Ursula Gunkel: Anwendbarkeit des Gesetzes ist von der Beschäftigtenzahl abhängig

Interview mit Ursula Gunkel
Ursula Gunkel ist Rechtsanwältin in ihrer Kanzlei Gunkel, Kunzenbacher & Partner. Mit ihr sprechen wir über neues Lieferkettengesetz, Änderungen diesbezüglich sowie Auswirkungen auf Zulieferer in Schwellenländern.

Ein neues Lieferkettengesetz wurde vom Bundestag verabschiedet werden. Was ändert sich konkret?

Ursula Gunkel: Das Lieferkettengesetz heißt eigentlich „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten – Lieferkettensorgfaltsgesetz“ (LkSG). Es ist die Antwort des Gesetzgebers auf die Tatsache, dass die große Mehrzahl an inländischen Unternehmen sich nicht, auf freiwilliger Basis zum Schutz der Menschen- und Kinderrechte sowie der Umwelt entlang ihrer globalen Lieferketten verpflichtet haben. So war es allerdings in der Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte dienenden – Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) aus dem Jahr 2016 vorgesehen. Zu diesem Ergebnis kam ein Monitoring der Bundesregierung, wonach im Erhebungsjahr 2020 nur 13 bis 17 Prozent der betrachteten Unternehmen die Anforderungen des NAP erfüllten. Mit Inkrafttreten des LkSG zum 01.01.2023 haben zukünftig zunächst sämtliche Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, die in Deutschland ihren Sitz haben oder eine Zweigniederlassung betreiben und mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, gewisse menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten einzuhalten. Der vorgenannte Schwellenwert wird zum 01.01.2024 auf 1.000 Arbeitnehmer herabgesetzt. Unter der Lieferkette sind dabei alle zur Herstellung der Produkte oder zur Erbringung der Dienstleistung erforderlichen Schritte im In- und Ausland, von der Rohstoffgewinnung bis zur Lieferung an den Endkunden, erfasst – auch das Handeln unmittelbarer und mittelbarer(!) Zulieferer. Die Sorgfaltspflichten sind in zwei Stufen aufgebaut. Auf der ersten Stufe steht die Pflicht, ein wirksames Risikomanagement einzurichten und eine jährlich zu wiederholende Risikoanalyse durchzuführen. Eine Wiederholung der Analyse kann darüber hinaus aufgrund einer wesentlich veränderten Risikolage erforderlich werden. Ergibt die Analyse ein Risiko, so sind auf der zweiten Stufe eine Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie abzugeben und Präventionsmaßnahmen zu treffen. Wird im Rahmen der Risikoanalyse sogar festgestellt, dass menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichten verletzt werden oder dass eine solche Verletzung unmittelbar bevorsteht, sind entsprechende Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Die Wirksamkeit sowohl der Präventions- als auch der Abhilfemaßnahmen ist jährlich sowie anlassbezogen zu überprüfen. Die Pflichten beider Stufen beziehen sich unmittelbar sowohl auf den eigenen Geschäftsbereich als auch die unmittelbaren Zulieferer. Mittelbare Zulieferer sind nur erfasst, wenn dem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen vorliegen. Daneben sind die Unternehmen verpflichtet, ein Beschwerdeverfahren einzurichten. Sämtliche vorgenannten Pflichten treffen die Unternehmen jedoch nicht uneingeschränkt, sondern stehen unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. Vor allem begründet das LkSG keine Erfolgs-, sondern Bemühenspflichten.

Hinzu kommen Dokumentations- und Berichtspflichten. Diese umfassen etwa die fristgebundene, jährliche Erstellung eines Berichts in deutscher Sprache, der für sieben Jahre auf der Internetseite des Unternehmens kostenfrei abrufbar sein muss. Der Bericht wird behördlich überprüft. Um sicherzustellen, dass die Pflichten aus dem LkSG eingehalten werden, wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit umfassenden Rechten ausgestattet. So kann es beispielsweise Geschäftsräume besichtigen, Unterlagen prüfen und dem Unternehmen konkrete Handlungen zur Erfüllung seiner Pflichten aufgeben. Die Unternehmen sind verpflichtet, das Bundesamt zu unterstützen. Schließlich sieht das Gesetz Bußgelder in Höhe von bis zu 800.000 EUR vor; wurde ein Bußgeld von mindestens 175.000 EUR verhängt, soll das betroffene Unternehmen für längstens drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Eine zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen das LkSG ist hingegen ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Welche Auswirkungen hat das Lieferkettengesetz auf Zulieferer in Schwellenländern?

