Gerhard Bongarth: Eine Beratung mündet gewöhnlicherweise in einer Empfehlung

Interview mit Gerhard Bongarth
Gerhard Bongarth ist Rechtsanwalt in seiner Kanzlei in Freiburg. Mit ihm sprechen wir über Finanzberater, Kapitalanlagefirmen sowie gängige Beratungsfehler.

Auf dem Kapitalmarkt hat man heutzutage viele Anlagemöglichkeiten. Immer öfter wird man von Finanzmaklern, Finanzberatern oder Kapitalanlagefirmen kontaktiert und aufgefordert, Kapital anzulegen. Doch man muss vorsichtig sein, denn diese Anfragen sind nicht immer seriös oder wirtschaftlich von Vorteil. Aus Ihren Erfahrungen heraus: Welche gängigen Beratungsfehler werden bei diesen Angeboten gemacht?

Gerhard Bongarth: Es gibt Unterschiede bei der Beratung von Produkten des geregelten und des ungeregelten Kapitalmarkts.

Unter dem geregelten Kapitalmarkt versteht man grob gesagt die Finanzinstrumente, welche über die Börse gehandelt werden, insbesondere Aktien, Derivate, Anleihen usw. Die hier auftretenden Beratungsfehler betreffen insbesondere die falschen Einschätzungen des Marktumfeldes der jeweiligen Aktien und der Entwicklungspotenziale, die falsche Bewertung von Unternehmensdaten und Vorkenntnisse von preisbildenden Faktoren. Soweit es sich nur um Prognosen handelt, fällt der Vorwurf eines Beratungsfehlers schwer. Bei einer Empfehlung wider besseren Wissens sieht es allerdings anders aus.

Ein Ansatzpunkt für einen Beratungsfehler liegt in der Geeignetheit der konkreten Finanzinstrumente für den Anleger. Es kommt insbesondere darauf an, die Neigung des Anlegers zum Risiko exakt herauszuarbeiten. Nach meiner Erfahrung werden gerade in den verpflichtenden Beratungsprotokollen und Wertpapierhandelsbögen falsche Angaben gemacht. Vielfach auf Veranlassung des Vermittlers und Beraters passt man den Anleger an die Risikoklasse und nicht die Risikoklasse an den Anleger an. Um also z.B. die „Aktie des Monats“ mit hoher Risikobehaftung zu vertreiben, müssen die potentiellen Anleger in eine hohe Risikoklasse eingruppiert werden, obwohl es sich um eher konservative Sparer ohne jegliche Kapitalmarkterfahrung handelt. Wenn die Risikoklasse entsprechend der geringen Risikoneigung niedrig wäre, käme allein aufgrund dieses formalen Kriteriums der Kauf nicht in Frage. Unter dem ungeregelten bzw. grauen Kapitalmarkt versteht man die Kapitalmarktinstrumente, die nicht über die Börse gehandelt werden. Diese sind z.B. im KAGB trotzdem geregelt, im Vergleich zu früheren Zeiten, wo es nur rudimentäre Vorschriften gab und sich der Vertrieb im „Graubereich“ abspielte.

Der in diesem Bereich vorzufindende überspannende Beratungsfehler betrifft die fehlende Liquidierungsmöglichkeit durch lange Laufzeiten und den massiven Kapitalverlust bis hin zum Totalverlust. Daneben gibt es zwar eine Vielzahl von aufklärungsbedürftigen Umständen, die aber im Wesentlichen unter die beiden genannten Fehlberatungen fallen. Aus Vertriebsgründen werden diese entscheidenden und wertbildenden Umstände in den Beratungsgesprächen nicht genannt. Dies gilt auch dann, wenn auf den Zeichnungsscheinen oder im Prospekt ein Risikohinweis gegeben wird. Es folgen gewöhnlicherweise Relativierungen und Verharmlosungen. Auch im Graukapitalmarktbereich gehen die Vermittler und Berater nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Anleger ein. Lange Laufzeiten kollidieren mit kurzfristiger Verfügbarkeit, Risikobehaftung mit dem Wunsch nach Sicherheit, Spekulationen mit dem Aufbau einer Alterssicherung. Aber dennoch findet man diese falschen Versprechungen häufig in den Beratungsgesprächen.

Die Justiz unterscheidet zwischen einer Beratung und Empfehlung. Ab wann liegt also eine Anlageberatung und wann eine Anlageempfehlung vor?

Gerhard Bongarth: Diese beiden Begriffe „Beratung“ und „Empfehlung“ sind keine Begriffspaare oder Gegensätze. Eine Beratung mündet gewöhnlicherweise in einer Empfehlung.

Die Rechtsprechung betont zudem einen Unterschied zwischen Anlagevermittlung und Anlageberatung. Was ist ein Anlagevermittler und was ein Anlageberater und warum muss die Rechtsprechung dabei unterscheiden?

