Unterhalt: Es kommt auf das Geschick und Wissen des Anwalts an – Bettina Neugebauer

Interview mit Bettina Neugebauer
Rechtsanwältin Bettina Neugebauer ist Fachanwältin für Familienrecht bei AFFR Anwaltskanzlei für Familienrecht. Im Interview spricht sie über die Veranlagung des Unterhalts und Komplikationen im Alltag bezüglich des Umgangsrechts.

Anwalt/Anwältin für Familienrecht. Was versteht man eigentlich unter dieser Berufsbezeichnung?

Bettina Neugebauer: Ein Fachanwalt für Familienrecht hat vertiefte Kenntnisse in diesem Rechtsgebiet. Um den Titel „Fachanwalt für Familienrecht“ führen zu dürfen, muss eine Fortbildung über mehrere Wochen absolviert, es müssen Klausuren geschrieben und bestehen werden und zusätzlich wird der Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen in diesem Rechtsgebiet gefordert. Dieser Nachweis wird erbracht, indem eine Liste von 120 bearbeiteten Fällen bei der RA-Kammer einzureichen ist. Diese Liste muss eine bestimmte Anzahl von Verfahren – gerichtlich und außergerichtlich – enthalten. Die Fachanwaltsordnung 2020 regelt aktuell die konkreten Voraussetzungen.

Was ist im Familienrecht geregelt?

Bettina Neugebauer: Das Familienrecht ist materiell im Vierten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in den §§ 1297-1921 BGB geregelt und umfasst u. a. Fragen wie das Verlöbnis, die Voraussetzungen unter denen eine Ehe eingegangen werden kann, die Eheschließung selbst, die Wirkungen der Ehe, die des ehelichen Güterrechts, die Scheidung der Ehe, die kirchlichen Verpflichtungen, die Verwandtschaftsverhältnisse und damit die Unterhaltspflicht, die elterliche Sorge, die Beistandschaft, die Annahme als Kind (Adoption), die Vormundschaft und die Pflegschaft, um nur einige Regelungsinhalte zu nennen. Natürlich ist diese Aufzählung nicht vollständig oder abschließend.

Die Verfahrensregeln sind im Wesentlichen im „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) von 2008 zusammengefasst.

Wenn sich ein Fachanwalt „Familienrecht“ auch um die Unterhaltspflichten kümmert, warum verschickt die Bundesanstalt für Arbeit dann oft Fragebögen an die Unterhaltspflichtige?

Bettina Neugebauer: Bei den „Fragebögen“ denken Sie bestimmt an eine sogenannte „Überleitungsanzeige“, die immer dann verschickt wird, wenn der Staat mit Sozialleistungen (z.B. bei Grundsicherung von Arbeitssuchende nach Sozialgesetzbuch II (SGB II)) in Vorleistung gegangen ist und überprüfen muss, ob die oder der Leistungsbezieher Ansprüche gegen einen Dritten hätte. Das gilt sowohl für Erwachsene wie auch für Kinder als Leistungsbezieher. In diesem Zusammenhang muss auch der Fachanwalt diese Fragebögen bearbeiten, z. B. Auskunft erteilen.

Beim Thema Besuchsrecht und Umgangsrecht gibt es wohl immer Probleme zwischen den Ehegatten, bei der/die Einzelne das Kind alleine für sich beansprucht. Warum gibt es da häufig Komplikationen?

Bettina Neugebauer: Wir sprechen in der Regel hier immer vom „Umgangsrecht“. Umgangsrecht umfasst auch das Recht zu regelmäßigen Besuchen und Informationen und ist geregelt in den §§ 1684 ff BGB. Grundsätzlich hat jeder Elternteil und auch die sonstigen Verwandten – wie Großeltern und Geschwister – ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass ein Umgang mit beiden Eltern dem Wohl des Kindes dient und verpflichtet daher auch den nicht- sorgenden Elternteil zum Umgang. Bei den sonstigen Verwandten wird ein Umgangsrecht nur dann bejaht, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient. Komplikationen treten immer dann auf, wenn ein Elternteil mit dem Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil oder sonstigen Berechtigten nicht einverstanden ist. Dies kann verschiedenste Ursachen haben und wird auch sehr unterschiedlich begründet. Es beginnt mit der Frage der Unzuverlässigkeit des anderen Elternteils, geht über in Unbehagen oder sogar Krankheitssymptome und/oder Weigerung des Kindes, Umgang mit dem anderen Elternteil zu haben, bis zum behaupteten oder tatsächlichen sexuellen Missbrauch des Kindes durch den jeweils anderen Elternteil. Dahinter stecken oft völlig andere Ablehnungsgründe, z. B. Verlustängste des sorgenden Elternteils, Kränkungen oder die Weigerung beider Elternteile, das Scheitern ihrer Paarbeziehung anzuerkennen. Auch kann das Kind aus falsch verstandener Solidarität mit dem betreuenden Elternteil die zuvor genannten Symptome entwickeln oder den Umgang ganz verweigern. Hier ist der Fachanwalt gefragt, mit seiner Erfahrung zu erkennen, worin die tatsächlichen Ursachen liegen. Dies ist erfahrungsgemäß nur sehr schwer zu beurteilen.

