Thade Bleßmann: Eine Rechtsschutzversicherung ist fast immer sinnvoll

Interview mit Thade Bleßmann
Thade Bleßmann ist Rechtsanwalt in seiner Kanzlei in Hannover. Mit ihm sprechen wir über Absicherung durch Rechtsschutzversicherung, Schmerzensgeld sowie Rechtsstreit bei Behandlungsfehlern.

Immer wieder hört man, dass sich Krankenkassen quer stellen, wenn Leistungen fällig werden. Warum provozieren die Kassen gerne einen Rechtsstreit?

Thade Bleßmann: Diese Frage kann – wie so oft – nicht pauschal beantwortet werden. Zunächst einmal muss zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und der privaten Krankenversicherung unterschieden werden.

Bei der gesetzlichen Krankenkasse sind Streitthemen häufig Behandlungen, die besonders teuer oder neuartige Verfahren, die (noch) nicht hinreichend erprobt sind. Welche Leistungen in der gesetzlichen Krankenkasse erstattungsfähig sind, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss und gibt hierfür die Richtlinien vor. Insbesondere bei neuartigen Verfahren ist festzustellen, dass diese im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zunächst nicht übernommen werden.

Voraussetzung für die Leistung einer privaten Krankenversicherung ist, natürlich abhängig vom vereinbarten Tarif, ob die Behandlung medizinisch notwendig gewesen ist. Dies ist meiner Erfahrung nach einer der häufigsten Streitpunkte und steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der individuellen Krankengeschichte.

Was die Motivation, die hinter einer Leistungsablehnung steht, betrifft, kann man nur mutmaßen. Oft hängt es mit einer hohen Kostenquote des betroffenen Vertrages zusammen, wenn z.B. der Versicherte bereits viele Behandlungen in Anspruch nehmen musste und nun seitens des Versicherers versucht wird, die Kosten zu drücken. Es können allerdings auch gesamtwirtschaftliche Motive, Kosten- und Einsparungsdruck, etc. dahinterstehen, die nicht unmittelbar im konkreten Vertragsverhältnis begründet sind – dies wird jedoch, im Gegensatz zur Sachversicherung, im Rahmen der Krankenversicherung sicherlich nicht in der Breite zutreffen.

Kann ich mich mit einer Rechtsschutz-Versicherung gegen die hohen Prozesskosten absichern? Worauf sollte ich beim Abschluss einer solchen Versicherung achten?

Thade Bleßmann: Prinzipiell ist das möglich und auch sinnvoll, denn wenn es zum Rechtsstreit mit der Krankenkasse kommt, ist es nicht mit den bloßen Anwalts- und Gerichtskosten getan. Gegebenenfalls müssen Zeugen geladen werden, für die Kostenvorschüsse einzuzahlen sind und auch medizinische Sachverständigengutachten eingeholt werden. Üblicherweise verlangen die Gerichte Vorschüsse ab rund 1.500,00 € für ein solches Gutachten. Es kann jedoch auch mitunter deutlich teurer werden. So können für eine vermeintlich geringe Forderung schnell mehrere tausend Euro Prozesskosten entstehen.

Generell sollte jede/r Interessierte individuell prüfen, welche Bausteine sie/er in einer Rechtsschutzversicherung konkret benötigt. Für die private Krankenversicherung ist Vertragsrechtsschutz erforderlich, für die gesetzliche Krankenkasse muss Sozialrecht als Baustein mitversichert sein. Am besten ist es, sich von einem versierten Makler beraten zu lassen, der den individuellen Bedarf ermittelt und ein passendes Angebot heraussucht.

Alternativ wäre es im Einzelfall denkbar, einen Rechtsstreit über einen Prozessfinanzierer zu finanzieren. Dies ist aber nur unter bestimmten Bedingungen (d.h. meist erst ab einer bestimmten Anspruchshöhe) möglich und zudem wird der Prozessfinanzierer im Rahmen eines Erfolgshonorars einen erheblichen Anteil (branchenüblich sind 30 – 35 %) der erstrittenen Summe für sich beanspruchen.

Kann man einen Arzt oder Zahnarzt auch längere Zeit nach einem Eingriff zur Verantwortung ziehen, wenn sich erst später Folgeschäden oder Probleme einstellen?

Thade Bleßmann: Grundsätzlich gilt auch in Arzthaftungsfällen die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese erst mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Patient Kenntnis von den Tatsachen erhält, die einen Anspruch begründen. Dies muss nicht zwangsläufig das Jahr sein, in dem die Behandlung stattgefunden hat. Im Zweifel sollte man dies anwaltlich prüfen lassen. Die absolute Obergrenze für die Verjährung von Ansprüchen gegen Ärzte oder Zahnärzte liegt bei 30 Jahren. Es dürfte jedoch die absolute Ausnahme sein, dass die Verjährung erst so spät eintritt.

