Manja Schlippes: Erst bei Eingreifen des Kündigungsschutzes bedarf es eines Kündigungsgrundes

Interview mit Manja Schlippes
Manja Schlippes ist Fachanwältin für Arbeits- & Sozialrecht und Partnerin bei audalis Schick Struß & Partner Rechtsanwälte in Berlin. Mit ihr sprechen wir über Arbeitsschutzvorschriften im Homeoffice, Umgang mit Entlassungen sowie Kündigungsschutzklage.

Die Corona-Krise hat unseren Arbeitsalltag verändert, u.a. soll möglichst im Homeoffice gearbeitet werden. Welche arbeitsrechtlichen Vorschriften sind für Heimarbeit und Homeoffice durch Arbeitgeber dringend zu beachten?

Manja Schlippes: Wichtig ist auch beim Arbeiten im Homeoffice, dass die Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden. Viele Homeoffice-Arbeitsplätze wurden in der Corona-Krise schnell eingerichtet. Dies ist gut, man darf aber nicht vergessen, dass beim Homeoffice dieselben Arbeitsschutzvorschriften gelten wie beim Arbeiten am Arbeitsplatz im Unternehmen. Dazu gehören insbesondere das Arbeitszeitgesetz, die Arbeitsstättenverordnung und das Arbeitsschutzgesetz nebst Arbeitsschutzverordnungen.

Neben den allgemeingültigen und branchenspezifischen Anforderungen kommt durch das Homeoffice noch eine weitere Komponente hinzu, nämlich die individuelle Situation zu Hause (Anzahl der ebenfalls von zu Hause aus arbeitenden Haushaltsangehörigen, Anzahl der angemessenen Arbeitsplätze für ungestörtes Arbeiten, Kinderbetreuung etc.).

Derzeit fällt für viele Menschen die räumliche Trennung von Büro und Arbeitsplatz weg. Hier ist beispielsweise Disziplin von beiden Seiten gefragt: Arbeitnehmer sollten gleichermaßen Arbeitszeiten, aber natürlich genauso ihre zustehenden Pausen einhalten. Arbeitgeber wiederum müssen sich auf ihre Mitarbeiter verlassen können und gleichzeitig im Blick behalten, dass ihre Mitarbeiter nicht rund um die Uhr erreichbar sind, obwohl das erforderliche Arbeitsequipment theoretisch immer griffbereit ist.

Viele von uns haben mit dem Aufkommen von Corona in Sachen Homeoffice Neuland betreten, und bis dahin selbstverständliche Routinen mussten über Bord geworfen werden. Manche von den „schnell gestrickten“ Neuerungen haben sich in der Zwischenzeit aber vielleicht als nicht alltagstauglich erwiesen oder es treten Situationen auf, für die es bis dato schlichtweg noch keine Vereinbarung gaben.

Ein solch massiver Einschnitt in unser Alltagsleben kann langfristig nur gut gelingen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer miteinander kommunizieren und offen für kontinuierliche Optimierung sind.

Müssen Arbeitgeber die Arbeit im Homeoffice ermöglichen oder handelt es sich ausschließlich um ein freiwilliges Entgegenkommen?

Manja Schlippes: Mit dem Aufkommen der Corona-Krise und der Kontaktbeschränkungen haben nicht nur wir in unserem Kanzleialltag auf weitgehendes Homeoffice umgestellt, auch unsere Mandanten bewegt dieses Thema sehr, was wir aufgrund der vielfachen Nachfragen bemerkt haben. Auch wenn es von Seiten der Politik schon oft im Gespräch war, besteht bislang noch kein gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf ein Arbeiten im Homeoffice. Umgekehrt besteht auch keine Pflicht des Arbeitnehmers, von zu Hause arbeiten zu müssen. Da es noch keine gesetzliche Grundlage für den Anspruch auf Arbeit im Homeoffice gibt, kommen nur folgende rechtliche Grundlagen in Betracht: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben bereits bei der Vereinbarung des Arbeitsvertrages eine Regelung für die Arbeit im Homeoffice getroffen, es gibt in dem Unternehmen eine dazu mit dem Betriebsrat getroffene Betriebsvereinbarung oder eine in einem anwendbaren Tarifvertrag enthaltende Regelung. Ist dies alles nicht zutreffend, besteht die Möglichkeit, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Einvernehmen auf Homeoffice verständigen und dazu eine gesonderte einvernehmliche Regelung treffen. Gerade in bestehenden Arbeitsverhältnissen und in diesen schwierigen Zeiten ist es natürlich immer besser, wenn es zu einer einvernehmlichen Verständigung kommt.

Diskutiert wird noch, ob durch Corona der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeit im Homeoffice unter Umständen besteht, wenn die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers greift. Dies gilt dann aber nur für einzelne und besonders begründete Fälle und stellt eher die Ausnahme als den Regelfall dar (beispielsweise bei bestehenden schweren Vorerkrankungen des Arbeitnehmers, Betrieb im Risikogebiet und wenig geeignete Schutzmaßnahmen). Dazu gibt es aber noch keine gerichtlichen Entscheidungen.