Thema Unterhalt. Kann ein Fachanwalt dabei helfen, wenn ein Elternteil zu hoch veranlagt wurde bei den Unterhaltszahlungen?

Bettina Neugebauer: Es ist oftmals eine Frage des Einzelfalls, ob ein Fachanwalt dabei helfen kann, wenn der Unterhaltspflichtige zu hoch veranlagt wurde, weil er z. B. arbeitslos wurde oder sich die Verhältnisse in anderer Weise geändert haben. Je nachdem, worauf die Unterhaltsverpflichtung beruht (Gerichtsbeschluss, Jugendamtsurkunde, notarielle Urkunde) und wann die Veränderung eingetreten ist, gibt es verschiedene prozessuale Möglichkeiten, einen Unterhaltstitel zu beseitigen oder abzuändern.

Alle Unterhaltsverpflichtungen haben aber gemeinsam, dass eine gewisse Zeit vergangen sein muss, bevor man eine Abänderung verlangen kann. Die Beseitigung eines vorhandenen, zu hohen, Unterhaltstitels setzt jedoch voraus, dass sich der Anwalt speziell in dieser Materie auskennt. Dies ist am ehesten bei einem Fachanwalt für Familienrecht gewährleistet.

Wie sieht es mit der Verpflichtung für Ehegatten – meistens Frauen – aus, dass diese sich Arbeit suchen müssen, anstatt alleine vom Unterhalt zu leben und dadurch für eine hohe finanzielle Belastung beim Unterhaltspflichtigen zu sorgen?

Bettina Neugebauer: Im Rahmen einer großen Reform im Jahr 2008 wurde unter anderem auch bestimmt, dass der Berechtigte – meistens die Frauen – in der Höhe gedeckelten Unterhalt nur noch für einen begrenzten Zeitraum verlangen konnten, nur entsprechend ihrer eigenen Ausbildung und nur zum Ausgleich von sogenannten ehebedingten Nachteilen. „Einmal Arztgattin, immer Arztgattin“ sollte es nicht mehr geben. In der Zwischenzeit gab es eine Vielzahl von Gerichtsurteilen, die die Reform zum Teil rückgängig gemacht haben, so dass es momentan sehr schwer für einen Anwalt ist, vorherzusagen, wie lange und in welcher Höhe Unterhalt verlangt werden kann. Es kommt hier ganz auf das Geschick und Wissen des Anwalts an, „sein“ Gericht zu kennen und entsprechende Fakten für oder gegen einen Unterhaltsanspruch vorzutragen.

Ab welchem Alter dürfen Kinder entscheiden, ob sie zur Mutter oder zum Vater gehen wollen?

Bettina Neugebauer: Kinder dürfen nie selber entscheiden, zu welchem Elternteil „sie wollen“. Jede Entscheidung für den einen Elternteil ist zugleich eine Entscheidung gegen den Anderen. Niemand will das Kind einem solchen Interessenkonflikt aussetzen. Diese Entscheidung trifft stets das Gericht (fast immer mit sachverständiger Hilfe), falls sich die Eltern nicht einigen können. Am besten für das seelische Wohl der Kinder wäre es, wenn sich die Eltern über diese Frage verständigen könnten. Das ist eigentlich auch ihre Pflicht. Davon, dass ihre Paarbeziehung scheitert, ist ihre Stellung als Eltern nicht betroffen. Das Kind braucht in der Regel auch beide Elternteile. Leider sieht die Realität anders aus. Das Gericht muss das Kind daher anhören, um sich einen eigenen Eindruck von dem Willen des Kindes und dem Kind selbst zu machen. Nach § 159 Abs. 1 FamFG hat das Gericht das Kind persönlich anzuhören, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat. In den Fällen, in denen das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist es nach § 159 Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, wenn die Neigung, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Das ist nach meiner Erfahrung fast immer der Fall.

Frau Neugebauer, vielen Dank für das Gespräch.

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Bettina Neugebauer

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