Katja Sändig: EU-Umsatzsteuerreform

Interview mit Katja Sändig
Katja Sändig ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Danckert Spiller Richter Rechtsanwälte PartG mbB in Berlin. Mit ihr sprechen wir über die EU-Umsatzsteuerreform, Mehrwertsteuer-Digitalpaket sowie Auswirkungen für Verbraucher.

Am 1. Juli 2021 trat die EU-Umsatzsteuerreform in Kraft. Was sind die grundlegenden Änderungen?

Katja Sändig: Zum 1. Juli 2021 sind die Änderungen im Zusammenhang mit der zweiten Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets in Kraft getreten. Durch diese neuen Vorschriften verändern sich insbesondere die umsatzsteuerlichen Rahmenbedingungen für den Online-Handel. Die Reform betrifft alle Handeltreibenden, die online grenzüberschreitend in Europa Produkte verkaufen oder aus Drittstaaten nach Europa liefern: Alle Internethändler in und außerhalb der EU, unabhängig von der Größe, also sowohl Konzerne wie Amazon als auch kleine Internethändler, unabhängig vom Standort – und letztlich auch die Konsumenten.

Die zweite Stufe des sog. Mehrwertsteuer-Digitalpakets beinhaltet u.a. folgende Bestimmungen:

•          Änderungen beim Versandhandel

•          Einbeziehung von Betreibern elektronischer Schnittstellen in fiktive Lieferketten

•          Erweiterung der einzigen Anlaufstelle (Nicht-EU-Verfahren)

•          Erweiterung der einzigen Anlaufstelle (EU-Verfahren)

•          Einführung der einzigen Anlaufstelle für den Import

•          Einführung einer Sonderregelung zur Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer

•          Abschaffung der 22 Euro-Freigrenze

Zur Ergänzung: Die erste Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets trat zum 1. Januar 2019 in Kraft und regelte insbesondere die Bestimmung des Orts von sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation, von Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen und von auf elektronischem Weg erbrachten sonstigen Leistungen.

Warum wurde die Regelung reformiert, was soll erreicht werden?

Katja Sändig: Mit dem Mehrwertsteuer-Digitalpaket sollen Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Umfeld verhindert und EU-weit einfachere Regelungen für die Umsatzsteuer ermöglicht werden. Das soll insbesondere dadurch erreicht werden, dass bis 2022 alle grenzüberschreitenden Lieferungen im Bestimmungsland besteuert werden. Durch die neuen Regelungen soll vor allem der Umsatzsteuerbetrug eingedämmt werden. Dieser liegt pro Jahr bei geschätzten 50 Milliarden Euro. Auf EU-Ebene haben sich die Mitgliedsstaaten bereits im Jahr 2017 auf die EU-Mehrwertsteuerreform und insbesondere auf die Implementierung des Mehrwertsteuer-Digitalpakets in nationales Gesetz der einzelnen Mitgliedsstaaten verständigt. In Deutschland wurde die zweite Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets Ende 2020 mit Verabschiedung des Jahressteuergesetzes umgesetzt.

Welche Auswirkungen hat das jetzt für Verbraucher, die Waren z.B. aus Asien bestellen?

Katja Sändig: Die Preise für Waren aus Asien werden wohl steigen. Dies resultiert aus der Tatsache, dass ab dem 1. Juli 2021 die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer für Waren in kommerziellen Kleinsendungen mit einem Wert bis zu 22 Euro entfällt. Mit der Streichung der Wertgrenze sollen faire Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmer gesichert werden, denn bisher mussten Unternehmen von außerhalb der EU, also z.B. Asien, bei Sendungen mit einem Wert bis zu 22 Euro keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Ab dem 1. Juli 2021 sind grundsätzlich für alle Sendungen aus einem Drittland Zollanmeldungen abzugeben. Diese Aufgabe übernimmt in den meisten Fällen der Beförderer der Waren, also der zuständige Post- bzw. Kurierdienst oder der Onlinehändler selbst. Diese zahlen die fälligen Abgaben in der Regel unmittelbar an die Zoll- bzw. Steuerverwaltung des jeweiligen EU-Staates. Durch die Regelung sollen laut EU-Kommission auch versteckte Zusatzkosten wegfallen und die Transparenz für Kunden erhöht werden. Bei einer Bestellung in Drittstaaten, mussten Verbraucher bislang teilweise Extrakosten für die Anmeldung beim Zoll durch das Transportunternehmen bezahlen. Ab sofort soll der angegebene Preis der Endpreis für den Verbraucher sein.

Für Händler bringt die Reform einigen bürokratischen Aufwand mit sich, können Sie den Meldeprozess z. B. für einen in Deutschland ansässigen Händler, der ins EU-Ausland liefert, skizzieren?