Wenn ich Folgeschäden nach einem Unfall habe, wie wird das Schmerzensgeld für zukünftige Einschränkungen berechnet?

Thade Bleßmann: Zunächst einmal muss zwischen materiellem Schadensersatz und immateriellen Schadensersatz unterschieden werden. Der materielle Schadensersatz umfasst u.a. tatsächliche Behandlungskosten, zusätzliche Aufwendungen für Pflege, den Haushaltsführungsschaden und auch zukünftigen Verdienstausfall. Der immaterielle Schadensersatz („Schmerzensgeld“) soll die erlittenen Schmerzen sowie das Leid kompensieren und auch die sog. Genugtuungsfunktion erfüllen. Das heißt, es kann beispielsweise erhöhend berücksichtigt werden, wenn der Versicherer nicht oder nur verzögert reguliert. Die Berechnung ist komplex und setzt sich u.a. aus der Art und Schwere der Verletzung, Dauer der Einschränkung, Intensität der Verletzungen und Schmerzen, verbleibende physische und psychische Schäden etc. zusammen. Es gibt zwar sog. Schmerzensgeldtabellen, diese sind aber eher als grober Rahmen für eine Bemessung zu betrachten und meines Erachtens in der Höhe oft nicht mehr sachgerecht. Dies liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass dort viele alte Entscheidungen, teilweise aus den 1960er bis 1980er Jahren, aufgeführt sind und die damals zugesprochenen Beträge einen ganz anderen wirtschaftlichen Gegenwert hatten.

Wenn ein Krankenhaus Behandlungsfehler macht, hört man oft, dass jahrelang prozessiert werden muss, bevor der/die Geschädigte Recht bekommt. Gibt es eine Art Hilfsfonds, aus dem Betroffene entschädigt werden, oder muss man grundsätzlich die Zeit aussitzen?

Thade Bleßmann: Mir wäre, zumindest in Deutschland, derzeit kein solcher Hilfsfonds bekannt. Es gibt immer mal wieder politische Vorstöße, die darauf abzielen, einen solchen Fonds zu schaffen – oft scheitert es aber an der Finanzierung dieser Fonds. In anderen europäischen Ländern gibt es solche Fonds, die Kosten werden dann solidarisch von der Gesamtheit der Patienten durch Kostenbeteiligungen getragen.

Wie finde ich den für mich besten bzw. für meinen Fall qualifiziertesten Anwalt?

Thade Bleßmann: Grundsätzlich sind Fachanwaltschaften, die ein Anwalt führen darf, bereits ein guter Indikator. Es gibt natürlich auch Kolleginnen und Kollegen, die – ohne einen Fachanwalt zu führen – Experten in bestimmten Rechtsgebieten sind. Empfehlungen aus dem persönlichen Umfeld oder die Nachfrage bei der örtlichen Rechtsanwaltskammer helfen auch. Sicherlich hilft es auch, sich über Medien oder das Internet zu informieren, hier sollte man aber auf jeden Fall noch ein persönliches oder direktes Gespräch suchen, um zu prüfen, ob es auch auf der persönlichen Ebene zwischen Mandant und Anwalt passt. Denn auch das ist wichtig: Dass eine Vertrauensbasis besteht, beide Seiten gut miteinander arbeiten können und die/der Mandant/in sich gut aufgehoben fühlt.

Man könnte meinen, ein Fachanwalt für Medizinrecht müsste sehr gute Kenntnisse in Humanmedizin mitbringen. Ist das so?

Thade Bleßmann: Natürlich erwirbt ein Fachanwalt für Medizinrecht im Rahmen der Fachanwaltsausbildung besondere Kenntnisse, auch aus dem medizinischen Bereich. Letztlich handelt es sich ja um ein interdisziplinäres Rechtsgebiet. Dennoch würde ich nicht soweit gehen, zu sagen, dass ein Fachanwalt für Medizinrecht sehr gute Kenntnisse in der Humanmedizin hat oder mitbringt. Bei allen Erkenntnissen, die man im Laufe der Berufslaufbahn sammelt, bleibt man meines Erachtens immer ein medizinischer Laie und sollte diese Tatsache in Anbetracht der Komplexität der Humanmedizin mit der gebotenen Demut hinnehmen. Etwas anderes gilt selbstredend für die Kolleginnen und Kollegen, die sowohl eine medizinische/ärztliche als auch eine juristische Ausbildung absolviert haben.

Herr Bleßmann, vielen Dank für das Gespräch!

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