Dr.-Ing. Peter Markewitz: Wasserstoff kann vielseitig eingesetzt werden

Interview mit Dr.-Ing. Peter Markewitz
Dr.-Ing. Peter Markewitz ist Gruppenleiter des Fachgebiets „Integrierte Transformationsstrategien“ im Institut für techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3) am Forschungszentrum Jülich. Mit ihm sprechen wir über die Vorteile von Wasserstoff, verschiedenste Nutzungsarten sowie klimafreundliche Energienutzung.

Welche Vorteile und Nachteile sehen Sie in der Verwendung der Wasserstofftechnologie im Zusammenhang mit der Klimaneutralität und der Wirtschaftlichkeit?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Der große Vorteil von Wasserstoff besteht darin, dass er vielfältig für verschiedenste Nutzungsarten (Industrie, Verkehr, Stromerzeugung etc.) eingesetzt werden kann. In einigen Fällen, wie z.B. der Stahlbranche, ist der Einsatz von Wasserstoff (Direktreduktion) die einzige Alternative, CO2-Emissionen zu vermeiden. Ein weiterer wichtiger Vorteil besteht darin, dass Wasserstoff über längere Zeiträume gespeichert werden kann, um saisonale Versorgungsengpässe zu überbrücken. Hier besitzt Wasserstoff ein Alleinstellungsmerkmal. Für die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft ist eine entsprechende Infrastruktur (Pipelines etc.) notwendig, die heute noch nicht existiert. Wie unsere Analysen zeigen, lassen sich Erdgaspipelines zu Wasserstoffpipelines umwidmen, so dass ein kompletter Neubau nicht erforderlich ist. Hinzu kommt, dass in Deutschland genügend geologische Kavernenspeicherkapazität existiert, die für die Speicherung von Wasserstoff genutzt werden kann. D.h. Deutschland besitzt sehr gute Vorrausetzungen, um eine geeignete Wasserstoff-Infrastruktur kostengünstig aufzubauen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass der Einsatz von Wasserstoff zwingend erforderlich ist, um Klimaneutralität zu erreichen und unter diesen Randbedingungen wirtschaftlich darstellbar ist.

In den USA und China wird der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft konsequent vorangetrieben. Wie kommt es, dass Europa sich damit bislang so viel Zeit gelassen hat?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Auch in Europa wird der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft konsequent vorangetrieben. Die neuen Treibhausgasminderungsziele (2030: -55%, 2050: Klimagasneutralität) des Green Deal sind die entscheidenden Treiber für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und die forcierten Aktivitäten. Hinzuweisen ist auf die „Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa“ der EU, die eine Vielzahl konkreter Maßnahmen für den Aufbau enthält. Gleichzeitig werden von der EU die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, in denen Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und der Handel mit Wasserstoff im Einklang mit den bestehenden Energiebinnenmarktrichtlinien geregelt wird. Auch die Industrie unternimmt erhebliche Anstrengungen. Beispielhaft sei auf die Aktivität von einigen europäischen Gasversorgungsunternehmen hingewiesen, die für Europa ein Wasserstoffversorgungsnetz (European Hydrogen Backbone) konzipiert haben. Der Aufbau einer europäischen Wasserstoffversorgung wird von der EU und den Mitgliedsstaaten massiv unterstützt. Im Rahmen des H2-IPCEI Initiative (IPCEI: Important Projects of Common European Interest) wird eine Vielzahl von Industriegroßprojekten mit erheblichen Mitteln der EU und den Mitgliedsländern gefördert. Die Großprojekte umfassen die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette.

Die Wasserstoff-Technologie gilt als „die“ klimafreundliche Energienutzung. Wie kommt es, dass sich die Technologie in der Automobilindustrie nicht durchsetzen konnte, sondern die Nutzung von Batterien sich durchgesetzt hat?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Zu differenzieren ist hier zwischen dem Pkw- und dem Gütertransport. Für den Fall des Gütertransports wird dem Brennstoffzellenantrieb große Vorteile gegenüber einem Elektroantrieb aufgrund größerer Reichweiten und geringeren Betankungsdauern eingeräumt. Welche Antriebstechnik sich letztlich durchsetzen wird, ist noch nicht entschieden. Im Pkw-Bereich dominieren bei den Neuzulassungen derzeit batteriegetriebene Elektrofahrzeuge (inkl. Hybridfahrzeuge). Durch die von der EU gesetzten CO2-Grenzwerte für Neuwagenflotten waren die Automobilhersteller gezwungen, schnell zu handeln, da bei Nichteinhaltung Strafzahlungen drohen. Vor diesem Hintergrund wurde auf batterieelektrische Antriebstechnik gesetzt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, den Elektroantrieb mit dem klassischen Verbrennungsmotor zu kombinieren (Hybrid) und somit auch bestehende, über viele Jahrzehnte entwickelte Verbrennungsmotorkonzepte weiter nutzen zu können. Die Regelung zur Anrechnung der Hybridfahrzeuge im Kontext der CO2-Grenzwerte wurde von der EU sehr großzügig ausgestaltet und dürfte eine wichtige Motivation für die Automobilhersteller gewesen sein, auf (Hybrid-)Fahrzeuge mit einem Elektroantrieb zu setzen.

Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in der Nutzung eines Wasserstoffantriebs?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Derzeitige Vorteile des Wasserstoffantriebs sind seine sehr viel größere Reichweite gegenüber reinen Batteriefahrzeugen. Ein Nachteil dürfte das komplexere Antriebskonzept eines Brennstoffzellenfahrzeugs gegenüber einem reinen Elektroantrieb sein. Hinsichtlich der Kosten gibt es derzeit ein sehr uneinheitliches Bild, da beide Technikkonzepte noch erhebliche Kostenreduktionspotenziale besitzen. Inwieweit diese gehoben werden können, hängt nicht zuletzt von Skaleneffekten und damit von den zukünftigen (weltweiten) Marktdurchdringungsraten ab. Ein Vorteil eines Brennstoffzellenfahrzeugs ist die kurze Betankungsdauer gegenüber Batteriefahrzeugen. Zwar besitzt ein Brennstoffzellenfahrzeug einen höheren Wirkungsgrad als ein Verbrennerfahrzeug, allerdings ist dieser im Vergleich zu batterieelektrischen Fahrzeugen niedriger. Auch in anderen Verkehrsträgern ist Wasserstoff eine Alternative, wie z.B. in Zügen oder Bussen.

Darüber hinaus ist zu sehen, dass über den Verkehrssektor hinaus Wasserstoff auch eine wichtige systemische Versorgungsaufgabe erfüllen kann. Durch die Speicherung von Wasserstoff können für alle Anwendungen Erzeugung und Verbrauch entkoppelt werden und es kann somit ein wichtiger Beitrag zur Versorgungssicherheit erbracht werden.

Vielfach kritisiert wird die große Menge an Strom, die für die Gewinnung von Wasserstoff notwendig ist. Es gibt zwar alternative Möglichkeiten zur grünen Stromgewinnung. Doch inwieweit steht diese für die Wasserstoffgewinnung zur Verfügung?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Unsere Analysen zeigen, dass das Elektrolyseverfahren die Schlüsseltechnologie ist, um die benötigten Wasserstoffmengen in großem Maßstab zu erzeugen. Das Elektrolyseverfahren ist kommerziell verfügbar und findet bereits seit vielen Jahren Anwendung. Andere Verfahren, die nicht strombasiert sind (z.B. Photolyse, Biomasse), befinden sich derzeit noch in der Forschung und Entwicklung und sind derzeit in großtechnischem Maßstab nicht verfügbar.

Das EU-Parlament fordert den schrittweisen, aber schnellen Ausstieg aus fossilem Wasserstoff. Dafür muss auf andere klimafreundliche Stromgewinnungsmöglichkeiten zugegriffen werden. Wie schnell und in welchem Umfang schätzen Sie, wird dies möglich sein?

Dr.-Ing. Peter Markewitz: Der Ausbau Erneuerbarer Energien zur Stromerzeugung ist das Rückgrat einer treibhausgasneutralen Energieversorgung. In ihrer Wasserstoffstrategie geht die EU davon aus, dass bis zum Jahr 2024 ca. 1 Mio. Tonnen an erneuerbaren Wasserstoff erzeugt werden müssen. Im Jahr 2030 soll die erneuerbare Wasserstoffproduktion 10 Mio. Tonnen (Industrie, Verkehr) betragen, wofür eine Elektrolysekapazität von 40 GW geplant ist. Hierfür ist eine Stromproduktion von schätzungsweise ca. 470 TWh erforderlich (zum Vergleich: Die gesamte Stromproduktion auf Basis erneuerbarer Energien in Deutschland betrug im Jahr 2021 ca. 252 TWh). Unsere Analysen zeigen, dass ausreichend Potenzial für die Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien in Europa vorhanden ist. Die Geschwindigkeit der Umsetzung dürfte weniger eine technische Frage sein, sondern muss eher im Kontext von wirtschaftlichen Anreizsystemen sowie von Akzeptanz gesehen werden.

Herr Markewitz, vielen Dank für das Gespräch!

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