Unterhaltspflicht nach der Trennung

Interview mit Giuseppe M. Landucci
Trennungen sind oft mit viel Schmerz und Leid verbunden, insbesondere dann, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Es können Rosenkriege ausbrechen, eklatante Gerichtsverfahren geführt werden oder schlimmeres. Die Leidtragenden sind meist die Kinder. Auch um diese kann sich manch ein Streit drehen – das berühmt berüchtigte Thema Kindesunterhalt. Hierzu haben viele eine Meinung oder viel gelesen und gehört. Im Normalfall gilt: der nicht betreuende Elternteil ist unterhaltspflichtig. Doch ist das wirklich immer so? Giuseppe M. Landucci sagt Nein. Der renommierte Fachanwalt und Inhaber der gleichnamigen Kanzlei für Familienrecht in Köln kann aufgrund seines reichen Erfahrungsschatzes sagen,, dass jeder Fall so unterschiedlich ist wie der Mensch selbst und genauso von Behörden und Gerichten behandelt wird. Es kann sogar vorkommen, dass die Unterhaltspflicht zum Teil oder komplett auf den betreuenden Elternteil fällt. Wann dies genau passieren kann und wie der Kindesunterhalt berechnet wird, erklärt er uns im Folgenden. 

Betreut der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin nach der Trennung das gemeinsame Kind, steht der nicht betreuende Elternteil in der Verpflichtung, dem Kind Kindesunterhalt zu zahlen. Wie muss der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind erfüllen?

Der betreuende Elternteil, mit dem das Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebt, kommt seiner Unterhaltspflicht grundsätzlich durch die Gewährung sog. „Naturalunterhalts“ nach. Zum Naturalunterhalt zählen dabei alle finanziellen Aufwendungen zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs des Kindes, also beispielsweise alle Kosten für Wohnung, Kleidung, Lebensmittel, Spielzeug, usw.

Daneben gehören aber auch immaterielle Aufwendungen zum Naturalunterhalt, insbesondere die Zeit, die der betreffende Elternteil für die fortwährende Betreuung, Unterstützung und Pflege des Kindes aufbringt.

Das Elternteil, das nicht die betreuende Funktion einnimmt, ist barunterhaltspflichtig. Wie genau wird die Höhe des Unterhalts berechnet?

Um die Höhe des Kindesunterhalts berechnen zu können, muss zunächst das sog. „bereinigte Nettoeinkommen“ des zahlungspflichtigen Elternteils ermittelt werden. Bei Angestellten wird hierfür im ersten Schritt der durchschnittliche Nettoverdienst der letzten 12 Monate herangezogen, bei Selbständigen wird im Regelfall das durchschnittliche Einkommen der letzten drei Geschäftsjahre betrachtet. Hinzugerechnet werden dann ggf. noch bestimmte weitere Einkünfte wie z. B. Mieteinnahmen, Kapitalerträge, Steuererstattungen, Sachbezüge des Arbeitgebers, Weihnachts- und Urlaubsgeld etc. Auch ein sog. „Wohnvorteil“ ist zu berücksichtigen, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil in einer eigenen Immobilie wohnt und dadurch keine Miete zahlen muss. Auch die Nutzung eines Dienstwagens für private Fahrten kann sich einkommenserhöhend auswirken. Unter Umständen kann ein fiktives Einkommen hinzugerechnet werden, falls der/die Unterhaltspflichtige weniger arbeitet als ihm oder ihr zuzumuten wäre.

Im zweiten Schritt können von dem errechneten Gesamteinkommen dann eine Reihe von Belastungen in Abzug gebracht werden, wie z. B. Aufwendungen für eine private Altersvorsorge, private Krankenversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Kosten für Arbeitsmittel, eigener Mehrbedarf aufgrund von Krankheit, Kosten für bestimmte Versicherungen, manche Arten von Kreditbelastungen u. v. m.

Man muss hierbei wissen, dass die Liste aller Einkünfte und Abzüge, die bei der Ermittlung des bereinigten Nettoeinkommens eine Rolle spielen können, nicht abschließend und äußerst einzelfallabhängig ist, so dass die hier dargestellten Erläuterungen nur das Grundgerüst der Unterhaltsermittlung wiedergeben. Es kann sich daher für den unterhaltspflichtigen Elternteil oft auszahlen, diese komplizierten Berechnungen mit anwaltlicher Hilfe oder sonstiger fachkundiger Unterstützung vorzunehmen.

