Prof. Dr. Susanne Goretzki: Globale Mindeststeuer für Unternehmen

Interview mit Prof. Dr. Susanne Goretzki
Prof. Dr. Susanne Goretzki ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Goretzki & Kaul in Frankfurt am Main. Mit ihr sprechen wir über globale Mindeststeuer, Steuerreform sowie mögliche Steuersatzerhöhung.

Was ist Ihre Meinung dazu: Warum soll eine globale Mindeststeuer für Unternehmen eingeführt werden?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Die derzeitigen Steuerregeln sind für international agierende Unternehmen, vor allem Digitalkonzerne wie Amazon, Google, Facebook, Microsoft und Apple, nicht passend. Diese Unternehmen erwirtschaften ihre Gewinne – anders als klassische Industriekonzerne – weitgehend in Ländern, in denen sie keine physische Präsenz haben. Ihre Gewinne basieren z.B. auf Patenten, Software- und Lizenzeinnahmen, bei Digitalkonzerne zudem aus Einnahmen aus Internetverkäufen, aufgrund von Werbeklicks oder Softwareverkäufen. Multinationale Unternehmen können also wichtige immaterielle Vermögensgegenstände auf Tochterunternehmen in Niedrigsteuerländer auslagern oder ihre Tätigkeit von einem Niedrigsteuerland aus betreiben. Dorthin fließen dann Lizenz- oder Patentzahlungen, die an den Industriestandorten zu Betriebsausgaben und somit einer verminderten Besteuerung führen. Digitalkonzerne suchen sich dort den Geschäftssitz für ihre Kommunikations- und Handelsplattformen, wo der Steuersatz besonders günstig ist.  Gerade in COVID-Zeiten sind die Umsätze der Digitalkonzerne durch die enorme Nachfrage der Kommunikationsmittel, wie Online-Telefonie, Online-Besprechungen, Online-Handel etc. sprunghaft gestiegen, ohne dass die Marktstaaten, also Absatzländer, durch ein erhöhtes Steueraufkommen von diesen Gewinnen profitierten. Folge ist, dass die größten und gewinnträchtigsten Konzerne der Welt deutlich weniger Steuern zahlen als z.B. ein mittelständisches Unternehmen. Dabei profitieren die Digitalkonzerne einerseits an der hohen Kaufkraft der Industrieländer, aber auch an der hohen Nachfrage von Schwellenländern mit hohen Bevölkerungszahlen, wie z.B. Brasilien, Indien und China. Ihre Steuern zahlen sie aber nicht in dem Land, wo ihre Produkte verkauft werden, sondern in Niedrigsteuerländern, wie z.B. derzeit noch Irland, den Kanalinseln, den Bahamas oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die allesamt deutlich weniger als 15 Prozent Unternehmenssteuern erheben. Auch in Europa hat z.B. Ungarn einen Steuersatz von 9 Prozent, Bulgarien von 10 Prozent, Irland und Zypern von 12,5 Prozent. In Ländern wie z.B. Luxemburg liegt der Steuersatz zwar bei 17 Prozent und in Malta sogar bei 35 Prozent, beide Länder räumen Unternehmen aber bedeutende Ausnahmeregelungen bei der Besteuerung ein, sodass die effektive Besteuerung ebenfalls erheblich niedriger liegt. Durch den Wettbewerb mittels unterschiedlicher Steuersätze kommt es zu einer Verzerrung und damit ungerechten Wettbewerbsbedingungen. Staaten unterbieten sich bei der Besteuerung von Unternehmen. Verlierer sind die Industriestaaten mit hohen Steuersätzen, wie USA, Frankreich oder auch Deutschland, gleichermaßen aber auch die Entwicklungs- oder Schwellenländer, denen durch diese Unternehmensstrategien beträchtliche Einnahmen entgehen, weil sie aufgrund ihrer Bevölkerungsgröße ebenfalls wichtige Absatzmärkte für diese Konzerne darstellen. Wenn multinationale Konzerne kaum Steuern bezahlen, weil sie ihre Gewinne in Steueroasen verschieben, fehlen diese Steuermittel in den Marktstaaten. Für Ausgaben des Gemeinwesens, wie Schulen, Kitas, Krankenhäuser und die Infrastruktur leisten damit nur diejenigen Beiträge, die keine Möglichkeiten zur Steuerverlagerung haben. Betroffen sind im besonderen Maße kleinere Handwerksbetriebe, Freiberufler oder Einzel- und Großhändler, die standortgebunden sind und sich dieser Steuerlast anders als die profitablen Konzerne nicht entziehen können.