Katja Sändig: Zunächst ist zu unterscheiden, wer Empfänger der Ware im EU-Ausland ist: handelt es sich um ein Unternehmen (B2B) oder um einen Nichtunternehmer (Privatkunde) bzw. einen gleichgestellten Unternehmer (z.B. nichtunternehmerisch tätige juristische Personen, Kleinunternehmer usw.) (B2C).

Fall 1: Der Kunde im EU-Ausland ist ein Unternehmer (B2B)

Wird Ware an einen Unternehmenskunden im EU-Ausland geliefert, ist die Lieferung grundsätzlich in Deutschland steuerbar, aber steuerfrei nach § 4 Nr. 1 b in Verbindung mit § 6a UStG, wenn die Voraussetzungen des § 6a UStG eingehalten werden. Dann darf der Versandhändler eine Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis ausstellen, die den Vermerk enthält „steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung“ oder „zero-rated intra-community supply of goods“. Zudem muss die eigene Umsatzsteuer-ID-Nummer sowie die des Empfängers auf der Rechnung aufgeführt werden. Die Lieferung wird in der zusammenfassenden Meldung erfasst und eventuell in der Intrastat-Meldung. Der Versandhändler muss die Voraussetzungen nach § 6a UStG nachweisen. Hierzu ist unter anderem das Vorliegen einer gültigen Umsatzsteuer ID-Nummer erforderlich. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt oder nachweisbar, ist die Rechnung mit deutscher Umsatzsteuer zu stellen, also mit 7% oder 19% je nach Art der Ware.

Fall 2: Kunde im EU-Ausland ist ein Nichtunternehmer/Privatkunde (B2C)

Nach bisher geltender Versandhandelsregelung fiel die Umsatzsteuer bei einer grenzüberschreitenden Lieferung von Gegenständen – ausgenommen neue Fahrzeuge – von einem Unternehmer an einen Verbraucher bzw. Nichtunternehmer grundsätzlich nur dann im Zielland an, wenn eine von jedem EU-Mitgliedstaat selbst definierte Netto-Umsatzlieferschwelle pro Kalenderjahr überschritten war. Ansonsten fiel die Umsatzsteuer in dem Land an, in welchem das Unternehmen seinen Sitz hat. Die Höhe der Lieferschwellen variierten sehr stark. Der niedrigste Euro-Wert betrug 35.000 € (dieser Wert wurde von der Mehrheit der Länder genutzt); der höchste Wert lag in den Ländern Deutschland, Niederlande und Luxemburg bei 100.000 €. Diese Regelung wurde ab dem 01. Juli 2021 durch die Fernverkaufsregelung abgelöst.

Durch die seit dem 1. Juli 2021 geltende Fernverkaufsregelung gilt eine EU-weite einheitliche Netto-Umsatzlieferschwelle von 10.000 € pro Kalenderjahr; die nationalen Lieferschwellen entfallen. Das bedeutet, dass bereits ab einmaliger Überschreitung dieser Schwelle (egal in welchem EU-Staat) die Umsatzsteuer im Zielland zu entrichten ist, sofern es sich um eine digitale Dienstleitung oder eine Waren-Lieferung handelt und der Empfänger Verbraucher bzw. Nichtunternehmer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat ist, sogenannter innergemeinschaftlicher Fernverkauf von Gegenständen nach Art. 14 Abs. 4 Nr. 1 und Art. 33 a Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Die Umsatzsteuer ist im Bestimmungsland abzuführen, was eine umsatzsteuerliche Registrierung in diesem Land erfordert. Diese Regelung gilt auch für sogenannte Kleinunternehmer, die sich – trotz Unterschreitens des zulässigen umsatzsteuerfreien Umsatzes für Kleinunternehmer in Höhe von 22.000 € – bei Überschreiten der Lieferschwelle von 10.000 € ins EU-Ausland umsatzsteuerlich registrieren lassen müssen.

Um zu vermeiden, dass ein Händler zahlreiche steuerliche Erfassungen in vielen verschiedenen Ländern vornehmen und anschließend laufend Umsatzsteuer-Anmeldungen in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat durchführen muss, gibt es den One Stop Shop (vgl. § 18j UStG). Durch dieses Verfahren ist es möglich, dass die Umsatzsteuererklärungen bei einer Steuerplicht im EU-Ausland über den One Stop Shop vorgenommen werden kann, welcher vom Bundeszentralamt für Steuern betrieben wird. Die hierdurch gemeldeten Umsätze sowie die vereinnahmte Umsatzsteuer werden im Anschluss durch Bundeszentralamt für Steuern an die jeweiligen EU-Länder verteilt. Wer Fulfillment-Services (wie beispielsweise den paneuropäischen Versand durch Amazon) nutzt, für den wird es komplex! Zwar kann der One Stop Shop genutzt werden, zu beachten ist allerdings, dass Waren bei Fulfillment-Services analog zur Nachfrage und Auslastung grenzüberschreitend umgelagert werden, was steuerbare Umsätze darstellt (innergemeinschaftliche Verbringungen und innergemeinschaftlicher Erwerb), sodass lokale steuerliche Registrierungen notwendig werden können. Dieses Thema muss stets individuell auf den Einzelfall bezogen betrachtet werden. Bei Preisangaben ist zu beachten, dass nach § 1 Abs. 1 Preisangabenverordnung immer Gesamtpreise einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile anzugeben sind. Zwar ist der Steuersatz als solches nicht anzugeben, aber durch die unterschiedlichen Steuersätze innerhalb der EU-Staaten und die verschiedenen Währungen (Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Dänemark, Polen, Rumänien und Schweden haben keinen Euro) kann eine feste Preiskalkulation beim Vertrieb an Nichtunternehmer aus betriebswirtschaftlichen Gründen schwierig sein. Am sinnvollsten scheint es hier, das Lieferland bei Aufruf und vor dem Zugriff der Website abzufragen, um somit die entsprechenden korrekten Preise anzuzeigen.

