Sonja Locatelli: Digitale EU-einheitliche Besteuerungsverfahren sind neu

Interview mit Sonja Locatelli
Sonja Locatelli ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei SLR in Münster. Mit ihr sprechen wir über EU-Umsatzsteuerreform, grundlegende Änderungen sowie Auswirkungen für Verbraucher.

Seit 1. Juli, tritt die EU-Umsatzsteuerreform ein. Was sind die grundlegenden Änderungen?

Sonja Locatelli: Am 1. Juli 2021 trat die zweite Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets in Kraft. Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 wurden die EU-Vorgaben durch das Mehrwertsteuer-Digitalpaket in nationales Recht überführt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der ursprünglich für das Jahr 2020 geplante erstmalige Anwendungszeitpunkt auf den 01.07.2021 verschoben. Lieferungen von Gegenständen innerhalb der EU an Privatpersonen werden nunmehr als sogenannte Fernverkäufe definiert. Als so genannter Ort der Besteuerung eines Online-Verkaufs wird ab der Schwelle von EUR 10.000 das Bestimmungsland, also der Ort, an dem sich der Gegenstand bei Beendigung des Transports an den Erwerber befindet, festgelegt. Bisher galten unterschiedliche Lieferschwellenwerte für die Verkäufe in die unterschiedlichen Mitgliedstaaten, die von EUR 35.000 bis EUR 100.000 variierten. Diese Werte galten länderbezogen pro EU-Land. Bei Onlineverkäufen eines deutschen Unternehmens an französische Privatpersonen zum Beispiel musste die französische Umsatzsteuer an das französische Finanzamt erst gezahlt werden, wenn der Verkäufer mehr als EUR 35.000 Verkaufsumsätze pro Jahr in Frankreich tätigte. Andersherum, wenn ein französisches Unternehmen Onlineverkäufe an deutsche Privatpersonen tätigte, musste er erst ab Überschreitung eines Verkaufsumsatzes von 100.000 EUR in Deutschland die deutsche Umsatzsteuer zahlen (Deutschland hatte eine höhere Lieferschwelle als Frankreich). Solange die Lieferschwellenwerte pro Land nicht überschritten wurden, konnten Händler weiterhin ihre nationalen Umsatzsteuersätze an das nationale Finanzamt zahlen. Seit dem 1. Juli 2021 gilt eine EU-einheitliche Geringfügigkeitsschwelle in Höhe von EUR 10.000 insgesamt. Das bedeutet, dass alle grenzüberschreitenden Verkäufe in das EU-Ausland zusammengerechnet werden. Damit werden also Händler sehr viel schneller gezwungen sein sich mit den Regelungen des neuen Verfahrens auseinander zu setzen. Dadurch entfällt aber die derzeit erforderliche Überwachung der unterschiedlichen Lieferschwellen für jedes einzelne EU-Land.

Zusätzlich zu den Fernverkäufen innerhalb der EU sind künftig auch Fernverkäufe von Waren, die aus dem Nicht-EU Ausland (sog. Drittstaaten) eingeführt werden, betroffen. In dem Zusammenhang ergeben sich auch noch weitere Änderungen, u.a. die Abschaffung der Freigrenze von EUR 22 für Kleinsendungen in Bezug auf die Einfuhrumsatzsteuer sowie die Übernahme der Steuerschuldnerschaft für bestimmte Verkäufe, die durch Portale mit elektronischen Schnittstellen (z.B. Amazon, Ebay, etc…. ) unterstützt wurden.

Neu sind auch digitale EU-einheitliche Besteuerungsverfahren, bei denen sich die Unternehmen einheitlich für die ganze EU in ihrem Heimatland registrieren können und die Unternehmen nicht mehr gezwungen sind, sich in jedem einzelnen EU-Land steuerlich zu registrieren.

Warum wurde die Regelung reformiert, was soll erreicht werden?