Die globale Mindeststeuer wird als historisches Ereignis gefeiert. Welche Bedingungen sieht sie nun konkret vor?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Mit Stand vom 13. Oktober 2021 haben sich 136 Länder (mit Ausnahme von Nigeria, Kenia, Pakistan und Sri Lanka) auf die Details für eine Steuerreform, die eine faire Aufteilung von Besteuerungsrechten und eine globale effektive Mindestbesteuerung mit einem einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent vorsieht, geeinigt. Es soll sich um eine der größten Reformen der internationalen Besteuerung von Unternehmen handeln. Dafür hat die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) das sogenannte Zwei-Säulen-Projekt ins Leben gerufen. Säule 1 betrifft die Einführung eines neuen Systems zur Ordnung internationaler Besteuerungsrechte, Säule 2 die globale effektive Mindestbesteuerung. Säule 1 sorgt für mehr Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Staaten. Es geht darum, dass die Einnahmen großer Digitalkonzerne, wie z.B. durch Internetverkäufe, aufgrund von Werbeklicks, Onlinemeetings, Streamingdiensten etc. auch in Staaten versteuert werden, in denen die Digitalkonzerne nicht mit einem Standort präsent sind. Künftig erhalten Länder, in denen multinationale Konzerne Umsätze durch den Verkauf ihrer Produkte und Dienstleistungen erzielen, die sogenannten „Marktstaaten“, mehr Rechte bei der Besteuerung der weltweit 100 größten multinationalen Konzerne. Diese erste Reformsäule soll alle international tätigen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro und einer Profitabilitätsschwelle „Marge“ von über 10 Prozent des Umsatzes erfassen. Die Marge soll berechnet werden als Vorsteuergewinn im Verhältnis zum Umsatz. Die Marktstaaten sollen Besteuerungsrechte auf 20 Prozent bis 30 Prozent des Gewinns erhalten, der die Marge von 10 Prozent übersteigt. Am Beispiel von Google verdeutlicht, würden Werbeeinnahmen aus Klicks von Usern auch in den Absatzmärkten zu Steuereinnahmen führen, selbst wenn Google in diesen Ländern keinen eigenen Standort unterhält. Da die Umverteilung der Besteuerungsrechte vor allem wohlhabende Industrieländer oder bevölkerungsreiche Länder begünstigt, wurde für kleinere Entwicklungsländer der Schwellenwert für Umsätze, ab dem ihr Besteuerungsrecht als Marktstaat greift, herabgesenkt. Sieben Jahre nach Inkrafttreten der Neuregelung soll überprüft werden, ob die Umsatzschwelle sinnvoll ist oder ob sie ggf. von 20 Milliarden Euro auf 10 Milliarden Euro abgesenkt werden soll. Für Amazon ist eine Sonderregelung vorgesehen, weil der Onlinehändler als Ganzes nicht profitabel genug ist – einzelne Segmente aber beide Kriterien erfüllen. Säule 2, die globale Mindestbesteuerung, erfasst nach derzeitigen Planungen Großkonzerne mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro. Diese Unternehmen sollen künftig einem Steuersatz von 15 Prozent unterliegen. Dabei wird keinem der Staaten, in dem die Unternehmen z.B. Tochtergesellschaften unterhalten, vorgeschrieben welcher Steuersatz in seinem Land gelten soll. Die Staaten können also ihre derzeit niedrigeren, unter 15 Prozent liegenden Steuersätze beibehalten. Staaten mit einem höheren Besteuerungsniveau haben aber die Möglichkeit, auf die sehr niedrigen Steuersätze anderer Staaten durch eine Nachversteuerung von ins Ausland verschobenen Gewinnen zu reagieren. Hat also ein Unternehmen in einem Niedrigsteuerland ein Tochterunternehmen, das die besonders werthaltigen Wirtschaftsgüter, wie Lizenzen und Patente, hält, kann der Ansässigkeitsstaat des Konzerns den Differenzbetrag zwischen dem Mindeststeuersatz von 15 Prozent und dem tatsächlich erhobenen Steuersatz nachversteuern. Weiterer Bestandteil von Säule 2 ist die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs, sofern gewinnmindernde Zahlungen an ausländische (verbundene) Unternehmen, wie z.B. Lizenz- oder Patentzahlungen geleistet werden. Auch dadurch sollen sich die Gewinne am Sitz des Mutterunternehmens erhöhen. Der Implementierungsfahrplan sieht vor, dass beide Säulen bereits 2023 Inkrafttreten. Für die Umsetzung innerhalb der Europäischen Union hat die Europäische Kommission vor, Anfang 2022 einen Richtlinienvorschlag für Säule 2, also die globale Mindestbesteuerung angekündigt, damit eine effektive und einheitliche Umsetzung innerhalb der EU gewährleistet ist. Säule 1 wird über einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag („multilaterales Instrument 2.0“) umgesetzt, den die OECD in den nächsten Monaten ausarbeitet.

