Das Bundeskabinett hat vor Kurzem per Gesetzes die Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts beschlossen. Können sie uns in Kürze die Tragweite zusammenfassen?
Falco Henkel: Der vom Gesetzgeber selbst formulierte Anspruch lautete, das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter zu machen und für einen fairen Interessenausgleich zwischen Kreativen, Rechteverwertern und Nutzern zu sorgen. In Anbetracht der teilweise völlig entgegengesetzten Interessenslagen war dies sicherlich eine Herkulesaufgabe. Die Änderungen reichen von kleineren Verbesserungen für die Urheber im Urhebervertragsrecht und die Einführung des bereits seit langem geforderten Leistungsschutzrechts für Presseverleger über neue Bestimmungen zur Online-Verbreitung von Fernseh- und Radioprogrammen und Regelungen zu Text und Data Mining bis hin zu einem eigenständigen Gesetz zur Regelung der urheberrechtlichen Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram, TikTok o.a. Im Ergebnis wurde insbesondere im Bereich der Upload Plattformen aus meiner Sicht ein vom Grunde her richtiger Lösungsansatz gesucht. Im Detail sieht der gefundene Kompromiss allerdings eine Vielzahl von Regelungen, Ausnahmen und Gegenausnahmen vor, um möglichst allen Interessen gerecht zu werden. Ob dies in der Praxis tatsächlich zu sachgerechten Lösungen führen wird, bleibt abzuwarten. Die „größte europäische Urheberrechtsreform der letzten zwanzig Jahre“ könnte zumindest in Teilbereichen eine kurze Halbwertszeit haben. So läuft aktuell noch eine viel beachtete Klage Polens vor dem EuGH gegen die hier umgesetzte EU-Richtlinie zum Urheberrecht. Die Klage richtet sind insbesondere gegen die von den Upload-Plattformen zur Unterbindung von Urheberrechtsverstößen durchzuführenden Vorabkontrollen von Inhalten, welche die Nutzer auf der Plattform hochladen wollen. Unabhängig davon, ob solche Vorabkontrollen als zulässig angesehen werden oder nicht, ist jedenfalls zu begrüßen, dass die Upload-Plattformen, welche bisher indirekt über Werbeeinnahmen viel Geld mit den oftmals von den Nutzern illegal hochgeladenen Inhalten verdienten, hierfür auch eine Verantwortung übernehmen sollen. Dabei sieht das Gesetz eine durchaus pragmatische Lösung vor, wonach es weniger darum geht, den Plattformen oder den Nutzern die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke zu untersagen, als vielmehr darum, die Urheber an den erzielten Verwertungsgewinnen zu beteiligen. Dies wird zu mehr Rechtssicherheit bei der Verwendung von urheberrechtlich geschützten Materialien bei den heute bekannten Formen digitaler Nutzung führen. Insbesondere wird die soziale Kommunikation über digitale Plattformen und die in diesem Zusammenhang bekannten Geschäftsmodelle klareren Regeln unterworfen. Perspektivisch gilt aber wohl „nach der Reform ist vor der Reform“. Die Herausforderungen des sich nach wie vor rasant wandelnden digitalen Umfeldes mit immer neuen Geschäftsmodellen und Anwendungsformen werden sich nicht mit einer Herkulesaufgabe lösen lassen, sondern stellen wohl mehr eine Sisyphos Arbeit dar.
Das Gesetz sieht einen fairen Interessenausgleich vor, von dem Kreative, Rechteverwerter und Nutzer gleichermaßen profitieren sollen. Wird dieses Ziel erreicht?
