Björn Schaubel: Der steigende Strombedarf führt automatisch zum Netzausbau

Interview mit Björn Schaubel
Björn Schaubel ist Partner im Bereich Automotive Manufacturing and Mobility, Strategy and Transactions bei EY. Im Interview sprechen wir mit ihm über Branchenkampf in der Autoindustrie, Stromkonzerne sowie das Spitzenglättungs-Gesetz.

Im Gesetzesentwurf aus dem Altmaier-Ministerium zur „Spitzenglättung“ drohte ein Branchenkampf zwischen Autoindustrie und Stromanbietern zu werden. Können Sie uns mehr zu den Plänen aus der Politik sagen und wer welches Interesse hat?

Björn Schaubel: Im Januar diesen Jahres hat das Thema „Spitzenglättung“ für Aufsehen gesorgt, nachdem der Wirtschaftsminister den über 2 Jahre und in zahlreichen Konsultationsverfahren entwickelten Gesetzentwurf abgelehnt hat. Der Gesetzesentwurf sieht die zeitweise Reduzierung von neuen und steuerbaren Verbrauchern wie E-Ladestationen, Wärmepumpen und Batteriespeicher durch Stromverteilnetzbetreiber vor, um die Netze vor Überlastung und entsprechendem Ausfall zu schützen.

Keiner der beiden, Autoindustrie und Stromanbieter, sind erpicht, dass das Stromnetz abgeregelt werden muss. Allerdings möchten die Stromanbieter bei Überlastung und drohendem Ausfall des Stromnetzes die Möglichkeit haben das Stromnetz abzuregeln. Die Autoindustrie hat hingegen das Interesse, ihren elektrischen Fahrzeugnutzern zu jedem Zeitpunkt eine Lademöglichkeit bieten zu können, um den Hochlauf der e-Mobilität nicht zu gefährden. Die entscheidenden Fragen dabei sind: Wie definiert sich ein Notfall? Was kann der Stromnetzbetreiber tun, um Notfälle zu verhindern wie zum Beispiel der Netzausbau oder die smarte Netzsteuerung und welche Anreize hat er hierfür?

Ein großer Kritikpunkt am Entwurf ist das Beispiel vom heimkommenden Arbeiter/in, der sein Elektroauto nicht laden kann, weil die Stromversorger ihm für Stunden den Strom abstellen können, wenn der Strombedarf steigt. Was halten Sie von der Kritik?

Björn Schaubel: Bis zu einem gewissen Grad ist die Kritik natürlich berechtigt. Eine wesentliche Sorge beim „Umsteigen“ auf ein elektrisches Fahrzeug betrifft die langen Ladezeiten der Batterien sowie die Reichweitenangst. Die drohende Abschaltung ist dabei für den Hochlauf der Elektromobilität nicht förderlich. Der Nutzer eines elektrischen Fahrzeugs möchte, wie bisher gewohnt, jederzeit mobil bleiben. Demgegenüber muss man auch die durchschnittlichen Standzeiten eines Fahrzeugs von ca. 23 Stunden pro Tag berücksichtigen und bei verfügbarer Ladeinfrastruktur zu Hause entstehen dem Nutzer auch bei einer Abschaltung des Stromnetzes kaum Einschränkungen.

Letztendlich liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte zwischen beiden extremen „Pauschale Abschaltung jederzeit“ und „Volle Ladeleistung zu jedem erdenklichen Zeitpunkt und Dauer“. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen:  aktueller Ladestand der Fahrzeugbatterie, die individuelle Mindestreichweiten für Notfälle, Netzauslastung, lokale Lademuster und ungeplante Fahrten.

Die Stromversorger sind in der Pflicht, entsprechende Anreize und technologische Lösungen wie flexible und dynamische Preise oder bi-direktionales Laden zu schaffen und sich nicht pauschal hinter der Netzstabilität zu verstecken. Auf der anderen Seite muss die Automobilindustrie auch für technische Lösungen sorgen, die die Netzstabilität unterstützen und beispielsweise das bi-direktionale Laden ermöglichen – um Fahrzeuge als dezentrale Pufferspeicher zu nutzen.

Stromkonzerne versuchen sich aus einem kostspieligen Ausbau des Stromnetzes zu winden, aber kann es dafür überhaupt Alternativen geben?

Björn Schaubel: Durch den steigenden Strombedarf wird kein Weg am Netzausbau vorbeiführen. Wobei hier der Fokus nicht rein auf dem Ausbau der Leistungsfähigkeit gelegt werden darf, sondern durch intelligente Steuerung die Investitionen reduziert werden können.

Wie wichtig ist das „Spitzenglättungs-Gesetz“ für Ihre Branche und wie sind Sie davon betroffen?

Björn Schaubel: Das „Spitzenglättungs-Gesetz“ in seiner ursprünglichen Form kann einen signifikanten, negativen Einfluss auf das Kaufverhalten der potenziellen Kunden von rein batterieelektrischen Fahrzeugen haben, die ganz wesentlich – zusammen mit Strom aus erneuerbaren Energien – für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors und somit der Pariser Klimaziele sind.

Der rasche Aufbau der Ladeinfrastruktur stellt einen der wesentlichen Erfolgsfaktoren der Elektromobilität und damit der Verkehrswende dar. Somit greift eine reine Betrachtung aus Sicht der Automobilindustrie zu kurz. Ohne Mechanismen zur Sicherstellung der Spitzenglättung könnte es hier zu massiven Verzögerungen kommen.

Kann die Energiewende mit den erneuerbaren Energien gelingen? Was muss noch getan werden?

Björn Schaubel: Ja, das kann und muss es auch. Ansonsten wird die Erreichung der Pariser Klimaziele nahezu unmöglich. Insbesondere der Ausbau an erneuerbaren Energiequellen spielt dabei eine wichtige Rolle. Hinzukommen entsprechende Speicherlösungen für überschüssigen Strom und der Wiedereinspeisung in das Stromnetz, um Lastspitzen abzufedern. Hierbei sollte der Fokus nicht allein auf großen erneuerbaren Energieprojekten liegen, sondern auch die dezentrale Erzeugung von erneuerbarem Strom durch Privathaushalte. Die dezentrale Stromerzeugung stellt dabei einen attraktiven Hebel dar und gepaart mit Speicherlösungen, lassen sich interessante lokale Netzlösungen etablieren.

Herr Schaubel, vielen Dank für das Gespräch!

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