Konstantin Weinholz: Entscheidend für die Haftung ist der fachliche Standard zur Zeit der Behandlung

Interview mit Konstantin Weinholz
Wir sprechen mit Rechtsanwalt Konstantin Weinholz, Fachanwalt für Medizinrecht der Kanzlei Junghans & Radau in Berlin, über ärztliche Behandlungsfehler und weitere medizinrechtlich relevante Fragen.

Mit Operationen sind grundsätzlich Risiken verbunden. Welche Aufklärungspflichten haben Ärzte im Vorfeld einer OP?

Konstantin Weinholz: Von zentraler Bedeutung ist, dass jede Patientin und jeder Patient vorab eine Einwilligung in den Eingriff erteilen muss, damit dieser rechtmäßig erfolgt: Nicht der Arzt entscheidet darüber, ob die Operation durchgeführt wird, sondern der Patient!  Ärzte müssen also Patientinnen und Patienten über sämtliche Umstände aufklären, die für die Einwilligung wichtig sind. Patientinnen und Patienten müssen wissen, worauf sie sich einlassen. Die Aufklärung muss Art und Weise, vor allem Umfang und Eignung des Eingriffs im Hinblick auf das Ziel der Therapie umfassen. Es muss erklärt werden, was geschieht und welche Folgen und Risiken es gibt. Wesentlich für Patientin und Patient ist, darüber Bescheid zu wissen, ob die Operation notwendig und wie dringend sie ist. Wenn es – wie für die meisten Diagnosen – mehrere gleichwertige Behandlungsalternativen gibt, muss der Arzt auch über diese Alternativen aufklären. Das gilt nicht für jede experimentelle Methode, jedenfalls aber für die üblichen und bewährten Alternativen. Gerade weil nicht – operative Therapien in der Regel geringere Risiken mit sich bringen, muss jede Patientin und jeder Patient die Entscheidungsmöglichkeit haben, ob das Risiko eingegangen wird. Zur Aufklärung gehört auch, die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten hinsichtlich ihrer Heilungsaussichten zu bewerten. Die Aufklärung kann nicht zehn Minuten vor der OP, praktisch am Tisch, geleistet werden, sondern muss so rechtzeitig erfolgen, dass Patientinnen und Patienten eine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit haben. Entweder muss der behandelnde Arzt selbst (also Operateure und Anästhesisten für ihre jeweiligen Aufgabengebiete) aufklären, oder eine Person mit der notwendigen Qualifikation für die Maßnahme erledigt dies. Eine Aufklärung in Textform ist ebenfalls in Ordnung, aber nur als Ergänzung zu der mündlichen Erläuterung.

Vorrangig ist entscheidend, dass die Aufklärung in verständlicher Weise erfolgt, Patientinnen und Patienten sich nicht gedrängt fühlen und eine eigenständige, vernünftige Entscheidung treffen können. Schwierig wird das vor allem für die Ärzte, wenn sich während einer OP eine neue Situation ergibt. Patientin oder Patient können unter der Anästhesie nicht gefragt werden. Hier muss der Arzt anhand der vorherigen Einwilligung eine Entscheidung treffen, welchen Willen der Patient hier bei Bewusstsein geäußert hätte.

Nicht selten kommt es bei oder nach Operationen zu erheblichen Komplikationen. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der behandelnde Arzt in Regress genommen werden kann?

Konstantin Weinholz: Grundsätzlich hat jeder Operateur und Anästhesist die Pflicht, sich nach den fachlichen medizinischen Standards zu richten. Tut er das nicht, haftet er für den entstehenden Schaden. Entscheidend ist der fachliche Standard, der zur Zeit der Behandlung medizinisch anerkannt ist. In einem Rechtsstreit geht es daher um die Frage, ob und warum dieser Standard im Einzelfall gewahrt wurde. Entscheidend ist also, was die medizinische Wissenschaft hier als allgemeingültig voraussetzt. Was dieser Standard ist, kann sich aus Leitlinien der jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften ergeben. In diesen geht es natürlich nicht primär um die Aufzählung von Fehlern, sondern um die Verbesserung der Qualität der ärztlichen Versorgung und um die Vermittlung von Fachwissen. Sie bieten damit keinen Fehlerkatalog an, sondern helfen bei der Orientierung. Es ist durchaus möglich und manchmal sogar nötig, von diesen Leitlinien im Einzelfall abzuweichen, um einer Patientin oder einem Patienten individuell zu helfen. Nur wenn es in dem zu beurteilenden Fall keine Abweichung vom Normbereich gibt, stellt die Nichteinhaltung der Leitlinien einen Fehler dar. Wird dagegen ein allgemeines Risiko der Behandlung verwirklicht, das zum sogenannten „voll beherrschbaren Gefahrenbereich“ gehört, wird ein Fehler des Behandlers vermutet. In diesem Bereich geht es nicht um medizinisch Unvorhersehbares, sondern um Organisatorisches: Die richtige Lagerung bei der Operation, die Vermeidung von Stürzen im Bereich des Krankenhauses, die Überwachung, die Funktionsfähigkeit von Geräten oder die Einhaltung hygienischer Standards. Auch ein Aufklärungsfehler kann zur Schadensersatzpflicht führen. Das heißt: Auch wenn der Eingriff selbst fehlerfrei erfolgt ist, die Patientin oder der Patient aber mangels (fehlerfreier und vollständiger) Aufklärung nicht wirksam eingewilligt hat, ist eine Inanspruchnahme des Behandlers im Falle eines eingetretenen Schadens möglich. Schließlich ist die Dokumentation der Behandlung von zentraler Bedeutung: Der ärztliche Standard schreibt vor, welche Maßnahmen zu dokumentieren sind. Wenn eine dokumentationspflichtige Maßnahme nicht oder nicht zeitnah nach der Behandlung erfasst wird, gilt sie als nicht erfolgt. Wenn sie für die kunstgerechte Behandlung notwendig war, ist somit von einem Behandlungsfehler auszugehen.