Wenn das bereinigte Nettoeinkommen erst einmal feststeht, wird der konkret zu zahlende Kindesunterhalt anschließend im letzten Schritt mithilfe der Düsseldorfer Tabelle ermittelt, welche nach dem Alter des Kindes und der Einkommensstufe des unterhaltspflichtigen Elternteils gestaffelt ist. Bei der Einordnung ist außerdem zu berücksichtigen, gegenüber wie vielen Personen eine Unterhaltspflicht besteht. Die Hälfte des Kindergeldes wird von dem in der Tabelle genannten Wert noch abgezogen. Auf der Düsseldorfer Tabelle sind sowohl die Zahlbeträge als auch die Beträge ohne abgezogenes Kindergeld genannt. Hierauf ist zu achten. 

Erhält das Kind selbst eine Ausbildungsvergütung oder BAföG, kann dies den Kindesunterhalt u.U. ebenfalls reduzieren.

Dem unterhaltspflichtigen Elternteil sollte grundsätzlich ein bestimmter Selbstbehalt verbleiben, um sein eigenes Existenzminimum zu sichern. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Mindestunterhalt grundsätzlich gewährleistet werden muss. Es gilt der sog. Grundsatz der gesteigerten Erwerbsobliegenheit, vgl. zu alledem weiter unten. Dies kann dazu führen, dass trotz Unterschreitung der Selbstbehaltsgrenze der Mindestunterhalt dennoch zu zahlen sein kann.

Ein höheres Einkommen des betreuenden Elternteils wirkt sich normalerweise nicht auf die Barunterhaltspflicht des anderen Elternteils aus. Können Sie uns die Ausnahmen nennen, die die Rechtsprechung macht?

Der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Naturalunterhalt, welcher den betreuenden Elternteil normalerweise davon befreit, zusätzlich zu seinen Betreuungsleistungen auch noch Geldunterhalt leisten zu müssen, gilt nicht uneingeschränkt. Wenn zwischen den beteiligten Eltern ein finanzielles Ungleichgewicht besteht, weil der betreuende Elternteil über ein deutlich höheres Einkommen verfügt als der nicht betreuende Elternteil, kann unter bestimmten Voraussetzungen die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils teilweise oder sogar komplett entfallen. Einige Oberlandesgerichte haben hierzu bereits verschiedene Kriterien entwickelt: So soll der Einkommensunterschied mindestens 500,- € netto betragen und dem barunterhaltspflichtigen Elternteil müssten weniger als 1.400 € als angemessener Selbstbehalt verbleiben, wenn er den Kindesunterhalt allein zahlen würde. In solchen Fällen müsste sich dann auch der betreuende Elternteil ggf. in einer zu beziffernden Quote am Kindesunterhalt beteiligen. Auch hier gilt aber, dass stets der Einzelfall maßgeblich ist und daher immer die konkreten Umstände im Detail geprüft werden müssen.

Ein weiterer Fall, in dem sich unter Umständen auch der betreuende Elternteil am Kindesunterhalt finanziell beteiligen muss, liegt im Übrigen auch bei einem sog. Sonder- oder Mehrbedarf des Kindes vor. Beim Mehrbedarf handelt es sich um regelmäßig anfallende Zusatzkosten, die den üblichen Regelbedarf übersteigen, wie z. B. Kindergartengebühren, Beiträge zur privaten Krankenversicherung, Nachhilfe- und Förderunterricht oder Therapiekosten. Als Sonderbedarf bezeichnet man dagegen Ausgaben, die nur einmal oder unregelmäßig/plötzlich auftreten, etwa für Klassenfahrten, Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung, Anschaffungskosten für ein im Unterricht benötigtes Tablet etc.

Ob ein Sonder- oder Mehrbedarf geltend gemacht werden kann, hängt dabei wiederum stark vom Einzelfall ab. Wird der Bedarf anerkannt, sind die Kosten im Regelfall gemäß den jeweiligen Einkommensverhältnissen von beiden Elternteilen zu tragen, also anteilig auch vom betreuenden Elternteil.

Im Ausnahmefall kann sich die Barunterhaltspflicht also ganz oder teilweise auf den betreuenden Elternteil verlagern. Wann geht der Bundesgerichtshof von einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Elternteilen aus?