Ursula Gunkel: Die möglichen Auswirkungen auf Zulieferer sind so vielfältig wie die Maßnahmen, die die Unternehmen in Erfüllung der soeben dargestellten Pflichten ergreifen können. Hervorzuheben ist jedoch, dass sogar der Abbruch der Geschäftsbeziehungen in dem LkSG als letztes Mittel ausdrücklich vorgesehen ist. Die Unternehmen können daher in Erfüllung der ihnen auferlegten Pflichten erheblichen Druck auf die Zulieferer ausüben – dieser Druck wird umso größer, je abhängiger der Zulieferer von dem Unternehmen ist. Unmittelbare Zulieferer geben diesen Druck möglicherweise auf die mittelbaren Zulieferer weiter. Außerdem ist zu bedenken, dass Pflichtverletzungen bei den Zulieferern zumeist des direkten Zugriffs des Unternehmens entzogen sein werden, sodass etwa die konkreten Abhilfemaßnahmen durch den Zulieferer umgesetzt werden müssen. Das bedeutet möglicherweise einen immensen Aufwand, der vor allem Zulieferer in Schwellenländer besonders hart treffen kann. Wird das Vorprodukt dadurch erheblich teuer, ist es zum Beispiel denkbar, dass das Unternehmen (wenn möglich) auf einen anderen Zulieferer ausweicht – mit entsprechenden Folgen für den ursprünglichen Zulieferer. Auf der anderen Seite besteht für Zulieferer, die die Menschenrechte und Umwelt vielleicht sogar heute schon im gebotenen Maße schützen, die Chance, ihre Marktposition zu festigen oder auszubauen. Die konkreten Auswirkungen wird man jedoch aufgrund der teilweise höchst komplizierten Verstrickungen des globalen Handels erst einige Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes genauer analysieren können.

Welche Effekte hat das Lieferkettengesetz für Arbeiternehmer in Deutschland?

Ursula Gunkel: Leider lässt sich diese Frage, wie auch schon die vorherige, derzeit nicht konkret beantworten. Inwieweit sich das LkSG auf inländische Arbeitnehmer auswirkt, hängt aber wohl überwiegend davon ab, wie gut sich die betroffenen Unternehmen in der Übergangszeit bis zum 01.01.2023 respektive bis zum 01.01.2024 auf das neue Gesetz einstellen. Maßgeblich ist dabei insbesondere, welche konkreten Maßnahmen die Unternehmen bis dahin zu treffen haben. Dies kann sich wiederum sowohl auf Arbeitsabläufe als auch den Arbeitskräftebedarf auswirken. Wie stark die Effekte ausfallen, wird nicht nur von Branche zu Branche, sondern auch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. Auch hier gilt: erst nach Inkrafttreten des LkSG ist eine genauere Analyse möglich.

Fallen auch mittelständische Unternehmen unter das neue Gesetz?

Ursula Gunkel: Dies ist nicht der Fall. Die Anwendbarkeit des Gesetzes ist von der Beschäftigtenzahl abhängig. Zieht man dieses Kriterium zur Einteilung der Unternehmen nach Größenklassen heran und orientiert man sich an der Empfehlung der Kommission der Europäischen Union betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG), gelten als mittlere Unternehmen solche mit 50 bis 249 Beschäftigten. Selbst nach Herabsetzung der Anwendbarkeitsschwelle zum 01.01.2024 auf 1.000 Beschäftigte fallen daher mittelständische Unternehmen auf absehbare Zeit nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Gleichwohl ist zu erwarten, dass sich das Gesetz mittelbar auf mittelständische Zulieferer auswirken wird.

Werden Konsumenten/Kunden von dem Gesetz beeinträchtigt, inwiefern?

Ursula Gunkel: Hierbei ist zu unterscheiden zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beeinträchtigungen. Erstere sind nicht zu erwarten, da das Gesetz ausschließlich auf Unternehmen Anwendung findet – diese sind folglich die Adressaten der gesetzlichen Regelungen. Anders sieht dies indes in Hinblick auf mittelbare Beeinträchtigungen aus. Schon in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist davon die Rede, dass sich „[d]urch die Einhaltung der Sorgfaltspflicht […] bei vollständiger Überwälzung sämtlicher Kosten die Preise für einige Güter und Dienstleistungen moderat erhöhen“ können. Dieser Effekt sei derzeit jedoch noch nicht quantifizierbar (BT-Drucks. 19/28649, S. 3). Im Kern fasst dies die zu erwartenden Beeinträchtigungen für Konsumenten und Kunden recht gut zusammen. Es ist davon auszugehen, dass die durch die Erfüllung der den Unternehmen auferlegten Sorgfaltspflichten ausgelösten Kosten – wie in der hiesigen marktwirtschaftlichen Ordnung üblich – überwiegend über den Preis auf die Kunden und Konsumenten umgelegt werden. Ob und in welchem Umfang dies jedoch passieren wird, ist dabei von einer Vielzahl individueller Faktoren (etwa Umfang der nötigen Umstellungen und die Höhe der damit einhergehenden Kosten, Einsparpotenzial an anderer Stelle, etc.) abhängig und damit derzeit noch nicht absehbar. Über die möglichen Preissteigerungen hinaus können die neuen Regelungen ferner in Extremfällen dazu führen, dass Produkte oder Dienstleistungen (zeitweise) „vom Markt genommen werden“, etwa weil eine menschenrechtskonforme und umweltverträgliche Produktion bisher nur schwer möglich ist oder die Umstellung erhebliche Zeit in Anspruch nimmt und das Unternehmen bis zur Umsetzung Sanktionen nach dem LkSG fürchtet. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass das Gesetz erst am 01. Januar 2023 in Kraft tritt. Bis dahin haben die Unternehmen die Möglichkeit, sich auf die neuen Regelungen einzustellen – was allerdings auch zur Folge haben kann, dass die beschriebenen Effekte stellenweise schon vor Inkrafttreten des Gesetzes eintreten.

Frau Gunkel, vielen Dank für das Gespräch!

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