Sabine Stein-Lausnitz: Es gibt keine Planungs- oder gar Rechtsicherheit

Interview mit Sabine Stein-Lausnitz
Sabine Stein-Lausnitz ist Rechtsanwältin und Namenspartnerin einer Kanzlei in Halle. Mit ihr sprechen wir über den Einbruch der deutschen Wirtschaft im letzten Jahr, aktuelle wirtschaftliche Situation im Mittelstand sowie neue Regelungen im Alltag.

Die deutsche Wirtschaft ist im letzten Jahr um 5% eingebrochen. Gleichzeitig wurden großzügige finanzielle Hilfen vom Staat gewährt. Wie bewerten Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation im Mittelstand?

Sabine von Stein-Lausnitz: Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist extrem angespannt. Es gibt keine Planungs- oder gar Rechtsicherheit. Niemand weiß, welche Projekte sich verwirklichen lassen, weil nicht sichergestellt ist, dass der Arbeitsaufwand reibungslos zur Verfügung gestellt werden kann oder ob wieder irgendwelche Auflagen / Verbote erlassen werden. Dasselbe gilt für die Materialbeschaffung. Lieferketten funktionieren nicht oder nur bedingt. Insofern ist kaum eine verlässliche Planung möglich.

Berater können gar nicht schnell genug ihre Mandanten zur aktuellen Rechtslage und ihre Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Bereiche aufklären. Kaum sind Maßnahmen zur Anpassung von Betriebsabläufen vorbereitet oder gar umgesetzt, gelten sie schon nicht mehr.

Nun zu den großzügigen Hilfen, die da wären: Soforthilfe des Bundes, Novemberhilfe, Dezemberhilfe, Novemberhilfe II plus, Dezemberhilfe II plus, Novemberhilfe III extra, Dezemberhilfe III extra, Neustarthilfe, Überbrückungshilfe I-III… Schon allein aus der Vielzahl der Maßnahmen geht hervor, dass eine gewisse Verzweiflung um sich greift. Die Antragstellung ist unübersichtlich, man benötigt in der Regel Steuerberater, die überlastet sind. Die Steuerberaterkammern der Länder suchen Steuerberater, die noch freie Kapazitäten für die Beantragung der unterschiedlichen Hilfen haben.   Vor wenigen Tagen wurde eine Empfehlung zur Beschleunigung der Novemberhilfeanträge und deren Auszahlung beschlossen. Das heißt, der gute Wille ist zwar da, aber das nützt dem Einzelnen nichts, wenn er drei Monate und länger auf die Bewilligung der beantragten Hilfen warten muss. Insofern ist es konsequent, die strafbewehrte Insolvenzantragspflicht temporär auszusetzen.

In den Medien geistert die Angst vor einer Insolvenzwelle. Zu Recht?

Sabine von Stein-Lausnitz: Ja und nein. Als Insolvenzverwalter erschreckt mich eine Insolvenz natürlich nicht, sondern ich sehe sie unter normalen Umständen als Chance auf einen Neuanfang. Derzeit herrschen allerdings keine normalen Umstände. Üblicherweise ist es für den Markt gesund und folgerichtig, dass ein Unternehmen, welches seine Verbindlichkeiten nicht bedienen kann, vom Markt genommen wird. Dies verhindert, dass gesunde Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen werden. Nun ist einerseits durch die Zinspolitik und anderseits durch die pauschalen Hilfen die Wahrscheinlichkeit groß, dass sog. „Zombieunternehmen“ künstlich am Leben erhalten werden und andere Marktteilnehmer mitreißen. Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die zwar noch werbend tätig, aber nicht wirtschaftlich überlebensfähig sind und die unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen üblicherweise bereits vom Markt verschwunden wären.

Seit 2013 sinkt kontinuierlich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen. Seitdem Covid-19 das Tagesgeschehen beherrscht, ist die Zahl der Insolvenzverfahren im Vergleich zum Vorjahr um weitere 30 % gesunken. Schon allein das Erreichen des „vor-Corona“ Insolvenzniveaus würde vermutlich für Beunruhigung sorgen, hinzu kommen mit Auslaufen der Hilfen aber auch die eben erwähnten Zombieunternehmen, die sich vorher nur mühsam am Markt gehalten haben, sowie unverschuldet in Not geratene Unternehmen.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Sabine von Stein-Lausnitz: Ein aktuelles Beispiel ist das Schutzschirmverfahren arko, Eilles und Hussel. Der Lebensmittelhandel ist von dem Bezug der Hilfsmaßnahmen ausgeschlossen, die Süßwarenhersteller vertreiben ihre Produkte aber überwiegend in Filialen. Den Innenstädten sowie Einkaufscentern fehlen hingegen die Kunden.

Neben dem Einzelhandel ist die gesamte Kulturbranche betroffen, Soloselbständige haben es ebenfalls besonders schwer. Alles um das Thema Mobilität und Reisen liegt darnieder, dazu gehören auch alle anderen Bereiche, die der Freizeitgestaltung dienen, so auch die Eckkneipe oder der Mittagsimbiss. Wenn die Leute zuhause bleiben (müssen), konsumieren sie nicht.

Die Pflicht zur Insolvenzanmeldung wurde temporär ausgesetzt und Ende 2020 wieder in Kraft gesetzt. Wie stark wurde diese Regelung in Anspruch genommen?

Sabine von Stein-Lausnitz: Die Aussetzung der haftungs- und zum Teil auch strafbewehrten Insolvenzantragspflicht galt nur für die Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der Covid-19 Pandemie beruhte. Bis zum 31. Dezember wurde diese Regelung verlängert für Unternehmen, die zwar überschuldet, nicht aber zahlungsunfähig sind. Dann folgte die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für die Unternehmen, bei denen die Auszahlung der Novemberhilfen noch aussteht. Diese Regelung soll nun bis zum 30. April 2021 verlängert werden.

