Martin Stammwitz: Rechtsschutzversicherung ist keine schlechte Investition

Interview mit Martin Stammwitz
Martin Stammwitz ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in seiner Rechtsanwaltskanzlei in Dresden.  Mit ihm sprechen wir über das Vorurteil, sich als Anwalt nur mit Verkehrssündern zu beschäftigen, über den Einsatz einer Dash-Cam sowie den Sinn, „Blitzerfotos“ anzuzweifeln.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Martin Stammwitz: Das Verkehrsrecht umfasst nicht nur die Schnittstellenbereiche des öffentlichen Rechts (Fahrerlaubnisangelegenheiten) und des Privatrechts (Unfallschadenregulierung, Leasingverträge, Gebrauchtwagenkauf), sondern auch des Strafrechts in seiner Unterform des Ordnungswidrigkeitenrechts. Nur bei letzterem spricht man umgangssprachlich von „Verkehrssündern“, so dass diese nur einen kleinen Teil der Tätigkeit ausmachen.

Fun fact: Selbst als Verteidiger in straßenverkehrsrechtlichen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren beschäftigt man sich streng genommen nicht mit „Verkehrssündern“: Da aufgrund der Unschuldsvermutung jeder Tatverdächtige bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt, es nach einer rechtskräftigen Verurteilung aber nichts mehr zu verteidigen gibt, hat man es per Definition während seiner Tätigkeit ausschließlich mit Unschuldigen zu tun. 🙂 (Dasselbe gilt natürlich im Falle eines Freispruchs.)

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wie entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Martin Stammwitz: Beim „Bußgeldkatalog“ handelt es sich im rechtlichen Sinne um eine Verordnung, zu deren Erlass und Änderung der Gesetzgeber die Bundesregierung per Gesetz ermächtigt hat. Bei der Verschärfung der Bußgeldkatalogverordnung im April wurde ein rechtstechnischer Fehler begangen. Es wurde wohl versehentlich unterlassen, in der Bußgeldkatalogverordnung auf die Erlasskompetenz des Gesetzes zu verweisen, soweit es die Verhängung von Fahrverboten betrifft. Dieser „Bruch der Ermächtigungskette“ soll gegen das Zitiergebot des Grundgesetzes verstoßen und die Nichtigkeit der gesamten Bußgeldkatalogverordnung in ihrer Fassung vom April zur Folge haben, weshalb die Bußgeldbehörden wieder den davor geltenden Bußgeldkatalog mit seinen milderen Sanktionen anwenden. Ob die Schlussfolgerung der Nichtigkeit der Bußgeldkatalogverordnung zwingend und richtig ist, müssen Sie einen Verfassungsrechtler Ihres Vertrauens beurteilen lassen. Letztlich war es aber eine Entscheidung der exekutiven Gewalt, also der Verwaltung, den streitbefangenen Bußgeldkatalog nicht mehr anzuwenden.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Martin Stammwitz: Es gibt zumindest kein Gesetz, dass es verbietet, anderen Verkehrsteilnehmern Zettel an die Scheibe zu hängen. Zur Verhinderung einer Strafbarkeit wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist es aber ein völlig ungeeignetes Mittel.

Wenn der Unfallgegner tatsächlich nicht auffindbar ist, hilft nur, die Polizei zu rufen und den Unfall polizeilich aufnehmen zu lassen. Oder zu warten.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z.B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Martin Stammwitz: Ja. Es wird rechtswissenschaftlich zwar viel um Datenschutz- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen hierbei gestritten, mir ist jedoch kein Fall bekannt, in dem ein Gericht – nach umfassender Prüfung der entgegenstehenden Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte – die Verwertung der Aufnahmen nicht zugelassen hätte, soweit keine anderen Beweismittel vorlagen.