Gerhard Bongarth: Ein Anlageberater gibt dem Kunden persönliche Empfehlungen, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen und die er nach einer Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers abgibt und für ihn als geeignet darstellt. Wesentlich für die Beratung ist also, dass aus der Evaluation der Kenntnisse und Erfahrungen sowie der Wünsche des Kunden ein Produkt herausgesucht und zur Anlage empfohlen wird. Der BGH spricht hier von der Pflicht zur „objektbezogenen“ und zur „personenbezogenen“ Aufklärung. Unter Beachtung dieser Kriterien empfiehlt der Anlageberater dann eine konkrete Anlage.

Der Anlagevermittler hingegen ist zur Erteilung von Auskünften über die Anlagen verpflichtet. Die Bewertung dieser Auskünfte, die Prüfung der Geeignetheit für die persönlichen Bedürfnisse und die Empfehlung für oder gegen die Anlage schuldet der Anlagenvermittler nicht. Allerdings darf er keine falschen oder erkennbar lückenhaften Auskünfte geben, wenn er deren Relevanz für die Anlageentscheidung kennt. Die Unterscheidung ist insofern wichtig, als sich die Pflichtenkataloge unterscheiden. Jemand, der keine Bewertung oder Empfehlung schuldet, kann nicht für die fehlende Geeignetheit der Anlage in Anspruch genommen werden. Der Berater hingegen hat genau diese Pflichten und haftet, wenn die Anlage nicht zum Anleger passt.

Selbst, wenn Anleger glauben, alles wichtig gemacht zu haben, sind sie vor bösen Überraschungen nicht sicher. Wann haftet ein Vermittler, wann ein Anlageberater und wann haftet man als Anleger selbst?

Gerhard Bongarth: Vermittler und Berater haften für Pflichtverletzungen, je nachdem, was sie schulden. Gerade im Bereich der Darstellung der Risiken unterscheiden sich die Haftungsgrundlagen nicht. Beide müssen auch die Produkte auf ihre Tragfähigkeit und auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Sollten sich dort Widersprüche ergeben, ist der Interessent hierauf hinzuweisen. Der Berater haftet darüber hinaus für eine falsche Empfehlung im Zusammenhang mit den persönlichen Erwartungen und Vorstellungen des Anlegers.

Falls der Anleger aber korrekt aufgeklärt ist und frei entscheiden kann, bleibt kein Raum für Schadenersatzforderungen. Die Aufklärung kann auch mittels eines schriftlichen Prospektes durchgeführt werden. In diesem Falle muss die Übergabe aber in einem ausreichenden zeitlichen Abstand vor der Beratung und der Unterschrift unter den Zeichnungsscheines stattfinden und die mündlichen Beratungsinhalte dürfen dem prospektierten Inhalt nicht widersprechen. Oftmals wird jedoch beschönigt oder verharmlost, wenn der Anleger den Prospekt vorher gelesen oder die Risikohinweise im Zeichnungsschein zur Kenntnis genommen hat. Dann gilt der Beratungsinhalt. Nach meiner Erfahrung wird das Prospektmaterial jedoch, wenn überhaupt, im Beratungstermin übergeben und vom Anleger kaum noch zur Kenntnis genommen, weil er sich auf die mündlichen Auskünfte verlässt und dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch darf. Im Bereich des geregelten Kapitalmarkts spielen die Verkaufsprospekte kaum eine Rolle, und wenn, dann nur bei der Erstemission. Die Weitergabe von „guten Aktientipps“ erfolgt immer im persönlichen, auch telefonischen Gespräch. Hier kommt es dann auf den Inhalt an, also auf die richtige Widergabe der Risiken und der Geeignetheit des konkreten Produkts für die Bedürfnisse des Anlegers. Die allgemeinen Risiken von Kurschwankungen dürften jedem Anleger bekannt sein und keine Schadenersatzforderungen mehr auslösen können.

Kommt es dann zu einem Kapitalverlust, ist vielen Anlegern die Rechtslage bezüglich einer Schadensregulierung und Haftung immer noch unklar. Ist es immer möglich als Anleger einen Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, auch wenn Berater oder Vermittler häufig unbekannt bleiben? Wie wahrscheinlich es ist, vor Gericht mit einer Klage durchzukommen? Außerdem: Wer trägt die Beweislast?

Gerhard Bongarth: Von entscheidender Bedeutung ist natürlich, dass der Anspruchsgegner bekannt ist. Gegen Unbekannte kann keine Klage geführt werden.

Haben die Berater oder Vermittler für andere Personen oder Unternehmen als sog. Erfüllungsgehilfen oder als Vertreter gehandelt, richten sich die Ansprüche gegen die Vertretenen. Dann spielt die Person des Beraters eine Rolle für die Beweisbarkeit der Forderungen, denn er ist ein wichtiger, manchmal der einzige Zeuge.