Viele Arbeitgeber nutzen die Corona-Krise als Begründung für Kündigungen. Ist dieses Argument grundsätzlich haltbar?

Manja Schlippes: Mit dem weiteren Lockdown haben auch wir bei unserer Mandantschaft gemerkt, dass es in einigen Unternehmen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation zu Entlassungen kommt. Dazu beraten wir mit unserem Arbeitsrechtteam derzeit vielfach. Dabei ist bei Kündigungen zu differenzieren, ob es sich um Arbeitsverhältnisse mit oder ohne Kündigungsschutz handelt. Wenn bei Kleinbetrieben (bis zu 10 Arbeitnehmer) eine Kündigung erwogen wird, ist dies unter Einhaltung der Kündigungsfrist ohne einen weiteren Kündigungsgrund möglich. Erst bei Eingreifen des Kündigungsschutzes bedarf es eines Kündigungsgrundes. Die Gründe muss der Arbeitgeber dann im Streitfall auch darlegen können. Es handelt sich aber um eine Einzelfallprüfung. Eine Kündigung aufgrund der Corona-Krise mit ihren Folgen Umsatzeinbußen, Auftragsrückgang, Materialengpässe trotz laufender Kosten für Miete usw. kann eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, muss aber dargelegt werden. Der Begriff coronabedingte Kündigung hat rechtlich allein keine Bedeutung und rechtfertigt pauschal keine Kündigungen.

Unter welchen Umständen kann die Corona-Krise als Begründung für eine betriebsbedingte Kündigung angeführt werden?

Manja Schlippes: Wie bereits erwähnt, besteht der Kündigungsschutz bei Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern auch in der Corona-Krise fort, sodass es bei einer betriebsbedingten Kündigung zur Darlegung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes durch den Arbeitgeber kommen muss.

Gerade durch das Corona-Virus kam es zu Auftragsrückgängen, Umsatzeinbußen, vorübergehenden Betriebsschließungen und zur Beeinträchtigung von Lieferketten. Dies stellt unter Fortzahlung des Arbeitslohnes und weiterer Betriebskosten eine enorme wirtschaftliche Belastung für Arbeitgeber dar, welche nicht alle durch Kurzarbeit und Ausgleichszahlungen aufgefangen werden können.

Wie bei jeder betriebsbedingten Kündigung muss jedoch dargelegt werden, dass dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, welche die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ausschließen, kein vergleichbarer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und eine Sozialauswahl vorgenommen wurde, wenn mehrere Arbeitnehmer eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Wenn durch die Corona-Krise beispielsweise eine starker Auftragsmangel eingetreten ist, muss der Arbeitgeber dies nachweisen können und auch begründen, dass die Beschäftigungsmöglichkeit dauerhaft weggefallen ist. Hier ist wieder im Einzelfall zu prüfen, ob es sich nur um einen kurzzeitigen Auftragsrückgang handelt, welche den Beschäftigungsbedarf allein nicht dauerhaft entfallen lässt oder wirklich ein dauerhafter Beschäftigungswegfall eingetreten ist.

Jetzt beginnen aktuell die Impfungen und damit die Annahme, dass sich die Situation im ersten Quartal 2021 bessern könnte. Man merkt also, dass es wirklich um eine Einzelfallprüfung geht und die Entscheidung der Gerichte dazu abzuwarten bleibt. Aus meiner langjährigen Erfahrung im Arbeitsrecht kann ich sagen, dass davon auszugehen ist, dass es bei den diversen Arbeitsgerichten zu unterschiedlichen Ansichten kommen wird.

Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein Unternehmen von der Corona-Krise so hart getroffen ist, dass er dauerhaft verkleinert oder gar gänzlich geschlossen werden muss.

Was sollten Arbeitnehmer unternehmen, die eine betriebsbedingte Kündigung mit Verweis auf die Auswirkungen der Corona-Krise erhalten haben?

Manja Schlippes: Als Wirtschaftskanzlei für mittelständische Unternehmen beraten wir Arbeitgeber bei den arbeitsrechtlichen Auswirkungen des Corona-Virus. Unser Ziel und Anspruch ist es dabei immer, eine einvernehmliche Lösung zu finden und Streit zu vermeiden. Es besteht aber immer die Möglichkeit, sich bei einer ausgesprochenen Kündigung anwaltlichen Rat einzuholen und gegebenenfalls die Kündigung vom Arbeitsgericht auf ihre Wirksamkeit im Rahmen einer sog. Kündigungsschutzklage überprüfen zu lassen. Ab Zugang der Kündigung ist dafür eine Frist von drei Wochen zur Einreichung der Klage vorgesehen.

Manja Schlippes, vielen Dank für das Gespräch!

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