Wie kompliziert ist die Beweisführung für Patienten, wie kann ein Fachanwalt für Medizinrecht im Schadensfall helfen?

Konstantin Weinholz: Die Patientin oder der Patient muss in der Regel den Behandlungsfehler und dessen Ursächlichkeit für den Schaden beweisen. Das kann durchaus schwierig und kostspielig sein. Entscheidend ist nämlich im Streitfall häufig die Beurteilung durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen. Dieser erstellt für das Gericht ein Gutachten. Der Richter selbst hat in der Regel die notwendige medizinische Fachkenntnis nicht und holt sich daher die Kompetenz über den Gutachter „an Bord“. Letztlich hängt das Urteil, was die medizinische Beurteilung angeht, also von den Erkenntnissen des Gutachters ab. Dessen Tätigkeit ist zunächst von der beweisbelasteten Prozesspartei, also meist dem Patienten, als Vorschuss zu zahlen. Wenn eine Rechtsschutzversicherung den Fall übernimmt, ist das Kostenrisiko natürlich kein Hindernis. Gewinnt man den Prozess, sind außerdem die Kosten von der Behandlerseite zu erstatten, was auch für die Gerichtskosten und die eigenen Anwaltskosten gilt. Es gibt auch Ausnahmen von der Beweislast der Patientin und des Patienten: Der Arzt trägt die Beweislast im bereits beschriebenen voll beherrschbaren Gefahrenbereich: Liegt hier ein Verstoß vor und beruht die Verletzung der Gesundheit darauf, hilft der Patientin und dem Patienten eine Vermutung: diese geht dahin, dass ein Behandlungsfehler vorliegt. Es wird außerdem vermutet, dass die mangelnden Fähigkeiten eines nicht ausreichend für die vorgenommene Behandlungsmaßnahme qualifizierten Mediziners ursächlich für den Schaden sind. Vermutungen sind zwar widerlegbar, aber den Patientinnen und Patienten ist damit eine wichtige und erhebliche Hürde aus dem Weg geräumt. Wie schon gesagt, hilft dem Patienten zudem eine nicht vollständige oder nicht vorhandene Dokumentation.  Schließlich muss noch der sogenannte grobe Behandlungsfehler genannt werden: Stellt der Gutachter einen solchen fest, wird die Ursächlichkeit für den Schaden vermutet. Auch das stellt eine erhebliche Erleichterung dar. Ein grober Behandlungsfehler wird angenommen, wenn ein Fehler geschieht, der einem Arzt schlicht nicht unterlaufen darf. Der Verstoß gegen die bewährten Standards muss also in diesem Fall sehr elementar sein.  Ein Fachanwalt für Medizinrecht klärt über die Möglichkeiten und Risiken im jeweiligen Fall auf und berät Patientinnen und Patienten, welches Vorgehen sinnvoll ist. Er berät auch über die Möglichkeit, hinsichtlich der entstehenden Kosten für Verfahren und Beweisaufnahme Prozesskostenhilfe zu beantragen.

Schönheitschirurgen sind häufig keine Fachärzte für diesen Bereich. Was bedeutet dieser Umstand aus juristischer Perspektive?