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Martin Stammwitz: Die Rechtsanwaltskosten beim Verkehrsunfall werden von der gegnerischen Versicherung übernommen. Ausnahmen gelten nur, wenn ein Mitverschulden am Unfall vorliegt oder mehr gefordert wird, als die Versicherung rechtlich zu zahlen verpflichtet ist, dann zahlt die gegnerische Versicherung nur anteilig entsprechend der Haftungsquote oder Regulierungsdifferenz. Ist der Unfall ausschließlich selbst verschuldet, dann zahlt die gegnerische Versicherung gar nichts – also auch keine Anwaltskosten. In Zweifelsfällen muss das Gericht durch Einholung teurer unfallanalytischer Gutachten entscheiden, so dass eine Rechtsschutzversicherung sicherlich keine schlechte Investition ist für jeden, der am Straßenverkehr teilnimmt. Bei den üblichen, eindeutigen Unfallhergängen wie Nichtgewährung der Vorfahrt, Kollision beim Spurwechsel oder Auffahren des Hintermannes wird eine Rechtsschutzversicherung für den sich korrekt verhaltenden Verkehrsteilnehmer aber nicht benötigt. Beim Auffahrunfall ist das übrigens der vorne Fahrende.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Martin Stammwitz: Das kann man seriös erst nach Einblick in die Ermittlungsakte zum Vorgang beurteilen. Meine Faustregel hierzu lautet: Wenn der Bußgeldbescheid mit einem Punkt oder gar Fahrverbot bewehrt ist, also ab einem Bußgeld von mehr als 70 €, sollte man zumindest mal in die Akte sehen und den Fall fachanwaltlich beurteilen lassen. Die magische Grenze von 4 Punkten, nach denen es bereits zu einer kostenpflichtigen Ermahnung durch die Fahrerlaubnisbehörden kommt, ist seit der Punktereform oft schnell erreicht. Hinzu kommt, dass es oft gar nicht darum geht, den Punkt oder das Fahrverbot zu verhindern, sondern nur strategisch gut zu verschieben, so dass beispielsweise ein längerer Auslandsurlaub für die Ableistung des Fahrverbots genutzt werden kann oder voreingetragene Punkte zum Eintragungszeitpunkt bereits wieder gelöscht sind. Das kann man nur durch Verschiebung der Rechtskraft erreichen, und hierfür ist ein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und ein möglichst langes außergerichtliches Verfahren Voraussetzung. Den Einspruch kann man dann zu einem individuell günstigen Zeitpunkt wieder zurücknehmen, woraufhin der Bußgeldbescheid erst zum Zeitpunkt der Rücknahme in Rechtskraft erwächst.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Martin Stammwitz: Ja, bei Eintragung des achten Punktes ist die Fahrerlaubnis weg. Für immer. Die Fahrerlaubnisbehörde wird durch Bescheid die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung entziehen und zur Abgabe des Führerscheins auffordern. Nach frühestens 6 Monaten darf der Betroffene einen Antrag auf Erteilung einer neuen (!) Fahrerlaubnis stellen. Das ist übrigens auch der Unterschied zum Fahrverbot, wo man seine ursprüngliche Fahrerlaubnis behält und lediglich für einen bestimmten Zeitraum kein Kraftfahrzeug führen darf.

Wenn die 8 Punkte also erreicht sind, kann man nur noch hoffen und prüfen, dass die Ermahnung bei Erreichen von 4 Punkten und die Verwarnung bei Erreichen von 6 Punkten nicht korrekt ausgesprochen worden sind. In diesen Fällen kann man die Entziehung der Fahrerlaubnis noch abwenden. Ist die Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von 8 Punkten entzogen worden, wird die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen des Neuantrags dann auch noch die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Eignung als Kraftfahrer fordern. Erst, wenn dieses erfolgreich beigebracht worden ist, darf eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden. Das kostet natürlich eine Menge Geld. Es lohnt sich also eher, gegen jeden einzelnen Punkt vorzugehen und dessen Eintragungszeitpunkt durch Verschiebung des Zeitpunkts der Rechtskraft strategisch schlau so zu verschieben, dass voreingetragene Punkte zum Eintragungszeitpunkt bereits wieder gelöscht sind.

Herr Stammwitz, vielen Dank für das Gespräch!

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