Ob ab Mai die vormals geltenden Verpflichtungen gelten oder weitere Verlängerungen beschlossen werden – wir sind in einem Wahljahr, ich vermute wir werden wieder und wieder in eine Verlängerung gehen. Zwar sah das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Insolvenzrecht von Anfang an vor, dass die Schwierigkeiten pandemiebedingt sein müssen und dass mit Auszahlung der Hilfe eine Überlebenschance für das Unternehmen besteht. Allerdings wurden diese Voraussetzungen nicht geprüft, so dass auch Hilfe für Unternehmen beantragt und gewährt wurde, die bei Lichte betrachtet eben keine Überlebenschance haben und deren wirtschaftliche Schieflage nicht pandemiebedingt ist, sondern bereits lange vorher bestand.

Profigläubiger, also Gläubiger, die wie das Finanzamt oder die Sozialversicherungsträger in jedem Insolvenzverfahren Beteiligte sind, haben seit April 2020 so gut wie keinen Fremdantrag mehr gestellt. Eigenanträge durch den Geschäftsführer wurden in der Hoffnung auf staatliche Hilfe ebenfalls nicht gestellt. Um Ihre Frage zu beantworten: Diese Regelung wurde (und wird) sehr stark in Anspruch genommen.

Spüren Sie derzeit im Alltag einen erhöhten Beratungsbedarf?

Sabine von Stein-Lausnitz: Jeder, der mit Insolvenzen und Sanierung, Restrukturierung zu tun hat, spürt den erhöhten Beratungsbedarf. Es ist eine unglaublich herausfordernde Zeit für alle Branchen, sich ständig anpassen und zum Teil neu erfinden zu müssen. Es gibt keine verlässlichen Parameter, weswegen auch jegliche Prognose unverhältnismäßig schwierig ist. Es ist nicht nur die fachliche Kompetenz gefragt, sondern  auch psychische Fähigkeiten wie Motivation.

Mit dem neuen Restrukturierungsrahmen StaRUG soll Unternehmen die Möglichkeit zur Sanierung vor einer Insolvenz erleichtert werden. Welche sind im Alltag die wichtigsten Änderungen?

Sabine von Stein-Lausnitz: Die meines Erachtens wichtigste Änderung ist die Einführung des Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmens. Bislang setzte die Restrukturierung mit Insolvenzantragstellung ein, was einerseits zeitlich viel zu spät war und andererseits mit dem Makel der Insolvenz behaftet war. Daher konnten die bislang vorgesehenen Maßnahmen zur Sanierung von Unternehmen nicht richtig Wirkung zeigen. Nun sollen Unternehmen durch ein Frühwarnsystem rechtzeitig auf Fehlentwicklungen aufmerksam gemacht werden und zugleich mit Hilfe eines Stabilisierungs-und Restrukturierungsrahmens Krisen bewältigt werden.

Der zu erstellende Restrukturierungsplan braucht zur Annahme durch die Gläubiger nicht mehr Einstimmigkeit, sondern nur noch 75% Zustimmung. Bei dem Restrukturierungsplan handelt es sich ausdrücklich nicht um einen Insolvenzplan, nur in Ausnahmefällen soll die Planabstimmung unter Aufsicht des Gerichts erfolgen. Die Eigenverantwortung bleibt beim Unternehmer. Der Geschäftsführer bleibt im Unternehmen, er sollte sich jedoch einen erfahrenen Sanierer an Bord holen.

Zur Einleitung des Verfahrens ist kein komplexer Antrag mit Testat eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters erforderlich, es reicht (zunächst) die Anzeige beim Restrukturierungsgericht. Andererseits halte ich es für das Gelingen der Restrukturierung für unerlässlich, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten, das im Wesentlichen den Voraussetzungen des sog. IDW S 6 Gutachtens entspricht. Im Laufe des Restrukturierungsverfahrens muss das zunächst ausreichende grobe Konzept dann aktualisiert und mit einem Finanzplan für den Zeitraum von 6 Monaten versehen werden. Für die Erklärung zur Bestandsfähigkeit ist schließlich ein Vollkonzept mit überwiegend wahrscheinlicher Planung erforderlich.

Funktionieren die neuen Regelungen im Alltag?

Sabine von Stein-Lausnitz: Wie alltagstauglich das neue Sanierungsinstrument sein wird, werden wir frühestens in einem Jahr beurteilen können. Fakt ist, dass auch dieses neue Instrument nur gelingen kann, wenn qualifizierte Berater die Geschäftsführung unterstützen Dies ist zwar keine gesetzliche Vorgabe, ohne Sanierungsexperten wird es dem Unternehmer jedoch kaum gelingen, seine Gläubiger zu überzeugen und die im Ergebnis doch erforderlichen Gutachten vorzulegen.

Ich persönlich halte es für die Vielzahl von KMUs mit desolater Buchhaltung und schwacher finanzieller Ausstattung für ebenso wenig praxisrelevant, wie das Schutzschirmverfahren. Auch bei diesen normalen Verfahren wäre ein frühzeitiger Verfahrensbeginn wünschenswert, um die Sanierungsmöglichkeiten eines Insolvenzverfahrens ausschöpfen zu können. Oft bleibt leider jedoch nur noch die Abwicklung des Betriebes, was bei rechtzeitiger Antragstellung noch hätte verhindert werden können.

Sabine von Stein-Lausnitz, vielen Dank für das Gespräch!

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