Nurefsan Keskiner und Dr. Hannah Rehage-Bräutigam: Bei rechtzeitigem Widerspruch gelten die gesetzlichen Bestimmungen

Interview mit Nurefsan Keskiner
Frau Nurefsan Keskiner ist Rechtsanwältin in der Kanzlei HARTMANN DAHLMANNS JANSEN RECHTSANWÄLTE PartGmbB in Wuppertal und beantwortet die Fragen gemeinsam mit Ihrer Kollegin Frau Dr. Hannah Rehage-Bräutigam. Mit beiden Rechtsanwältinnen sprechen wir über allgemeine Geschäftsbedingungen, Vorteile sowie das Pflegen von Geschäftsbeziehungen.

Kaum eine Rechtsmaterie ist so bedeutend wie das AGB-Recht. Die AGB sind der wohl am häufigsten verwendete Bestandteil der Vertragsgestaltung. Was ist der Sinn und Zweck von AGB?

Nurefsan Keskiner: Allgemeine Geschäftsbedingungen sind zunächst in § 305 I 1 BGB legaldefiniert. Dort heißt es: „Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt.“ Im Kern geht es also um die Rationalisierung von Geschäftsabwicklungen. Durch Vorgabe klar definierter Inhalte in den AGB wird kosten- und zeiteffizient vermieden, immer wiederkehrende Bedingungen bei jedem Vertragsabschluss aufs Neue aushandeln zu müssen. Zudem haben AGB eine Klarstellungsfunktion. Je nach Rechts- und Geschäftsbereich finden sich im Gesetz nur rudimentäre oder überhaupt keine Regelungen. Durch die Verwendung von AGB können gesetzliche Lücken geschlossen oder überhaupt erst Rechtslagen geschaffen werden. Dies gilt insbesondere für bestimmte, gesetzlich nicht verankerte, aber für den Wirtschafts- und Rechtsverkehr wesentliche Vertragstypen, wie z.B. Leasing-, Giro- oder Factoring-Verträge.

Eine gesetzliche AGB-Pflicht gibt es in Deutschland nicht, doch sind sie für Unternehmen nahezu unverzichtbar. Wie genau profitieren Unternehmen von den AGB?

Dr. Hannah Rehage: Durch die Verwendung von AGB können Vertragsbestimmungen effektiv und schnell an die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen des Verwenders angepasst werden. Hierdurch werden Geschäftsabläufe in ihrer Organisation und insgesamt vereinfacht. Die gesetzlichen Vorgaben können ferner – in einem gewissen Rahmen – zugunsten der verwendenden Unternehmen durch AGB modifiziert werden. Unternehmer profitieren also von der Möglichkeit, ihre eigenen Interessen zu stärken, Risiken abzuwälzen und beispielsweise vom Gesetz abweichende Haftungsklauseln oder Ausschlussfristen für Mängel zu bestimmen. Zusammenfassend ermöglichen es AGB dem Verwender seinem Geschäftspartner in komprimierter Form die Funktionsweise seines Geschäftes und die zugrundeliegenden Vertragsbedingungen darzustellen und aufzuerlegen.

Pflegen Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen, und eines davon hat keine eigenen AGB, so gelten automatisch die Geschäftsbedingungen des Geschäftspartners. Warum ist das meist schlecht, und wie können sich Unternehmen vor Nachteilen durch die AGB des anderen schützen?

Nurefsan Keskiner: Der Geschäftspartner ohne AGB unterwirft sich oftmals gesetzlich abweichenden und für ihn ungünstigen Vertragsbedingungen, wie z.B. einer erhöhten Risikolast, unvorteilhaften Haftungsregelungen und verkürzten Verjährungs- oder Gewährleistungs- und Mängelansprüchen. Um sich vor ungünstigen und nachteilhaften Vertragsbedingungen zu schützen, muss der Unternehmer den AGB seines Geschäftspartners widersprechen. Der Widerspruch kann mündlich, in Textform oder schriftlich erfolgen. Zu Nachweiszwecken ist jedoch mindestens die Textform empfehlenswert. Bei rechtzeitigem Widerspruch gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Rechtzeitig ist der Widerspruch, wenn er unmittelbar nach Hinweis oder Übermittlung auf die AGB des Geschäftspartners erfolgt. In einer solchen Situation ist es sinnvoll, sich mit seinem Vertragspartner vor Vertragsschluss darüber zu einigen, welche Bedingungen gelten sollen und diese ausgehandelten Bedingungen in einen abzuschließenden Vertrag zu integrieren.

Was muss man beachten, wenn man AGB verwenden möchte und woher bekommt man rechtssichere AGB?

Dr. Hannah Rehage: AGB entfalten nur dann Wirksamkeit, wenn sie durch Einbeziehung Bestandteil des Vertrags geworden sind. Je nachdem, ob die AGB im Verhältnis zu einem Verbraucher oder einem Unternehmer verwendet werden, sieht das Gesetz für eine wirksame Einbeziehung bestimmte Voraussetzungen vor. Für Verbraucher gilt, dass ein Hinweis auf die AGB vor oder spätestens bei Vertragsschluss erfolgen muss und ihnen die Inhalte in direkter oder mittelbarer Weise zur Verfügung gestellt werden. Eine transparente, verständliche und übersichtliche Formulierung und Ausgestaltung der AGB ist hierbei Pflicht. Zudem muss der Verbraucher mit der Geltung der AGB einverstanden sein. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gelten AGB im Verhältnis zu Verbrauchern als wirksam einbezogen. Für die Einbeziehung im B2B-Verkehr gelten weniger strenge Voraussetzungen. Ausreichend ist, dass der Vertragspartner die Absicht des Verwenders erkennt, die AGB in das Vertragsverhältnis einbeziehen zu wollen und diesen nicht widerspricht. Hierbei genügt die Möglichkeit der Kenntnisnahme der AGB in zumutbarer Weise. Aufgrund der umfangreichen Regelungslage und der zusätzlich zu beachtenden Rechtsprechung zur Zulässigkeit einzelner Klauseln, empfehlen wir einen versierten Rechtsanwalt mit der Erstellung von AGB zu beauftragen.

Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhaften AGB und unwirksamen Klauseln?

Nurefsan Keskiner: Zunächst muss zwischen insgesamt nicht wirksam einbezogenen AGB, und zwar einbezogenen, aber einzelner unwirksamen AGB-Klauseln differenziert werden.

Wurden AGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen, finden die gesetzlichen Bestimmungen   des jeweiligen Vertragsverhältnisses Anwendung. Verstoßen einzelne, aber wirksam einbezogene AGB-Klauseln gegen gesetzliche Bestimmungen, so sind diese „fehlerhaften“ AGB-Klauseln unwirksam. Der Vertrag / die AGB im Übrigen bleiben hiervon unberührt. An die Stelle der unwirksamen AGB-Klauseln treten dann die gesetzlichen Vorschriften. Eine Nichtigkeit des gesamten Vertrages kann jedoch dann eintreten, wenn das Festhalten an dem so geänderten Vertrag für eine der Vertragsparteien eine unzumutbare Härte darstellen würde. Für den Fall, dass keine gesetzliche Regelung existiert, die anstelle der unwirksamen AGB-Klausel treten kann, wird im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung der Parteiwille ermittelt und die entstandene „Lücke“ geschlossen. 

Frau Keskiner und Frau Dr. Rehage-Bräutigam, vielen Dank für das Gespräch!

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