Konstantin Weinholz: Es gibt seit dem Jahr 2005 den Titel „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“. Damit ist dieser Facharzttitel noch recht jung. Zuvor gab es „Plastische Chirurgen“, was aber den charakteristischen Schwerpunkt der ästhetischen Behandlung nicht ausreichend erfasste. Wer diesen Facharzttitel erwerben will, muss nach der Approbation als Arzt eine zweijährige chirurgische Ausbildung absolvieren. Dem schließt sich dann eine vierjährige Spezialausbildung in der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie an. Dabei können zwar auch andere Gebiete Ausbildungsinhalt sein, zum Beispiel andere chirurgische Gebiete wie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie oder Gefäßchirurgie, aber am Ende steht unvermeidlich die Facharztprüfung. „Schönheitschirurg“ kann sich theoretisch jeder Arzt nennen. Wer sich hier allein auf das Praxisschild verlässt, hat aber keine Sicherheit, dass die Fachkenntnis und Erfahrung des jeweiligen Arztes auch vorhanden ist. Der Begriff ist nicht geschützt. Verlässlichkeit bietet allein der Facharzttitel. Die langwierige und umfassende Ausbildung gibt eine Gewähr dafür, dass die erforderliche Qualifikation auch vorliegt. Nicht jeder „Schönheitschirurg“ muss deshalb unseriös sein oder arbeiten. Vor allem haftet er genauso für Fehler wie der Facharzt: Wer ärztliche Verantwortung übernimmt, muss den Standard eines Facharztes bieten und gewährleisten. Allerdings spricht einiges dafür, sich für den über einen Zeitraum von sechs Jahren speziell ausgebildeten Facharzt zu entscheiden. Denn immerhin werden vor dem Facharzttitel operative Eingriffe in großer Zahl (über 600) selbständig durchgeführt, wenn auch unter Anleitung eines erfahrenen Kollegen. Hinzu kommt die laufende Fortbildung. Die plastische Chirurgie entwickelt sich weiter, es kommen neue Operationsmethoden hinzu. Der Facharzt bietet am ehesten die Gewähr dafür, dass nach den neuesten Standards operiert wird.

Wie relevant ist das Thema Krankenhauskeime in Ihrem Kanzleialltag?

Konstantin Weinholz: Man spricht im Zusammenhang eines Befalls durch Erreger im zeitlichen Zusammenhang mit einer Krankenhausbehandlung von einer nosokomialen Infektion. Es ist zu beobachten, dass Patientinnen und Patienten eine solche Infektion nicht mehr einfach hinnehmen, sondern zunehmend hinterfragen, wie es dazu kommen konnte. Die Zahl der Haftungsprozesse hat sich in den letzten zehn Jahren spürbar erhöht. In einigen meiner Verfahren waren resistente Erreger ein Thema. Hier ist der Zusammenhang mit Verstößen gegen Hygienevorschriften von entscheidender Bedeutung. Wie oben erwähnt, gehören die Hygienevorschriften zum sogenannten voll beherrschbaren Gefahrenbereich. In einem unserer Fälle führte eine Herzkatheteruntersuchung zu einer Infektion des gesamten Gefäßbereichs von der Leiste bis zum Herzen und dort zu einem Abszess in der Größe eines Wachteleis. Die hohe Zahl der durch Krankenhauskeime verstorbenen Patientinnen und Patienten ist ein erhebliches Problem. Nicht jeder Fall einer Infektion im Zusammenhang mit einer Krankenhausbehandlung führt jedoch automatisch zur Haftung: Erst sobald äußere Umstände auf einen Verdacht hindeuten, die Hygienevorschriften seien nicht eingehalten worden, ist die Klinik in der Pflicht, zu erklären, wieso das Krankenhaus nicht für die Infektion verantwortlich ist. Das hat der Bundesgerichtshof 2017 entschieden. Wenn grobe Mängel vorliegen, müssen die Gerichte davon ausgehen, dass diese die Ursache für eine Infektion sind. Das RKI hat die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) eingerichtet. Deren Empfehlungen haben verbindlichen Charakter. Dennoch muss im Einzelfall voll bewiesen werden, dass ein Verstoß gegen die Hygienevorschriften vorliegt, etwa dahingehend, dass eine Spritze zu Boden gefallen ist und dennoch bei der folgenden Injektion verwendet wurde. Fehlen solche Anhaltspunkte, sind die Erfolgschancen gering.   

Für einen Arzt kann ein verlorener Prozess den wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Wie gut schützen Versicherungslösungen?

Konstantin Weinholz: Nicht jeder eingetretene Schaden bedeutet, dass dem ein ärztlicher Fehler vorausgegangen ist. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Zahl der Haftungsprozesse dennoch deutlich zugenommen, was mit der zunehmenden Abdeckung durch Rechtsschutzversicherer zusammenhängt. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Ärzte kann erheblich sein. Keine Entlastung gibt es natürlich bei vorsätzlich verursachten Schäden, die aber die Ausnahme darstellen. Eine Berufshaftpflichtversicherung stellt eine gewisse Entlastung sowohl für den Arzt selbst als auch für seine angestellten Ärzte, Praxisvertreter und nichtärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar. Wie beruhigend diese Entlastung ist, hängt vom Versicherungsumfang ab. Hier kann die Vertretung im Falle eines Behandlungsfehlers ebenso enthalten sein wie die Strafverteidigung. Hier muss man zwischen der Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen durch Patientinnen und Patienten auf der einen Seite und sogenannten materiellen Schadensersatzansprüchen unterscheiden, die entweder durch Patienten oder Krankenversicherer geltend gemacht werden. Folgebehandlungskosten stellen ein erhebliches Schadenspotential dar. Bei entsprechender Prämie können die meisten Risiken gut abgedeckt werden. Umso wichtiger für die Ärzte ist eine sorgsame Gestaltung des Versicherungsschutzes unter Berücksichtigung des für die jeweilige Fachrichtung geltenden Schadenspotentials.

Herr Rechtsanwalt Weinholz, vielen Dank für das Gespräch.

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