Florian Wagenknecht: Mehr Chancen für Urheber

Interview mit Florian Wagenknecht
Florian Wagenknecht ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Tölle Wagenknecht Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Bonn. Mit ihm sprechen wir über den digitalen Binnenmarkt, bisheriges Ungleichgewicht sowie Overblocking.

Das Bundeskabinett hat vor Kurzem per Gesetzes die Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts beschlossen.  Können sie uns in Kürze die Tragweite zusammenfassen?

Florian Wagenknecht: Das „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“ ist der erste ernsthafte Versuch des Gesetzgebers, Urheber an der Nutzung ihrer Werke insb. auf Online-Plattformen auch finanziell zu beteiligen. Gerade kleinere Künstler und Kreative tauchten in den bisherigen Vereinbarungen zwischen Verwertern und Plattformen praktisch gar nicht auf und wurden entsprechend nicht an den Gewinnen aus ihrer Arbeit wenig bis nicht beteiligt. Ebenso ist die Einführung eines Presseverleger-Leistungsschutzrechte hervorzuheben.

Das Gesetz hat insgesamt viele Höhen und Tiefen und rechtliche wie praktische Schwierigkeiten. Es kann mit viel Bewegung gerechnet werden, aber die Tragweite kann zum jetzigen Zeitpunkt kaum abgeschätzt werden.

Das Gesetz sieht einen fairen Interessenausgleich vor, von dem Kreative, Rechteverwerter und Nutzer gleichermaßen profitieren sollen. Wird dieses Ziel erreicht?

Florian Wagenknecht: Bisher herrschte oftmals ein großes Ungleichgewicht zu Lasten von Künstlern und Kreativen. Es bildete sich eine Umsonst-Kultur im Internet: Viel nehmen, nichts dafür geben. Durch die neuen Direktvergütungspflichten an Urheber dürfte sich dies teilweise zum Besseren gewendet haben. Interessant ist auch die Möglichkeit für Verwertungsgesellschaften, künftig kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung vergeben zu können. Das Gesetz ist also auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Gleichzeitig werden aber auch erhebliche Nachteile eingebaut, wie die kostenfreie Nutzung von Fotos gemeinfreier Werke, was darauf spezialisierten Fotografen praktisch die Grundlage nimmt. Zudem sind viele Punkte unnötig kompliziert geregelt, z.B. die Privilegierung geringfügiger Nutzungen, z.B. 15 Sekunden von Filmen, 160 Textzeichen oder Fotos mit weniger als 125 kb.

Gleichzeitig soll die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer im Internet gewahrt und vor „Overblocking“ geschützt werden. Was ändert sich im Alltag für die User?

Florian Wagenknecht: Was sich praktisch ändert wird viel davon abhängen, wie die Plattformen genau ihre Verpflichtungen umsetzen. Viele Änderungen werden die einzelnen User aber voraussichtlich nicht mitbekommen, da diese primär die Beziehungen zwischen den Plattformen und den Urhebern neu justieren.

Vervielfältigungen von gemeinfreien visuellen Werken wie beispielsweise alte Gemälde genießen zukünftig keinen Leistungsschutz mehr. Ist es bis dato verboten, z.B. Gemälde alter Meister als Fotos in eigenen Posts in Umlauf zu bringen?

Florian Wagenknecht: Bisher ist es tatsächlich so, dass Vervielfältigungen z.B. von alten Gemälden über das Leistungsschutzrecht geschützt sind und daher nicht ohne Lizenz oder im Rahmen einer der bisherigen urheberrechtlichen Schranken genutzt werden durfte.

Der neue § 68 UrhG, in dem diese neue Schranke geregelt wird, ist für einige hoch spezialisierte Fotografen ein enormes Problem und keine zufriedenstellende Lösung. Um eine gute und möglichst originalgetreue Vervielfältigung solcher Gemälde anzufertigen, ist viel Arbeit und Expertise notwendig. Solch spezialisierte Reproduktionsfotografen werden nun erhebliche Steine in den Weg gelegt, ihre Rechte kommerziell zu verwerten. Das dürfte der Gemeinschaft zunächst mehr schaden als nützen, wenn die (guten) Fotos nicht mehr erstellt werden.

Die Online-Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen soll auch neu geregelt werden. Bedeutet dies, dass man jetzt Auszüge aus Programmen selbst durch Postings vervielfältigen kann, ohne beispielsweise GeMa-Gebühren zahlen zu müssen?

Florian Wagenknecht: Nein. Die Anpassungen im Bereich der Radio- und Fernsehprogramme betreffen größtenteils nicht die Nutzer, sondern vor allem Sendeunternehmen und sogenannte Weitersendedienste sowie die Urheber. Letztere erhalten einen Direktvergütungsanspruch, während es für Erstere insbesondere erleichtert wird, die notwendigen Lizenzen zentral und einfach erwerben zu können. Dies war bisher insbesondere dann ein großes Problem, wenn Rechte für unterschiedliche Länder erworben werden mussten.

Der Gesetzes-Entwurf, so heißt es, enthält Regelungen zu gesetzlichen Nutzungserlaubnissen für das Text und Data Mining, einer Schlüsseltechnologie für maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (§§ 44b, 60d UrhG-E). Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf Regelungen für den digitalen und grenzüberschreitenden Unterricht und die Lehre sowie für die Erhaltung des Kulturerbes. Was ändert sich für kleine Content Produzenten?

Florian Wagenknecht: Kleine Content Creator werden sich nun vor allem mit der Frage beschäftigen müssen ob, und wenn ja wie, sie sich eine Nutzung ihrer Werke durch Text und Data Mining vorbehalten wollen (§ 44b Abs. 3 S. 1 UrhG). Gerade die Schranken zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke werden die meisten Kreativen nicht betreffen. Zugleich sind die Nutzungen zwar zum Unterricht und Lehre erlaubt, müssen aber trotzdem angemessen vergütet werden. Das gibt Urhebern mehr Chancen, für die Nutzung ihrer Werke nicht nur die notwendige Anerkennung, sondern auch eine finanzielle Beteiligung zu erhalten.

Herr Wagenknecht, vielen Dank für das Gespräch!

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