In einer Entscheidung vom 04.05.2011 (Az.: XII ZR 70/09) ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass dem betreuenden Elternteil eine Beteiligung am Barunterhalt zuzumuten ist, wenn dessen Vermögens- und Einkommensverhältnisse deutlich günstiger sind als die des barunterhaltspflichtigen Elternteils, wenn ferner ohne die Beteiligung des betreuenden Elternteils am Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde, und wenn zudem der eigene angemessene Selbstbehalt des Betreuenden durch die Beteiligung nicht gefährdet wird. Im dort entschiedenen Fall lag das Einkommen des betreuenden Kindesvaters ca. 50 % höher als das der barunterhaltspflichtigen Kindesmutter.

In einem anderen Beschluss vom 10.07.2013 (Az.: XII ZB 297/12) hat der BGH entschieden, dass ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zu bejahen sein dürfte, wenn die unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des betreuenden Elternteils die des nicht betreuenden, barunterhaltspflichtigen Elternteils um mehr als das Dreifache übersteigen. In einem solchen Fall könne es daher der Billigkeit entsprechen, dem betreuenden Elternteil ausnahmsweise auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufzuerlegen.

Unterhalb dieser Schwelle kommt nach dem BGH eine vollständige Enthaftung des barunterhaltspflichtigen Elternteils dagegen regelmäßig kaum in Betracht. Es sei dann vielmehr Sache des befassten Gerichts, ggf. die quotale Aufteilung des geschuldeten Barunterhalts auf die beiden Eltern anhand der vorliegenden Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls festzulegen.

Was muss beachtet werden, wenn man das nicht betreuende Elternteil dazu auffordern möchte, sich am Kindesunterhalt zu beteiligen?

Der nicht betreuende Elternteil sollte schriftlich und mit Fristsetzung aufgefordert werden, eine vollständige Auskunft über seine/ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu erteilen und entsprechend zu belegen, damit das bereinigte Nettoeinkommen berechnet und anschließend ein korrekter Unterhaltsanspruch beziffert werden kann. Zur Erteilung dieser Auskünfte besteht übrigens eine gesetzliche Verpflichtung, so dass der Auskunfts- und Beleganspruch notfalls auch eingeklagt werden kann, falls die geforderten Angaben vom barunterhaltspflichtigen Elternteil nicht freiwillig gemacht und die Belege nicht vorgelegt werden. Vorsorglich sollte der nicht betreuende Elternteil zugleich auch ausdrücklich mit der Zahlung von noch zu bezifferndem Kindesunterhalt in Verzug gesetzt werden. Der Grund dafür liegt darin, dass Unterhalt im Normalfall nur für die Zukunft gefordert werden kann, nicht aber rückwirkend. Durch die Aufforderung zur Auskunftserteilung und die Inverzugsetzung werden die Unterhaltsansprüche ab dem Monat gesichert, in dem die Aufforderung ergangen ist, so dass der Kindesunterhalt in diesem Fall auch nachträglich gezahlt werden muss, selbst wenn die genaue Bezifferung erst einige Zeit später vorgenommen werden kann.

Außerdem sollte das Schreiben auch noch die Aufforderung enthalten, ab sofort jeden Monat schon einmal den gesetzlichen Mindestunterhalt gemäß der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen, da die meisten Unterhaltspflichtigen um die Zahlung dieses Mindestsatzes ohnehin nicht herumkommen. Es ist nämlich zu beachten, dass beim Unterhalt für minderjährige Kinder grundsätzlich der Grundsatz der „gesteigerten Erwerbsobliegenheit“ gilt. Das bedeutet, dass der nicht betreuende Elternteil seine gesamte Arbeitskraft einsetzen und jede zumutbare Erwerbsmöglichkeit nutzen muss, um wenigstens diesen Mindestunterhalt zahlen zu können. Die Rechtsprechung ist bei den Anforderungen, die diesbezüglich an den barunterhaltspflichtigen Elternteil gestellt werden, auch relativ streng, so dass z. B. ein fiktives höheres Einkommen angesetzt werden kann, wenn dem barunterhaltspflichtigen Elternteil die Aufnahme einer Nebentätigkeit oder ggf. sogar der Wechsel des Arbeitsplatzes, des Berufs oder des Wohnorts zugemutet werden kann.

Zusammenfassend:

Im Ergebnis ist jedoch festzuhalten, dass stets der Einzelfall maßgeblich ist und man immer die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles aufgrund verschiedener Faktoren im Detail zu prüfen sind, um ein rechtssicheres Ergebnis zu erhalten. Die vorgenannten Antworten beziehen sich generell auf den Unterhalt, können jedoch keine einzelfallbezogene Prüfung und/oder Beratung ersetzen.  

Herr Landucci, vielen Dank für das Interview.

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Giuseppe M. Landucci

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