Falco Henkel: Das Gesetz sieht tatsächlich in vielen Bereichen Verbesserungen vor, in denen es in der Vergangenheit zu Verwerfungen zulasten der einen oder anderen Seite gekommen ist. So bekommen die bisher häufig ungeschützten Presseverleger für ihre Presseveröffentlichungen ein eigenes Schutzrecht. So gestärkt, werden diese in die Verhandlungen mit Suchmaschinenbetreibern und anderen Zweitverwertern ihrer Leistungen eintreten können. Die Urheber können sich über kleinere Verbesserungen im Urhebervertragsrecht freuen, die künftig eine bessere Kontrolle und Durchsetzung einer angemessenen Vergütung ermöglichen. Zugunsten von Unterricht und Bildung gibt es Erleichterungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke, ohne die Fachbuchverlage über Gebühr zu belasten. Das Text und Data Mining wird zulässig, wobei den Urhebern die Möglichkeit bleibt, diesem zu widersprechen. Zugunsten der Nutzer sieht das Gesetz die Zulässigkeit der Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke zu Zwecken der Karikatur, der Parodie und des Pastiches vor. Insbesondere bei den neuen Vorschriften für Upload-Plattformen hat der Versuch des Interessenausgleichs allerdings zu sehr komplexen Regelungen geführt, für welche sogar ein eigenes Gesetz (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz, UrhDaG) notwendig wurde. Dieses sieht nun eine grundsätzliche Verantwortung der Plattformen für nutzergenerierte Inhalte vor. Die Plattformen sind zunächst einmal verpflichtet, die Nutzungsrechte für die wiedergegebenen Werke zu erwerben. Gelingt dies nicht, sind die Plattformen nach Aufforderung durch die Rechteinhaber verpflichtet, Inhalte zu blockieren und dafür zu sorgen, dass diese zukünftig nicht mehr eingestellt werden können. Eine Verpflichtung, der die Plattform Betreiber im digitalen Massengeschäft sinnvoll nur mit automatisierten Uploadfiltern nachkommen können. Um die Nutzer davor zu schützen, dass diese automatisierten Filter ihre Inhalte auch dann blockieren, wenn diese eigentlich rechtlich zulässig sind (z.B., weil der Nutzer selbst Rechte an den verwendeten Werken eingeholt hat oder weil eine gesetzliche Gestattung greift), sieht das Gesetz vor, dass „mutmaßlich erlaubte Nutzungen“ bis zum Ablauf eines Beschwerdeverfahrens von den Plattformbetreibern zuzulassen sind. Als mutmaßlich erlaubt, gelten Inhalte, die Werke des Rechteinhabers in einem nur sehr geringen Umfang (Bagatellgrenze) verwenden und mit anderen Inhalten kombinieren. Wird die Bagatellgrenze aber überschritten, werden die Inhalte nur dann als zulässig angesehen, wenn der Nutzer sie selbst als „erlaubte Nutzung“ gekennzeichnet hat. Hierzu gibt es wieder Gegenausnahmen. Um die Rechte der Urheber zu schützen, können diese auch schon während des Beschwerdeverfahrens eine Blockierung des Inhalts verlangen, wenn sie von der Plattform als vertrauenswürdig eingeschätzt wurden. Um zu verhindern, dass Nutzer ihre Inhalte missbräuchlich als „erlaubte Nutzung“ kennzeichnen oder Rechteinhaber zu Unrecht eine sofortige Blockierung verlangen, sieht das Gesetz wiederum vor, dass Nutzer und Rechteinhaber, welche diese Möglichkeiten wiederholt zu Unrecht in Anspruch genommen haben, temporär von dem Verfahren ausgeschlossen werden können. Ob dieses komplizierte Konzept von Haftung, Sorgfaltspflichten, Ausnahmen und Gegenausnahmen tatsächlich zu einem gerechten und praktikablen Interessenausgleich führen wird, bleibt abzuwarten. Das zukünftig aber mehr Inhalte blockiert werden als heute, ist anzunehmen. Sollte sich Polen mit seiner Klage durchsetzen, werden an dieser Stelle die Karten aber neu gemischt.
Gleichzeitig soll die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer im Internet gewahrt und vor „Overblocking“ geschützt werden. Was ändert sich im Alltag für die User?