Sonja Locatelli: Ziel des Verfahrens ist insbesondere eine vereinfachte und EU-einheitliche Regelung sowie eine Besteuerung im Bestimmungsland, also am Ort der Lieferung, was grundsätzlich das Ziel des EU-Binnenmarktes ist. Dadurch soll ferner der Mehrwertsteuer-Betrug bekämpft und faire Wettbewerbsbedingungen für alle EU-Unternehmer gesichert werden. Damit sich Unternehmen nicht in allen Mitgliedstaaten der EU registrieren müssen, in denen sie Fernverkäufe ausführen, wurden die besonderen Besteuerungsverfahren, die für alle Mitgliedstaaten gleich gelten, eingeführt. Für Verkäufe innerhalb der EU gilt das One-Stop-Shop Verfahren (OSS). Die Nutzung der besonderen Besteuerungsverfahren ist optional. Wird das Wahlrecht ausgeübt, gilt es für alle entsprechenden Umsätze innerhalb der EU, sodass ein Unternehmer die Erklärungen in dem Land seines Sitzes an eine zentrale Stelle (In Deutschland das Bundeszentralamt für Steuern „BZSt“) für alle EU-Mitgliedstaaten über ein europäisches elektronisches Verfahren abgeben kann. Die Umsatzsteuer an die einzelnen Bestimmungsländer wird durch die nationale Stelle (BZSt) an die anderen europäischen Mitgliedsländer weitergegeben. Hervorzuheben ist jedoch eine größere Lücke: Das einheitliche Besteuerungsverfahren OSS gilt nur für die Unternehmen, die aus einem inländischen Warenlager Waren verschicken. Für den Fall, dass ein Händler ausländische Warenlager und insbesondere den sogenannten Fulfillment Service, wie z.B. bei Amazon mit Lagern im EU-Ausland, nutzt, müssen darüber hinaus – wie bisher – Umsatzsteuermeldungen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat vorgenommen werden (insbesondere innergemeinschaftliche Erwerbe, lokale Lieferungen aus dem Lager im selben Mitgliedstaat wie z.B. aus einem franz. Amazon-Lager an einen französischen Kunden und lokale Eingangsumsätze). Das bedeutet, die Registrierungspflicht im Mitgliedstaat des ausländischen Lagerhauses bleibt in diesen Fällen bestehen.

Welche Auswirkungen hat das jetzt für Verbraucher, die Waren aus Asien bestellen?

Sonja Locatelli: Bei Warensendungen aus Nicht-EU-Ländern (sogenannte Drittländer) ändert sich ab dem 1. Juli 2021 im Wesentlichen folgendes:

–          Abschaffung der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer für Waren in Kleinsendungen mit einem Wert bis zu EUR 22: Das bedeutet, dass in der Regel für jede Ware, die aus einem Drittland (z.B. USA, Großbritannien, China) geliefert wird, Einfuhrumsatzsteuern bezahlt werden müssen.

–          Verpflichtung zur Abgabe elektronischer Zollanmeldungen auch für diese Kleinstsendungen: Das übernimmt in der Regel die Post oder sonstige Kurierdienste. Diese berechnen hierfür regelmäßig eine Servicepauschale. Die Deutsche Post / DHL berechnet aktuell beispielsweise EUR 6 pro Fall.

Für einen Verbraucher, der Waren aus dem Drittland bestellt, gelten nun folgende Konstellationen:

•          Sachwert der Sendung bis EUR 150: Der Zoll entfällt. Einfuhrumsatzsteuern (und ggfs. Verbrauchssteuern je nach Produkttyp) müssen gezahlt werden.

•          Sachwert der Sendung über EUR 150: Für die Waren fallen sowohl Zölle als auch die Einfuhrumsatzsteuer (und ggfs. Verbrauchssteuer) an.

Bei dem Sachwert bis EUR 150 kann neuerdings vom Verkäufer die Umsatzsteuer direkt über den sogenannten Import-One-Stop-Shop (IOSS) angemeldet und abgeführt werden. Die Umsatzsteuer wird in diesen Fällen bereits im Zeitpunkt des Verkaufs direkt an den EU-Kunden berechnet und der zuständigen Finanzbehörde des jeweiligen Mitgliedsstaates erklärt. Bei der anschließenden Einfuhrverzollung fällt dann keine Einfuhrumsatzsteuer an. Dazu muss der Einführer die IOSS-Nummer in der Zollanmeldung angeben.

Sofern der Kauf über ein Schnittstellenportal (z.B. Amazon und Ebay) getätigt wurde, sind diese Internetportale auch verpflichtet die Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen, sofern der Warenwert EUR 150 nicht übersteigt.

Dies sollte die Bestellung von Waren bis zu seinem Sachwert von EUR 150,00 erheblich erleichtern.

Für Händler bringt die Reform einigen bürokratischen Aufwand mit sich, können Sie den Meldeprozess z. B für einen Deutschland Händler, der ins EU-Ausland liefert, skizzieren?