Olaf Scholz konnte bislang alle 20 großen Industrie- und Handelsstaaten von seiner Steuerreform überzeugen. Doch die EU-Kommission und die drei EU-Mitgliedstaaten Irland, Ungarn und Estland stimmten bislang nicht zu. Sie müssen davon überzeugt sein, dass die Reform auch in ihrem Interesse ist. Wie würden Sie das beurteilen?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Mittlerweile haben Irland, Ungarn und auch Estland der Einführung der globalen Mindeststeuer zugestimmt. Für die Staaten, die ihre Zustimmung bisher nicht erteilt haben, wie z.B. Nigeria, Kenia, Pakistan und Sri Lanka, gibt es dennoch Argumente, dass die Mindeststeuer auch in ihrem Interesse liegen kann. Wenn z.B. ein deutscher Automobilkonzern Fahrzeuge in diesen Ländern absetzt, wird das Land des Absatzmarktes nach der erwähnten Säule 1 an diesen Gewinnen beteiligt. Die Aussicht, an den Gewinnen von international agierenden Konzernen, die im eigenen Land erwirtschaftet werden, durch Steuereinnahmen zu profitieren, dürfte also auch das Interesse dieser Staaten wecken, dem Abkommen beizutreten. Im Übrigen schafft eine internationale Verständigung nicht nur für den Staat selbst, sondern auch für Unternehmen, die dort ansässig sind, Rechtssicherheit. Länder mit derzeit niedrigen Steuersätzen können darauf bauen, dass Unternehmen auch in anderen Niedrigsteuerländern mindestens 15 Prozent Unternehmenssteuern – sei es direkt oder über die Mindeststeuer nach Säule 2 – zahlen, teilweise werden auch weiterhin die Steuersätze weit darüber liegen. Das globale Mindeststeuerabkommen zielt nicht darauf ab, den Steuerwettbewerb zu beseitigen, sondern setzt ihm multilateral vereinbarte Grenzen. Im Übrigen ist die Bemessungsgrundlage, d.h. die Berechnung des Gewinns, auf den die Mindeststeuer konkret gezahlt wird, noch nicht vereinbart. Diskutiert werden z.B. Ausnahmen für geistiges Eigentum oder eine Begünstigung für thesaurierte, also im Unternehmen verbleibende Gewinne. Auch eine zehnjährige Übergangsperiode mit großzügigen Sonderregeln (sog. Substance Carve-outs) wurde in das Abkommen aufgenommen. Es macht also Sinn für einen Staat, sich an dem Abkommen zu beteiligen, um die Möglichkeit zu haben, ebenfalls Sonderregelungen auszuhandeln.