Falco Henkel: Der Alltag der Nutzer wird sich voraussichtlich an zwei wesentlichen Stellen ändern. Zum einen wird der Nutzer von den Plattformen mehr und mehr die Möglichkeit erhalten, seine Inhalte mit bereits vorlizenzierten Werken zu erstellen, um von vornherein zu vermeiden, dass nicht lizenzierte Inhalte auf der Plattform landen, die dann erst in den vorstehend geschilderten komplizierten Verfahren zu prüfen wären. Dies ist eine erhebliche Erleichterung für die Nutzer, kann aber auch die Vielfalt der Inhalte einschränken. Zum anderen wird jeder Nutzer, der Inhalte produziert, die Werke enthalten, für die der Plattform Betreiber bisher keine Nutzungsrechte eingeholt hat, seinen Beitrag als „erlaubte Nutzung“ kennzeichnen müssen. Nur so kann sicher vermieden werden, dass der Beitrag durch einen automatisierten Uploadfilter geblockt wird. Damit wird dem Nutzer aber auch mehr Verantwortung aufgebürdet. Unter dem Strich wird den Nutzern also eine intensivere Beschäftigung mit der Frage der urheberrechtlichen Zulässigkeit ihrer Inhalte abverlangt werden. Nicht ganz unbegründet sind die Befürchtungen, dass es insoweit zu einer Selbstzensur der Nutzer kommen kann, welche dann im Zweifel Inhalte lieber nicht veröffentlichen werden.
Vervielfältigungen von gemeinfreien visuellen Werken wie beispielsweise alte Gemälde genießen zukünftig keinen Leistungsschutz mehr. Ist es bis dato verboten, z.B. Gemälde alter Meister als Fotos in eigenen Posts in Umlauf zu bringen?
Falco Henkel: Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst erläutern, dass hier streng zwischen dem Recht an dem Gemälde und dem Recht an dem Foto zu unterscheiden ist. Handelt es sich um ein Gemälde, dessen Urheberrechtsschutz beendet ist, da der Maler bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben ist, ist dieses Original gemeinfrei. Jedermann kann dann Vervielfältigungen dieses Gemäldes (z.B. als Foto) erstellen. Diese Vervielfältigungen können dann allerdings einen eigenen Schutz genießen. Insbesondere bei Fotos sieht das Urheberrecht ein sogenanntes Leistungsschutzrecht vor. Fotos, egal wie simpel diese sind, unterliegen daher einem urheberrechtlichen Schutz. Den eigenen Schnappschuss der Mona Lisa durfte man also ohne weiteres in Umlauf bringen und beispielsweise auf sozialen Netzwerken veröffentlichen. Anders war dies hingegen, wenn man das Foto der Mona Lisa eines anderen verbreiten wollte, hierfür musste man dann ein entsprechendes Recht von dem Fotografen erhalten. Hatte man also z.B. im Geschenkshop eines Museums Fotos der ausgestellten Kunstwerke erworben, durfte man diese bisher in der Regel nur im privaten Kreis nutzen. Schon die Veröffentlichung auf sozialen Medien konnte einen Rechtsverstoß darstellen. Durch die jetzige Gesetzesänderung entfällt der Leistungsschutz für solche Vervielfältigungen von gemeinfreien Werken, sodass man nun auch die Fotos Dritter von solchen Werken veröffentlichen darf, ohne vorher Rechte einzuholen.
Die Online-Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen soll auch neu geregelt werden. Bedeutet dies, dass man jetzt Auszüge aus Programmen selbst durch Postings vervielfältigen kann, ohne beispielsweise GeMa-Gebühren zahlen zu müssen?