In diesem Zusammenhang hört man immer wieder das System IOSS, was ist das und was kann es?

Katja Sändig: Das Verfahren Import-One-Stop-Shop (IOSS) ist eine Sonderregelung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer und richtet sich an Unternehmer, die Fernverkäufe von aus dem Drittlandsgebiet importierter Waren mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro an Privatpersonen veräußern. Sie ermöglicht es Unternehmern oder in ihrem Auftrag handelnden Vertretern gem. § 18k UStG die ausgeführten Umsätze, die unter diese Sonderregelung fallen, in einer Steuererklärung zentral an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln. Dies hat den Vorteil, dass sich der Unternehmer nicht in allen Mitgliedstaaten, in denen er Fernverkäufe von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen mit einem Wert von 150 Euro erbringt, steuerlich erfassen lassen und dort seine Melde- und Erklärungspflichten nachkommen muss, sondern in einer Meldung alle im Gemeinschaftsgebiet unter die Sonderregelung fallenden Umsätze erklären kann.

Unabhängig von der Anwendung dieser Sonderregelung müssen die Zollformalitäten für in die EU eingeführte Waren mit geringem Wert erfüllt werden.

Das Verfahren richtet sich an Unternehmer, die

•          Fernverkäufe von aus dem Drittlandgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 Euro an Privatpersonen innerhalb der Europäischen Union (EU) tätigen.

•          eine elektronische Schnittstelle zur Verfügung stellen, durch deren Nutzung sie die Lieferung von aus dem Drittlandgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens 150 EUR unterstützen und deshalb behandelt werden, als ob sie die Gegenstände selbst geliefert hätten.

Der Import-One-Stop-Shop ermöglicht es Unternehmern, ihre in den übrigen Mitgliedstaaten der EU getätigten Fernverkäufe, die unter die Sonderregelung fallen,

•          in einer vereinfachten Zollerklärung anzumelden,

•          in einer besonderen Steuererklärung monatlich zu erklären,

•          diese Steuererklärung zentral über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) auf elektronischem Weg zu übermitteln und

•          die sich ergebende Steuer insgesamt an das BZSt zu entrichten.

Für die Teilnehmer am Verfahren Import-One-Stop-Shop sind die aus dem Drittland importierten Warenlieferungen, die einen Sachwert von 150 Euro nicht übersteigen, gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG von der Einfuhrumsatzsteuer befreit.

Was halten Sie von der Idee einer EU-weiten Datenbank auf Basis der Zolltarifnummern und Ausweis der nationalen Steuersatzzuweisung?

Katja Sändig: Die Europäische Union hat eine Zolltarifdatenbank, auch TARIC genannt, erstellt. Hierbei handelt es sich um eine mehrsprachige Datenbank, in der alle Maßnahmen im Zusammenhang mit zolltarifären, handels- und agrarpolitischen EU-Rechtsvorschriften enthalten sind. Mit dieser Datenbank können zudem EU-weite Statistiken über die betreffenden Maßnahmen erhoben werden. Die tägliche Übermittlung von TARIC-Daten über ein elektronisches Netzwerk gewährleistet die sofortige und korrekte Information der nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Diese nutzen die Daten hauptsächlich, um sie in ihre nationalen Zollabfertigungssysteme einzulesen. Dadurch soll die automatische Zollabfertigung effizienter gestaltet werden. Wie bereits erläutert, gibt es innerhalb der EU-Staaten unterschiedliche Umsatzsteuersätze, die zu unterschiedlichen Endverbraucherpreisen in den jeweiligen Ländern führen können. Eine Verknüpfung der unterschiedlichen Steuersätze der einzelne EU-Staaten mit TARIC könnte zu einer Vereinfachung der Verfahren führen, bedarf dann einer Schnittstelle zwischen TARIC und den Finanzämtern bzw. dem Bundeszentralamt für Steuern auf europäischer Ebene.

Frau Sändig, vielen Dank für das Gespräch!

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