Igor Posikow: Womit beschäftigt sich ein Anwalt für Verkehrsrecht tatsächlich?

Interview mit Igor Posikow
Igor Posikow, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht von der Kanzlei Posikow, spricht im Interview über die Vielfältigkeit seines Berufs und klärt über das Verkehrsrecht auf.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht„. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“ – oder ist das ein Vorurteil?

Posikow: Das Verkehrsrecht erstreckt sich tatsächlich über diverse Rechtsgebiete. Dazu gehören das Zivilrecht und das öffentliche Recht, wobei Letzteres wiederum in die Unterkategorien Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht und Verwaltungsrecht grob unterteilt werden kann.

Dass man sich vorwiegend mit „Verkehrssündern“ befasst, kann nicht pauschal gesagt werden. Das Verkehrsrecht ist viel facettenreicher. Als Anwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht unterstütze ich in erster Linie Personen, die im Rahmen von Verkehrsvorgängen einen Schaden erlitten haben. Dies reicht von einer Beschädigung des eigenen Fahrzeugs bis hin zu massiven Personenschäden. Dabei liegt der Fokus darauf, die dem Geschädigten aus dem Verkehrsunfall erwachsenden Schäden gegen den Unfallverursacher bzw. seine Kraftfahrthaftpflichtversicherung durchzusetzen.

Einen beachtlichen Bestandteil meiner Tätigkeit bilden Fälle aus dem Bereich des Autokaufrechts ab.

Hierbei wenden sich Autokäufer an uns, die sich im Rahmen eines Fahrzeugkaufs hintergangen fühlen. Sei es durch das Verschweigen der Unfalleigenschaft des Fahrzeugs oder von beachtlichen Mängeln durch den Verkäufer. Sofern es hierfür Anhaltspunkte gibt, greifen wir dem Mandanten unter die Arme und helfen bei der Rückabwicklung des Kaufs oder bei der Durchsetzung einer Nacherfüllung.

Viele Auftraggeber, die unsere Kanzlei aufsuchen, wollen auch bei einer bevorstehenden Fahrerlaubnisentziehung oder bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Rahmen einer angeordneten MPU (Medizinisch-psychologischen Untersuchung / im Volksmund auch „Idiotentest“ genannt) beraten oder unterstützt werden.

Selbstverständlich vertritt man auch solche „Verkehrssünder“, gegen die ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen Unfallflucht eingeleitet wurde. Aber auch Verkehrsteilnehmer, denen eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder ein Rotlichtverstoß vorgeworfen wird.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wieder entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Posikow: Die Verschärfung im Rahmen der StVO-Novelle 2020 und das anschließende Abrücken vieler Ordnungsbehörden von der Anwendung des neuen Bußgeldkatalogs hatte ihre Ursache nicht in einem unerwarteten bürokratischen Aufwand. Ein Zusammenhang zu einem übermäßigen Aufkommen an Verkehrsverstößen konnte ebenfalls nicht unbedingt festgestellt werden. Vielmehr wurden Stimmen laut, die Fehler im Gesetzgebungsverfahren anprangerten, woraufhin die zuständigen Ministerien einiger Bundesländer sofort reagierten. Beispielsweise hat das Ministerium des Innern des Landes NRW umgehend per Erlass angeordnet, nur noch die vor der StVO-Novelle geltende Rechtslage im Bußgeldverfahren anzuwenden. Andere Bundesländer haben den alten Bußgeldkatalog einfach wieder angewendet.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Posikow: Von einer solchen Vorgehensweise ist dringend abzuraten.