Sonja Locatelli: Die Teilnahme an diesen neuen einheitlichen Besteuerungsverfahren können Unternehmer in Deutschland auf elektronischem Weg beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) beantragen. Die Antragstellung erfolgt über das BZStOnline-Portal.

Für die Fernverkäufe innerhalb der EU gilt das One-Stop-Shop Verfahren (OSS).

Die betroffenen Umsätze sind im Rahmen einer Quartalsanmeldung innerhalb eines Monats nach Ablauf jedes Besteuerungszeitraums zu melden. Erklärungen und Zahlungen haben ebenfalls bis zum Ende des Folgemonats zu erfolgen. Für Umsätze im III. Quartal 2021 müssen diese also bis Ende Oktober 2021 erklärt und gezahlt werden.

Hat sich der Unternehmer für das OSS-Verfahren registriert, besteht eine grundsätzliche Meldepflicht. Es sind gegebenenfalls Null-Meldungen einzureichen, falls keine Verkäufe erzielt werden. Werden über einen Zeitraum von 2 Jahren keine Umsätze erbracht, kann der Unternehmer von der Finanzbehörde vom besonderen Besteuerungsverfahren ausgeschlossen werden.

Wie bereits oben beschrieben, sind jedoch auch zusätzliche Meldungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten zu machen, wenn Waren über Lager im EU-Ausland verschickt werden. Dies ist genau zu prüfen und bedarf weiterhin der Registrierung im betroffenen EU-Mitgliedstaat. Ggfs. gilt dann dort auch die Pflicht zu monatlichen Meldungen.

Für Händler, die alle Waren aus Lagern in Deutschland verkaufen und die bisher bereits die Lieferschwellen (EUR 35.000 bzw. EUR 100.000) im EU-Ausland überschritten haben, führen die neuen Regelungen u.E. zu einem Weniger-Aufwand, da die Meldungen im jeweiligen EU -Staat unterbleiben und alles einheitlich über das OSS Verfahren in Deutschland gemeldet werden kann.

In diesem Zusammenhang hört man immer wieder das System IOSS, was ist das und was kann es?

Sonja Locatelli: Das Import-One-Stop-Shop -Verfahren (IOSS) gilt für Fernverkäufe von aus dem Nicht-EU Ausland eingeführten Waren von einem Sachwert von bis zu EUR 150 an Privatpersonen.

Der Import-One-Stop-Shop ermöglicht es Unternehmern, die Ware aus dem Nicht-EU Ausland einführen, alle ihre in den Mitgliedstaaten der EU getätigten Fernverkäufe, deren Wert unter EUR 150 bleiben,

–          in einer vereinfachten Zollerklärung anzumelden,

–          in einer besonderen Steuererklärung monatlich zu erklären,

–          diese Steuererklärung zentral über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) auf elektronischem Weg zu übermitteln und

–          die sich ergebende Steuer insgesamt zu entrichten.

Besteuerungszeitraum des IOSS-Verfahrens ist der Kalendermonat. Entsprechende Umsätze, die beispielsweise im Juli 2021 gemacht werden, sind also bis Ende August 2021 gegenüber der zuständigen Behörde (in Deutschland: BZSt) zu erklären sowie die Umsatzsteuer zu zahlen.

Was halten Sie von der Idee einer EU-weiten Datenbank auf Basis der Zolltarifnummern und Ausweis der nationalen Steuersatzzuweisung?

Sonja Locatelli: Grundsätzlich wäre dies ein guter Ansatz, um Unternehmen zu ermöglichen, die jeweiligen Umsatzsteuersätze zu bestimmen. Dies gilt insbesondere jetzt, wo die Unternehmen für alle EU-Mitgliedstaaten die Abgaben über ein gemeinsames elektronisches Verfahren erklären und zahlen sollen. Damit werden sie nicht mehr unbedingt von Beratern aus den verschiedenen EU-Ländern beraten, sondern von ihrem nationalen Berater, der sodann alle diese Informationen auf für das Ausland eruieren muss. Selbst mit einer solchen Datenbank bleibt es aber eine komplexe Materie, da auch die Einordnung in die verschiedenen Warengruppen zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann und somit Erfahrung voraussetzt.

Es gibt auch bereits EU-weite Datenbanken:

–          für die Zolltarifnummer: die sog TARIC (https://ec.europa.eu/taxation_customs/dds2/taric/taric_consultation.jsp), und

–          für die verschiedenen europäischen Umsatzsteuersätze: https://ec.europa.eu/taxation_customs/tedb/taxSearch.html.

Frau Locatelli, vielen Dank für das Gespräch!

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