Falco Henkel: Nein. Das bisher als „Kabelweitersendung“ titulierte Recht, eine Fernseh- oder Rundfunksendung parallel zu seiner Ausstrahlung auch anderweitig (z.B. über ein Kabelnetzwerk) zu verbreiten, wird nun technikneutral formuliert, um dieses neuen technischen Verbreitungsformen anzupassen. Es ist daher nur noch von „Weitersendung“ die Rede. Dies ändert aber nichts daran, dass zunächst einmal nur die Urheber bzw. die Sendeunternehmen über entsprechende Rechte verfügen. Auch die Regelungen zu ergänzenden Online-Diensten von Sendeunternehmen dienen lediglich dazu, den Sendern ihre typischen Angebote in Form von Mediatheken etc. im grenzüberschreitenden Verkehr zu erleichtern. Hierzu wurde das Ursprungslandprinzip festgeschrieben, wonach ein solches Online-Angebot der Sendeunternehmen allein den rechtlichen Regelungen des Landes der Hauptniederlassung des Sendeunternehmens unterliegen soll. Damit soll vermieden werden, dass die Sendeunternehmen mit ihren Online-Angeboten Dutzenden verschiedener Rechtsordnungen unterliegen, wenn ihre Angebote auch im Ausland abrufbar sind. Die Gesetzesänderung bietet somit weder neue Rechte, Rundfunk- und Fernsehprogramme Dritter zu vervielfältigen, noch entfällt im Zusammenhang mit den Regelungen eine bestehende Pflicht, für die Nutzung von Radio- und Fernsehprogrammen GeMa Gebühren zu zahlen.
Der Gesetzes-Entwurf, so heißt es, enthält Regelungen zu gesetzlichen Nutzungserlaubnissen für das Text und Data Mining, einer Schlüsseltechnologie für maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (§§ 44b, 60d UrhG-E). Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf Regelungen für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht und die Lehre sowie für die Erhaltung des Kulturerbes. Was ändert sich für kleine Content Produzenten?
Falco Henkel: Das neu eingefügte Recht zu Text und Data Mining stellt zunächst einmal klar, dass die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen, zulässig ist. Ab sofort dürfen daher rechtmäßig zugängliche Werke zu diesem Zweck vervielfältigt werden, wobei die Vervielfältigungen zu löschen sind, sobald sie für das Text und Data Mining nicht mehr erforderlich sind. Rechteinhaber können sich allerdings das Recht zur Nutzung der Daten für das Text und Data Mining vorbehalten, was dann dazu führt, dass eine Nutzung dieser Inhalte im Zusammenhang mit Text und Data Mining ausgeschlossen ist. Ein solcher Nutzungsvorbehalt ist bei online zugänglichen Werken allerdings nur dann wirksam, wenn er in maschinenlesbarer Form erfolgt. Zum Zwecke der nichtkommerziellen wissenschaftlichen Forschung gelten darüberhinausgehende Rechte zum Text und Data Mining, hier greift der Vorbehalt der Rechteinhaber nicht. Zur Erhaltung des Kulturerbes dürfen Kultureinrichtungen nicht verfügbare Werke zu nichtkommerziellen Zwecken vervielfältigen und öffentlich zugänglich machen, soweit keine Verwertungsgesellschaft diese Rechte wahrnimmt. Der Rechteinhaber kann der Nutzung jedoch widersprechen. Im Bereich von Unterricht und Lehre gab es schon immer die Möglichkeit in einem gewissen Umfang Vervielfältigungen von urheberrechtlich geschützten Werken zur nichtkommerziellen Nutzung und Veranschaulichung im Unterricht anzufertigen. Einschränkungen galten allerdings für öffentliche Vor- und Aufführungen, für Werke, die ausschließlich für den Unterricht bestimmt sind (z.B. Lehrbücher und -medien) sowie für Noten. Diese Einschränkungen werden nun teilweise aufgehoben und sollen nur noch gelten, wenn Lizenzen für diese Nutzungen leicht verfügbar und auffindbar sind und den Bedürfnissen und Besonderheiten von Bildungseinrichtungen entsprechen, insbesondere die relevanten Nutzungen erlauben. Content Produzenten werden daher zukünftig insbesondere bei Online-Veröffentlichungen abwägen müssen, ob sie einen Vorbehalt bezüglich des Textes und Data Mining erklären wollen. Für Hersteller von Lernmaterialien ist es ratsam, zu überprüfen, ob die für die eigenen Werke angebotenen Lizenzen den Neuregelungen entsprechen. Zu beachten ist dabei vor allem, dass die Lizenzangebote den relevanten Bildungseinrichtungen zur Kenntnis gebracht werden bzw. leicht verfügbar sind und inhaltlich auch die Anfertigung von Auszügen vorsehen.