die Bank hat dann eine Kündigungsfrist von mindestens zwei Monaten zu beachten. Schwieriger sind solche Kündigungen hingegen für Sparkassen. Diese dürfen Geschäftsbeziehungen nur kündigen, sofern für die Kündigung ein sachgerechter Grund besteht. Dennoch sind auch seitens der Sparkasse Kündigungsfristen zu beachten.

Die Finanzlobby an die Bundesregierung beklagt, dass den Banken hohe Belastungen drohen. Ist das Wolfsgejammer oder eine berechtigte Sorge?

Dr. Marco Rogert: In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Banken und Sparkassen ihre Girokonten und damit verbundene Leistungen verteuert. Die Bundesbank hat für die gesamte Branche im Jahr 2019 einen Jahresüberschuss von 5,9 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) vermutet nun, dass das BGH-Urteil die Branche etwa die Hälfte dieses Jahresüberschusses kosten wird. Banken und Sparkassen müssen also mit Rückzahlungen in Höhe von ca. 3 Milliarden Euro rechnen. Wie sich die Folgen schlussendlich genau darstellen, sollte allerdings zunächst einmal abgewartet werden.

Könnten einige Banken durch das BGH-Urteil tatsächlich in finanzielle Schieflage geraten?

Dr. Marco Rogert: Natürlich wird es Banken und Sparkassen geben, die Rückzahlungen in Höhe mehrerer hundert Millionen Euro leichter bewerkstelligen können als andere. Der 2019 erzielte Jahresüberschuss der Bundesbank gibt aber Grund dazu, dem ganzen optimistisch entgegenzublicken. Sollte dennoch einzelnen Banken aufgrund des Urteils eine Insolvenz drohen, können Kontoinhaber mit Einlagen bis zu einer Höhe von 100.000 Euro beruhigt sein. Guthaben auf dem Girokonto bis zu diesem Betrag sind pro Kunde und Bank durch die gesetzliche Einlagensicherung gedeckt.

Dr. Rogert, vielen Dank für das Gespräch!

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