Bei der Frage ist es zunächst erforderlich zu verstehen, dass die hier interessierende Vorschrift des § 142 StGB primär das Vermögen des Geschädigten schützen soll. Dem geschädigten Fahrzeughalter muss es daher ohne Umwege möglich sein, den Schädiger seines Fahrzeugs aufzufinden und seinen Schaden bei diesem oder seinem Haftpflichtversicherer anzumelden. Sollte der Schädiger seiner Wartepflicht nachgekommen sein und sich anschließend, nach Hinterlassen eines Zettels an dem Scheibenwischer, vom Unfallort entfernen, macht sich dieser in jedem Fall strafbar. Ob der Zettel vom Regen weggewaschen wird oder jemand den Zettel entfernt, kann nie ausgeschlossen werden. Als beste Vorgehensweise hat sich hier neben dem Erfüllen der Wartepflicht, die Hinzuziehung der Polizei bewährt. Um sicherzustellen, dass die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort einleitet, sollte die Polizei an den Unfallort gerufen werden. Diese informiert in der Regel den geschädigten Fahrzeughalter.

Nebenbei erwähnt ist das Suchen nach dem Fahrzeughalter nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit nicht ratsam. Auch dies stellt nämlich ein Entfernen vom Unfallort dar, unabhängig von der guten Absicht des Unfallverursachers.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z. B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Posikow: Die Aufnahmen einer „Dashcam“ können als Beweismittel in einem Zivilprozess eingebracht werden. Dies stellt der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 15. Mai 2018 grundsätzlich klar. In Verkehrsunfallprozessen sehen viele Richter der Vorlage von Dash-Cam-Aufnahmen positiv entgegen. Dies vereinfacht die sonst häufig mit Hindernissen verbundene Wahrheitsfindung, besonders wenn sich, wie so häufig, die Zeugenaussagen widersprechen.

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Posikow: Einem Geschädigten aus einem Verkehrsunfall kann grundsätzlich zur Inanspruchnahme eines Anwalts geraten werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Geschädigten kein Mitverschulden an dem Unfall vorwerfbar sein sollte. Die entstandenen Anwaltskosten können folglich von dem Unfallverursacher als Schadensersatz eingefordert werden. Die Versicherer auf der Gegenseite gleichen die entstandenen Anwaltskosten in der Regel aus.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Posikow: Die Frage kann so pauschal nicht beantwortet werden. Ob eine Messung, sei es nach einem Geschwindigkeitsverstoß oder einem Rotlichtverstoß, rechtlich oder technisch erfolgreich beanstandet werden kann, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Hat sich die zuständige Behörde an die geltenden Vorschriften gehalten oder der Messbeamte die Messanlage richtig eingerichtet und bedient? Dies kann grundsätzlich nur nach einer umfassenden Einsicht in die behördliche Akte bestimmt werden.

Ob sich dies im Ergebnis lohnt, hängt für viele Ratsuchende nicht zuletzt von der angedrohten Sanktion ab. Falls mit dem Bußgeldbescheid auch ein Fahrverbot einhergeht oder die Rechtskraft des Bußgeldbescheides zur Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Punkteeinträge im Fahreignungsregister in Flensburg führt, sollte über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nachgedacht werden.

Auch hier gilt jedoch, dass ohne anwaltliche Unterstützung der Betroffene kaum eine Chance hat, etwas zu seinen Gunsten zu bewegen.

Eine Beanstandung der Messung ist in den oben genannten Fällen besonders sinnvoll, wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht. Sonst hat der Betroffene letztendlich für sich abzuwägen, ob dieser die u. a. Anwaltskosten auf sich nehmen möchte.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Posikow: Es ist richtig, dass dem Grundsatz nach die Fahrerlaubnis von der zuständigen Behörde sofort nach Erreichen der acht Punkte im Fahreignungsregister entzogen wird. Denn dann hat sich der Betroffene in den Augen der Behörde als „untauglich“ zum Führen von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr erwiesen. Ab dem Moment der Entziehung gilt eine Mindestsperrfrist von sechs Monaten. Erst mit Ablauf der Sperrzeit kann die Fahrerlaubnis neu erteilt werden. Hierfür muss jedoch ein Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden. Für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis müssen die Zweifel an der „Tauglichkeit“ bei der Behörde zunächst ausgeräumt werden. Aus diesem Grund erteilen die Behörden die Fahrerlaubnis u. a. erst dann, wenn zuvor eine medizinisch-psychologische Untersuchung mit einem positiven Ergebnis absolviert wurde.

Herr Posikow, danke für das Gespräch.

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