Die EU-Kommission wagt mit der europäischen Digitalabgabe einen eigenen Verstoß. Wie unterscheidet sich dieser von der globalen Steuerreform?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Der Vorschlag der EU-Kommission zur europäischen Digitalabgabe entsprach im wesentlichen Säule 1 des dargestellten Verhandlungsergebnisses der internationalen Unternehmensbesteuerung. Dieser Abgabe sollten internationale Konzerne unterliegen, die mit ihren digitalen Geschäftsaktivitäten einen weltweiten Jahresumsatz von 750 Millionen Euro erzielten. Nachdem zunächst eine EU-weite Lösung nicht durchgesetzt werden konnte, führten Länder wie Frankreich, Spanien und Italien im Alleingang eigene nationale Regelungen ein. So sieht z.B. Frankreich einen Steuersatz von 3 Prozent auf Umsätze von Digitalunternehmen vor, die mindestens 750 Millionen Euro im Jahr umsetzen und davon mehr als 25 Millionen Euro in Frankreich umsetzen. Davon erfasst sind maßgeblich amerikanische Großkonzerne, wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft. Nachdem eine Einigung der G20 Finanzminister auf die globale Mindeststeuer erfolgreich war, hat die EU-Kommission ihre Pläne zur Besteuerung großer Digitalkonzerne zumindest vorerst zurückgestellt.

Bislang stimmten ein Großteil der EU-Länder der globalen Mindeststeuer zwar zu, aber könnte die europäische Digitalabgabe die Durchsetzung und das Inkrafttreten der globalen Steuerreform gefährden?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Die Einigung der G20 Staaten gelang erst, nachdem die EU-Kommission einem vorläufigen Stopp der europäischen Digitalabgabe zugestimmt hat. Maßgeblich war die Intervention der Vereinigten Staaten, in der die größten Digitalkonzerne ansässig sind und die durch eine Digitalabgabe und die Einführung der globalen Mindeststeuer zumindest teilweise doppelt belastet würden. Die bisher geplante europäische Digitalsteuer ist teilweise deckungsgleich mit Säule 1, also der globalen Mindeststeuer.

Die globale Mindeststeuer sieht einen Steuersatz von 15 Prozent für Unternehmen vor. Doch bleibt es auch bei den 15 Prozent oder wird der Steuersatz in Zukunft angehoben?

Prof. Dr. Susanne Goretzki: Der Mindeststeuersatz von 15 Prozent stellt einen Kompromiss dar, der notwendig war, um die Gegner der Mindeststeuer für das Vorhaben zu gewinnen. Industrieländer, deren Steuersatz über dem 15 Prozent Mindeststeuer liegt, wie die USA oder auch Deutschland und Frankreich haben selbstverständlich ein Interesse daran, diesen Mindeststeuersatz anzuheben. Wenn z.B. ein deutsches Unternehmen im Ausland nur 10 Prozent Steuern bezahlt, erhält der deutsche Staat nach der Mindeststeuer die Differenz von 5 Prozent zusätzlich als Steuereinnahme. Dennoch bleibt das Steuergefälle, da der Unternehmenssteuersatz in Deutschland bei knapp unter 30 Prozent liegt. Oberhalb der 15-prozentigen Mindeststeuer gibt es daher weiterhin eine Konkurrenz der Steuersätze, sodass das Problem mit Einführung der Mindeststeuer nur teilweise aufgehoben wird. Für die Zukunft stellt sich zudem die Frage, ob die 15-prozentige Mindeststeuer tatsächlich zu Steuermehreinnahmen der Marktstaaten führt. Denn letztlich ist es eine Frage der Bemessungsgrundlage von der der Gewinn errechnet wird. So hat Großbritannien ausgehandelt, dass dort ansässige Finanzinstitute einen Teil der Gewinne nicht verstärkt im Ausland versteuern müssen, China erhält ein Sonderrecht für Investitionsanreize, die dem Aufbau von Produktionsstätten oder der Anschaffung von Maschinen dienen. Denkbar wären auch Ausnahmen für geistiges Eigentum oder die Begünstigung von thesaurierten Gewinnen.

Frau Prof. Dr. Goretzki, vielen Dank für das Gespräch!

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