Ebenso wesentlich ist natürlich die wirtschaftliche Situation des zum Schadenersatz Verpflichteten. Selbst wenn der Anleger gerichtlich Erfolg hat, steht damit die wirtschaftliche Durchsetzung des Urteils noch nicht fest. Nicht wenige positive Urteile gegen die Vermittler scheitern an deren wirtschaftlichen Unvermögen. Viele sind insolvent, andere haben eine Vielzahl von Schadenersatzprozessen verloren und melden Insolvenz an oder aber sie haben geschickt ihr Vermögen beiseite geschafft. Dann nützt das erstrittene Urteil nichts und der Anleger bleibt auf den eigenen Kosten sitzen, es sei denn, eine Rechtschutzversicherung würde diese decken.

Falls der Vermittler und Berater jedoch eine eintrittspflichtige Vermögensschaden- Haftpflichtversicherung besitzen, ist die Vollstreckung des Urteils gesichert. Dann kann das positive Urteil auch liquidiert werden.

Die Aussichten, gegen den Berater oder Vermittler im Gerichtsprozess zu gewinnen, hängen direkt von der Beweisbarkeit der Ansprüche bzw. der Beratungsfehler ab. Grundsätzlich trägt der Anleger die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Wenn er das Vorliegen von Fehlern nachweisen kann, obliegt es im Wege der sog. sekundären Darlegungslast dem Berater, die Ordnungsgemäßheit der Beratung nachzuweisen, z.B. durch die Benennung von Zeugen oder durch die Vorlage von Beratungsprotokollen, die die Aufklärung über die Risiken belegen. Hier hilft es dem Anleger, wenn auch er einen Zeugen aufbieten kann, der die fehlerhaften Inhalte wiedergibt. Aber auch ohne Zeugen stehen die Gewinnchancen dann gut, wenn der Anleger dem Gericht überzeugend seine Position darstellt. Hier kommt es sicherlich auch auf das Geschick des Anwaltes an, der mit einer entsprechenden Verhandlungsführung die für die Entscheidung des Gerichts notwendigen Fakten von den Parteien erfragen kann.

Haben Sie schon Erfahrungen mit unseriösen Beratern gemacht und können Sie uns berichten, welche vorbeugenden Maßnahmen man treffen sollte, um einen Schaden zu verhindern?

Gerhard Bongarth: Nach meiner Erfahrung sind die wenigsten Vermittler oder Berater selbst von den Initiatoren getäuscht worden. Es gibt solche Kapitalanlagen, die auf nicht erkennbaren Betrug aufgebaut sind, wie z.B. EN Storage GmbH oder die Wirecard AG. Auf der anderen Seite gibt es natürlich unseriös arbeitende Vermittler und Berater, die die wesentlichen Fehler verschweigen oder bewusst falsche Angaben machen, um ihre Provisionen nicht zu gefährden. Andere Vermittler scheinen sich jedoch viel zu wenig Gedanken über das Produkt selbst zu machen und unterlassen die Plausibilitätsprüfung. Zu oft wird den Angaben der Initiatoren vertraut und die Risiken ausgeblendet. Dies zum Teil, weil die Produkte undurchschaubar sind oder weil auch hier die Höhe der Provisionen den Blick trübt. Der Anleger selbst kann durch eine kritische Hinterfragung insbesondere der Renditeversprechen und des Kapitalerhalts einem vorschnellen Abschluss vorbeugen. Gerade wenn Zeitdruck aufgebaut wird, z.B. zum Jahresende oder wegen des angeblich bevorstehen- den Zeichnungsendes, sollte größte Vorsicht und Misstrauen herrschen. Hohe Zinsversprechungen bei gleichzeitig hoher Sicherheit wird nicht funktionieren. Höhere Renditen gehen immer mit einem höheren Risiko einher. Vor allem können sich die Anleger dadurch schützen, indem sie nur solche Anlagen zeichnen, deren Inhalt sie auch verstehen. Sollten irgendwelche rechtlichen Konstruktionen, Auslandsbezüge oder Produkte, die einem seltsam erscheinen, angeboten werden, indiziert dies untrüglich eine Gefahr für das Kapital.

Wer sich mit Aktien oder anderen Produkten des geregelten Marktes nicht auskennt, muss entweder der Expertise des Beraters vertrauen, insbesondere hinsichtlich der Wahl der Unternehmen. Oder er sollte auf breit gefächerte Portfolios ausweichen, z.B. in Form von Fonds, um den Kursverlust einzelner Werte auffangen zu können. Von Nischenprodukten oder Spekulationen in unbekannte, undurchsichtige Geschäftsfelder sollte abgesehen werden. Aber hier gilt, dass das allgemeine Kursrisiko von Aktieninvestitionen als bekannt vorausgesetzt wird. In solchen Fällen ist angebracht, einen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht einzuschalten und die Risiken überprüfen zu lassen. Das Beratungshonorar ist in jedem Falle gut angelegtes Geld, denn der Kapitalverlust fällt erfahrungsgemäß weitaus höher aus als das Anwaltshonorar für die Beratung.

Herr Bongarth, vielen Dank für das Gespräch!

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